Ini-Sprecher Michael Jung über Nachtzüge: „Viele Flüge sind überflüssig“
Michael Jung von der Initiative Prellbock setzt sich dafür ein, dass der Bahnhof Altona bleibt, wo er ist – auch weil er sich für Nachtzüge eignet.
taz: Herr Jung, wann sind Sie zum letzten Mal Nachtzug gefahren?
Michael Jung: Im vorigen Jahr, als ich nach Venedig wollte – mit der Österreichischen Bundesbahn bis nach Wels, Umsteigen in Villach. Einstmals gab es schöne Nachtzüge der Deutschen Bahn (DB) nach Venedig, aber die sind schon vor drei Jahren eingestellt worden.
Wo sind sie losgefahren?
Von Altona, vor der Haustür.
Warum ist der Bahnhof Altona für den Nachtzugverkehr wichtig?
Weil Nachtzüge rechtzeitig bereitgestellt werden müssen, sodass Leute auch mit Gepäck in Ruhe einsteigen können. Das kann man in einem Kopfbahnhof mit ausreichenden Gleisen besser als auf einem Durchgangsbahnhof, weil die Züge dort nur kurz halten dürfen, andernfalls stauen sich die Züge dahinter.
Im Falle einer Verlegung des Bahnhofs zum Diebsteich wäre ja vorgesehen, die Züge gleich nebenan in Eidelstedt abzustellen. Warum reicht das nicht?
Eine Abstellanlage in Eidelstedt ist bisher zwar kolportiert worden, aber durch nichts bestätigt. Sie läge abseits ohne Infrastruktur. Das macht die Erreichbarkeit schwierig. Dort will die DB die neue Autozug-Verladeanlage jetzt hinbauen, nachdem sie anfangs das Projekt Diebsteich komplett ohne Autoverladeanlage geplant hatte.
Michael Jung, 69, ist Sprecher der Bürgerinitiative Prellbock Altona, die sich für einen Verbleib des Bahnhofs am heutigen Standort einsetzt.
Wie wichtig ist die Kombination aus Autoreisezug und Nachtzug?
Ich glaube, die wird immer wichtiger. Und zwar aus zwei Gründen: Es gibt viele älter werdende Menschen, die nicht mehr den Horrortrip von 1.000 Kilometern deutscher Autobahn mitmachen wollen, wenn sie nach Österreich oder in die Schweiz fahren. Gleichzeitig gibt es für die E-Mobilität ein neues Marktpotenzial: Dass E-Autos während der Fahrt mit dem Nachtzug aufgeladen werden und damit die Reichweite der E-Autos deutlich verlängert werden könnte. Dafür müssten natürlich noch Einrichtungen gebaut werden.
Warum hat sich die Bahn die Nachtzüge gespart?
Die Bahn hat sie künstlich unprofitabel gerechnet. Nachtzüge bedingen einen anderen Aufwand. Man braucht viel qualifiziertes Personal. Dann geht das. Aber die Deutsche Bahn hat die Angewohnheit, vieles in Kleinstfirmen auszulagern, die mit sehr hohen Overhead-Kosten belastet werden. Das macht solche Betriebe unwirtschaftlich. Aber die Österreicher scheinen mit dem Nachtverkehr ja Geld zu verdienen.
Wie sieht es mit der Nachfrage aus?
Die ist sehr groß. Die Autoreisezüge, die von Anbietern mit veraltetem Waggonmaterial dargestellt werden wie beim Urlaubs-Express nach Verona und Villach, sind überbucht. Die können horrende Preise für einen durchaus verbesserungsfähigen Service nehmen.
Die Nachtzüge ohne Autoreisezüge hatten ja in der Vergangenheit durchaus Probleme durch die Konkurrenz der Billigflieger.
Ja und nein. Es gibt Leute die nicht gerne fliegen. Billigflieger haben auch ihre Nachteile mit dem üblichen Stress beim Einsteigen, man darf nur wenig Gepäck mitnehmen und dergleichen. Es gibt aber auch Verbindungen, die mit dem Nachtzug darstellbar sind, aber nicht mit einem Billigflieger. Wenn man von Lüneburg nach München wollte, konnte man früher in Lüneburg in den Nachtzug zusteigen. Heute muss man erst von Lüneburg zum Hamburger Flughafen, mit Eincheck-Zeit und, und, und. Solange man nicht direkt in der Metropole wohnt, geht der Zeitvorteil durch den Billigflieger verloren. Und die Billigflieger sind auch nicht immer ganz so billig.
An diesem Wochenende veranstalten Sie einen ganzen Kongress zum Thema Nachtzüge. Warum ist das Thema so wichtig?
Nachtzüge sind ein Thema der Verkehrswende und des Klimawandels, weil das die umweltschonendste Form des Reisens ist. Viele Kurz- und Mittelstreckenflüge auf Entfernungen von 1.000, 1.500 Kilometern sind eigentlich überflüssig. Sie könnten sehr gut durch Nachtzugverkehr ersetzt werden. Ich darf daran erinnern, dass Nachtzüge früher auch Fahrräder mitnahmen. Ich habe das selber mal getan, bin mit dem Fahrrad nach Paris gefahren und von dort in einer Nacht zurück. Das spart einen Urlaubstag. Heute können Sie das in der Form nicht mehr tun, weil die Hochgeschwindigkeitszüge keine Räder mitnehmen.
Reicht es, Nachtzüge anzubieten, oder muss man mehr tun, um Leute dazu zu bringen, Nachtzug zu fahren?
Natürlich muss man die Nachtzüge dann adäquat bewerben. Aber im Moment sind sie sehr frühzeitig ausgebucht. Die Nachfrage ist höher als das Angebot.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Jeder fünfte Schüler psychisch belastet
Wo bleibt der Krisengipfel?