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Infusionen gegen HangoverWer saufen will, soll leiden

Ein Berliner Start-up bietet einen mobilen Service mit „Hangover-Infusionen“ an. Es ist Sinnbild für den Optimierungswahn der Gesellschaft.

Foto: Martin Bertrand/Hans Lucas/imago

Das Letzte, an das ich mich erinnern kann, ist mein Auftritt am Buffet, als ich mir abwechselnd Würstchen, Benjamin-Blümchen-Torte und Kartoffelsalat reinschaufle. Dann, wie ich auf dem Tisch tanze, meinen Ex-Freund anpöbele, von da an rettet mich mein Filmriss. Am Tag danach plagt mich der schlimmste Kater meines Lebens.

Damit Feierfreudige wie ich bedenkenlos am Abend die All-you-can-drink-Flat bei Sausalitos ausnutzen und am nächsten Tag dennoch gewissenhaft das morgendliche Work-out absolvieren können, bietet das Start-up „Hangover Refresh“ einen mobilen Infusionsservice an. Seit Dezember 2023 können Berliner*innen, die mit einem Kater zu kämpfen haben, wochenends Infusionen buchen, die ihnen nach einer durchzechten Nacht wieder auf die Beine helfen sollen.

Nach der Onlinebuchung eines Termins statten Ärz­t*in­nen den sogenannten Pa­ti­en­t*in­nen einen Besuch am Bett ab und injizieren ihnen die Rettung: die „Hangover-Infusion“. Sie besteht aus einer Schmerztablette, Kochsalz- und Elektrolytelösung mit Vitaminen sowie je nach Paket zusätzlich aus Vitamin C und B. Wenn der schwere Schädel nur von ein paar Bierchen herrührt, sollte das Paket „Lange Nacht“ ausreichen; hat das Berghain wieder zugeschlagen, könnte „Drei Tage Wach“ angebrachter sein. Für Paare gibt es das Paket „Zusammen im Bett“. Zwischen 99 und 199 Euro kosten die rund 40-minütigen Behandlungen.

Scheint, als wäre das Leben doch ein Wunschkonzert. Ein McMenü, das man sich nach Lust und Laune zusammenstellt: Rausch: ja, Kater: nein. Spaß: ja, Schmerzen: nein. Ein einziger Klick im Netz, und der Kater ist Geschichte. „Nach der Infusion lassen die typischen Katersymptome wie Übelkeit, Kopfschmerzen und leichte Verwirrtheit nach“, sagt der Start-up-Gründer Jan Reinwein. „Insgesamt kriegt man einen kleinen Energiebooster.“

Kater als Warnsignal

Steven Dooley, der sich an der Universität Heidelberg mit Lebererkrankungen und der Wirkung von Alkohol beschäftigt, hält davon nichts. „Ich würde niemanden empfehlen, der schädigenden Wirkung Alkohols mit diesen Maßnahmen entgegenzuwirken“, sagt er. Auch wenn das unmittelbare Wohlbefinden nach der Infusion besser sei, blieben die gefährlichen langfristigen Auswirkungen bestehen. „Der Kater ist eigentlich etwas Positives. Er dient einem als Warnsignal, vorsichtig zu sein und das nächste Mal weniger zu trinken“, sagt Dooley. Wenn jedoch negative Rückkopplungen unterdrückt würden, werde Alkoholkonsum verharmlost und der Weg für mehr Konsum geebnet. „Das geht in die völlig falsche Richtung“, sagt er.

Der Gedanke sei nicht: „Wie kann man Leuten dabei helfen, sich jedes Wochenende die Kante zu geben?“, rechtfertigt sich Reinwein. „Aber wenn zum Beispiel 20-Jährige aus Versehen zu viel Alkohol trinken und am Tag darauf mit dieser für sie neuen Situation konfrontiert sind, versuchen wir nur zu helfen, damit es ihnen nicht so schlecht geht. Das ist ja wohl legitim.“

Er glaubt nicht, dass seine Dienstleistung zu einer Verharmlosung des Alkoholkonsums bei Jugendlichen führt. Vielmehr meint er, dass die teure Erfahrung der Infusion Nut­ze­r*in­nen dazu bewege, „nächstes Mal ein bisschen ruhiger zu machen“. Zudem sei Alkohol in Deutschland ab 16 Jahren legal, ihre Dienstleistung werde jedoch erst ab 18 Jahren angeboten. „Unsere Hauptkundschaft sind 20- bis 45-Jährige, die unter Katersymptomen leiden und sich nicht leisten können, irgendwo völlig fertig aufzutauchen“, sagt Reinwein.

Hyperfokus auf Optimierung

Foto: Martin Bertrand/Hans Lucas/imago

Vielleicht sollten sie auch gar nicht irgendwo auftauchen, sondern einfach mal den Kater akzeptieren und leben. Den Hyperfokus auf Gesundheit, Optimierung und Leistung beiseiteschieben und den Sinn für das intensive, souveräne Leben wiederentdecken. Macht euch mal locker, ihr übersteht den Kater schon!

Die unaufhörlichen Selbstverbesserer scheint das nicht zu überzeugen: „Bisher läuft das Geschäft gut“, sagt Reinwein. Seit dem Start des Buchungsdiensts im Dezember habe es noch kein Wochenende ohne Aufträge gegeben. „Wenn der Service sich etabliert, werden wir ihn auch unter der Woche anbieten.“ Während es die mobilen Hangover-Dienste in den USA und Australien schon länger gibt, ist „Hangover Refresh“ deutschland- und europaweit der erste Anbieter.

Alkoholexperte Dooley hält nichts von diesem Trend: „Die Nebenwirkungen eines solchen invasiven Eingriffs sind absolut nicht vorhersehbar“, sagt er. Außerdem gebe es keine validen klinischen Studien, die belegten, dass Infusionen wirksamer seien, als etwa Wasser und Elektrolyte zu trinken.

Alles nur Placebo?

„Der Kater ist eine komplexe Gemengelage aus Maßnahmen und Auswirkungen“, sagt Dooley. Je nach Konstellation des Körpers werde Alkohol unterschiedlich verarbeitet, sodass man ohne Blutbild gar nicht feststellen könne, woran es dem Körper mangelt. Auch für vitamin- und elektrolytehaltige Drinks und Pulver, wie „Katerfly“ oder „Hang & Over“, die seit Jahren auf dem Drogeriemarkt kursieren und Linderung bei einem Kater versprechen, gebe es keine wissenschaftlichen Befunde, die ihre Wirksamkeit belegten.

Doch trotz mangelnder wissenschaftlicher Nachweise boomt die Infusionsbranche, und zwar nicht nur die der Hangover-Infusionen. Deutschlandweit verabreichen zig Unternehmen und Praxen sowohl Hangover- als auch einen bunten Cocktail an sogenannten Lifestyle-Infusionen. Diese versprechen, eine Zauberlösung für nahezu jedes Problem des spätmodernen Leistungssubjekts zu sein, sei es das Altern, der Stress oder die Schlaflosigkeit. Zum Beispiel beim „Anti-Stress-Boost“ bekommen Pa­ti­en­t*in­nen intravenös Aminosäuren und Elektrolyte eingeführt. Beim „Kinderwunsch-Boost“ können sich Männer zur „Unterstützung der männlichen Fruchtbarkeit“ für 199 Euro Vitamine, Mikronährstoffe und Aminosäuren injizieren lassen.

Mit den Märchen, die die Pharmaindustrie den Selbstoptimierern erzählt, verdient sie sich eine goldene Nase: Je nach Anbieter und Infusionspaket liegen die Kosten für die Infusionen zwischen 50 und 500 Euro, die meisten bewegen sich um die 200 Euro. Oftmals übernehme die private Krankenversicherung die Kosten, erzählt ein Infusionsanbieter der taz.

Für Dooley ist das „alles Geldmacherei, alles Placebo-Effekt und Hype“. Das brauchen nur die Hamster, um im Rad der ­Optimierungsgesellschaft unaufhörlich rennen zu können.

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10 Kommentare

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  • Ist das wirklich ein Sinnbild des Optimierungswahns oder nicht doch eher ein Zeichen, dass in unserem Gesellschaftssystem nichts ausgelassen wird, um daraus Profit zu schlagen.

  • Saufen ohne Kater ?



    Wie wäre es mit Melissengeist?



    Alles für die Gesundheit.

  • Einfach weniger saufen ist keine Möglichkeit?

    Immerhin sauft man sich bei jedem Rausch ein paar Millionen Gehirnzellen weg. Die können auch durch Vitamine nicht wieder hergestellt werden.

  • Wäre es nicht sinnvoller, diese Ärzte(?) würden den Alk-Opfern einen Einlauf verpassen? Das Gift sollte schließlich möglichst schnell wieder raus aus dem Körper.

    Watt für nen bekloppter Unsinn. Aber es gehören ja immer zwei Seiten dazu: jene die solch einen Hokuspokus anbieten, und jene die zu solch einem Quatsch greifen.

    • @Mopsfidel:

      Wenn Alkohol bereits im Blut ist, nützen Einlauf oder Erbrechen wenig.

  • „Unsere Hauptkundschaft sind 20- bis 45-Jährige, die unter Katersymptomen leiden und sich nicht leisten können, irgendwo völlig fertig aufzutauchen“

    Gegenfrage: Wer kann sich das überhaupt leisten und will man das?

    Erste Regel der Selbstoptimierung: Sauft halt nicht, wenn Ihr Termine habt.

  • "„Aber wenn zum Beispiel 20-Jährige aus Versehen zu viel Alkohol trinken und am Tag darauf mit dieser für sie neuen Situation konfrontiert sind, versuchen wir nur zu helfen, damit es ihnen nicht so schlecht geht. Das ist ja wohl legitim.“"

    Haha, selten so gelacht.



    Wenn ich mir die Kante gebe, dann stehe ich auch dazu und behaupte danach nicht, das sei ein Versehen gewesen...

    100 von 100 Punkten für die unoriginellste Geschäftslüge

  • Seit die Menschen den Alkohol entdeckt haben, gibt es Rezepte und Tricks, die den Kater minimieren sollen.



    Wenn es nicht wirkt, sondern nur ein Placebo ist, sehe ich keinen weltbewegenden Unterschied zwischen den Infusionen und den Ekel-Drinks, die es vorher gab.



    Wovor ich aber dringend warnen würde: Einen Mindestlohn-Angelernten Minijobber würde ich im Leben nichts in mein Blut injizieren lassen. Wer weiß, was in dem Gemisch drin ist. Ob der Mensch weiß, wie er sich die Hände desinfiziert? Oder auch nur, welche Verantwortung er übernimmt, wenn der die Nadel setzt? Ein Rest Luft in der Nadel, eine durchstochene Venen-Hinterwand, eine unerwartete allergische Reaktion...

    • @Herma Huhn:

      So wie's im Artikel steht, sind das ja ÄrztInnen.



      Ich seh da schon nen großen Unterschied zwischen Infusionen und Ekeldrinks, nämlich den Preis. Elotrans kost fast nix.



      Aber egal, völlig unnötige, aber typisch maximal gewinnorientierte StartUp Idee.

      • @markus könig:

        Ich ziehe gute Handwerker vor und nehme Pflegerin oder Pfleger ;-)

        Oder aber: Wer saufen kann, kann sich auch selbst n Zugang legen.....