Industrielle Landwirtschaft: Warum die Beeren so billig sind
Warum ist das Obst im Supermarkt so günstig? Weil Arbeiter aus Asien für wenig Geld auf portugiesischen Plantagen schuften.
Er will erzählen, wie das Ganze abläuft. Aber ohne seinen richtigen Namen, ohne Foto. Okay, dann heißt du hier jetzt Abdul.
Abdul ist ernüchtert. Auch in seiner Heimat Bangladesch hat er es so erlebt: Die einen kassieren, die anderen malochen. Die Agenten sind oft Landsleute, die in Portugal selbst als Tagelöhner angefangen haben und jetzt als Vermittler tätig sind. Zwischen den Immigranten auf der einen Seite und den Großfarmern auf der anderen.
Abdul wirkt müde wie er so dasteht, morgens um halb sechs, und auf die Busse wartet, die ihn mit Hunderten anderen Migranten zu den Gewächshäusern bringen soll. Fast könnte man glauben, man sei in einem Dorf in Nepal oder Bangladesch. Um diese Uhrzeit sieht man keinen einzigen Portugiesen auf der Straße. Nur Tagelöhner aus Asien.
Früher galt der Alentejo rund um die Kreisstadt Odemira als das Armenhaus Portugals: Korkeichen, Olivenbäume, schwarze Schweine, wenige Menschen. Heute ist die Region ein Beispiel für exportorientierte Agrarindustrie. Hinter der Steilküste am Atlantik entstehen immer neue Plastiktunnel mit Blaubeer- und Himbeerstauden. Mehr als 90 Prozent der Beeren werden exportiert. Was fehlt, sind Arbeitskräfte.
„Es ist sehr schwer Landarbeiter zu finden, obwohl Portugal eine Arbeitslosenquote von fast 10 Prozent hat“, sagt Paul Dollemann. Er stammt aus Holland und baut seit sieben Jahren im Alentejo Blaubeeren an. Mit einer Lizenz des US-Konzerns Driscoll, dem Weltmarktführer für Erdbeeren, Himbeeren und Blaubeeren. Die meiste Zeit des Jahres kommt Dollemann mit fünf Festangestellten aus. „Während der Erntezeit brauche ich aber 30 und mehr Pflücker. Das Arbeitsamt in Odemira schickt mir allenfalls zwei oder drei. Und selbst die kommen manchmal nur ein paar Tage und bleiben dann weg. Die Arbeit ist ihnen einfach zu hart, der Lohn zu gering.“
Paul Dollemann, Bauer
Nur 15 Prozent der Arbeiter in den Gewächshäusern sind Portugiesen, in der Regel die Vorarbeiter und Produktionsmanager. Menschen aus Indien, Pakistan, Nepal und Thailand arbeiten auf den Plantagen. Wie viele es genau sind, weiß niemand. Die Sozialarbeiterin Tania Guerreiro, die sich im Auftrag der Nichtregierungsorganisation Taipa um die Migranten kümmert, schätzt die Zahl der Tagelöhner aus Asien allein im Landkreis Odemira auf mindestens 3.000. Offiziell leben hier 12.000 Einwohner.
Einmal in der Woche hat sie Sprechstunde. In einem winzigen Raum ohne Fenster, aber mit WLAN. So kann Guerreiro im Internet sofort nachschauen, wie es um die Anträge auf Aufenthaltsgenehmigung steht.
Erst war er Tourist, dann illegal
„Wo klemmt’s ?“, will Abdul wissen. „Es heißt, dein Antrag werde immer noch geprüft“, sagt Tania Guerreiro. „In deinem Pass fehlt der Einreisestempel.“ Das weiß Abdul selbst. Schließlich ist er wie viele andere illegal nach Portugal eingereist. Aus Bangladesch war er mit einem Touristenvisum nach England geflogen und hatte dort eine Ausbildung zum zertifizierten Buchhalter begonnen. Doch dann verschärfte die Großbritannien die Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen. Abdul verlor sein befristetes Bleiberecht.
Er zahlte 800 englische Pfund an einen Schlepper, der ihn zusammen mit zwanzig anderen in einem Lastwagen von England nach Portugal brachte. Die portugiesische Ausländerbehörde verlangt einen Beleg darüber, wann er ins Land gekommen ist. Schlepper stellen keine Quittungen aus.
Das portugiesische Ausländerrecht ist eines der liberalsten in Europa. Einen Antrag auf Aufenthaltserlaubnis, die Resident Card, kann stellen, wer mindestens sechs Monate in Portugal arbeitet und Steuern zahlt. Anfangs war die Regelung vor allem für die ebenfalls Portugiesisch sprechenden Brasilianer gedacht. Sie sollten legal in Portugal arbeiten können – auch wenn sie einst als Touristen eingereist waren.
Abdul, Plantagenarbeiter
Auf diesen Artikel berufen sich jetzt die Migranten aus Asien. „Es ist schon verrückt“, sagt Abdul. „Eigentlich darf ich als Tourist nicht arbeiten. Wenn ich aber einen Arbeitsplatz habe und Steuern zahle, habe ich beste Chancen auf eine Aufenthaltserlaubnis.“ Mitunter zahlen Migranten sogar Steuern, obwohl sie nichts oder so gut wie nichts verdienen. Denn ohne Arbeitsstelle keine Resident Card. Und ohne die Card kein legaler Mietvertrag, kein eigenes Konto und nur eingeschränkte Bewegungsfreiheit.
In unregelmäßigen Abständen kontrolliert die Ausländerbehörde Geschäfte und Großfarmen. Anders als in Deutschland, wo sich illegale Arbeiter bei Razzien schnellstmöglich aus dem Staub machen, sind die Migranten in Portugal sogar froh, wenn die Kontrolleure auftauchen. Aus den Gewächshäusern laufen ihnen die Tagelöhner entgegen, sie wollen nur eins: dass man ihre Namen aufschreibt. „Vor Kurzem waren die Kontrolleure bei uns auf dem Feld“, erzählt Abdul. „Aber genau an dem Tag war ich krank. Hätte ich gewusst, dass sie kommen, ich wäre auch mit 40 Grad Fieber arbeiten gegangen. Mein Name auf der Liste hätte bewiesen, dass ich eine Arbeitsstelle habe.“
Ohne Bleiberecht müssen sich die Migranten sich den prekären Bedingungen fügen, unter denen sie arbeiten und wohnen müssen. Sie machen zahllose Überstunden, auch am Wochenende. Sie leben zu mehreren in winzigen Zimmern, in halb verfallenen Häusern und während der Ernte auch in Containern. Untere Richtschnur für die Bezahlung ist der staatlich festgesetzte Mindestlohn. In Portugal sind es diese 3,36 Euro pro Stunde von denen Abdul erzählt hat.
Israelische Arbeitsvermittler nutzen alte Kontakte
Nur selten stellen die Inhaber der Gewächshäuser die Migranten direkt an. Lieber zahlen sie den Agenturen einen Aufschlag von 30 bis 60 Prozent auf den Mindestlohn und kaufen sich damit praktisch frei von jeder Verantwortung. „Wenn es Ärger mit den Behörden gibt, verwiesen die Farmer gern auf die Leiharbeitsagenturen“, sagt die Sozialarbeiterin Tania Guerreiro.
Die portugiesischen Behörden haben die Vorschriften für die Zulassung von Agenturen verschärft. Daraufhin ging deren Zahl zurück. Doch viel hat sich nicht geändert. Die großen Agenturen übernahmen die kleinen. Und deren Tagelöhner.
In den 60er, 70er Jahren gingen die Portugiesen noch selbst zum Geldverdienen ins Ausland. Heute läuft die Migration in der umgekehrten Richtung. Die ersten ausländischen Arbeiter im Alentejo waren Anfang des Jahrtausends vor allem Russen, Ukrainer und Bulgaren. Dann kamen die israelischen Arbeitsvermittler. Nachdem die Beschäftigung palästinensischer Tagelöhner in Israel schwierig geworden war, hatten sie gute Erfahrungen mit asiatischen Gastarbeitern gemacht. Israelische Arbeitsagenturen nutzten ihre Kontakte und warben auch für Portugal gezielt Arbeiter aus Thailand, Nepal und Indien an.
„Sie sind die tropischen Temperaturen in den Gewächshäusern gewohnt und dazu auch noch fleißige Arbeiter“, sagt der Bauer Paul Dollemann. Der Driscoll-Konzern liefert ihm die Setzlinge, auf die das Unternehmen ein Patent hat und kümmert sich um die Vermarktung. Dollemann und die anderen Bauen pachten das Land, kümmern sich um Aufzucht, Bewässerung und Ernte.
In dem vom Santa Clara Staudamm bewässerten Landstreifen im Alentejo werden mit Beeren und Früchten inzwischen 140 Millionen Euro erwirtschaftet.
Die Arbeiter klagen nicht
Ohne billige Arbeitskräfte aus Asien und patentierte Beerenstauden aus den USA wäre es kaum möglich, die normalen Wachstums- und Erntezeiten so auszudehnen, dass man auch in deutschen Supermärkten fast das ganze Jahr über frische Blaubeeren kaufen kann. Das 125- Gramm-Schälchen auch schon mal für einen Euro.
Es ist einträgliches Geschäft. Für Driscoll, das Umsatz und Gewinn weiter steigern kann. Für die Bauen die das Land pachten – oft sind es Niederländer, Engländer und auch Deutsche. Für die Agenturen, die sich um den Nachschub an Tagelöhnern kümmern. Die asiatischen Migranten aber hängen oft Jahre zwischen Legalität und Illegalität fest.
Dennoch hört man von den asiatischen Tagelöhnern kaum Klagen. Wie auch? Kaum einer von ihnen spricht Portugiesisch, eine Gewerkschaft für Landarbeiter gibt es nicht. Dazu kommt der ungeklärte Status – wie bei Abdul.
Seit zwei Jahren arbeitet er in den Gewächshäusern. Dass er Rechnungsprüfer wird, glaubt er nicht mehr. „Die Arbeit hier ist in Ordnung“, sagt er. „Die Menschen sind freundlich, das Wetter ist nicht viel anders als in meiner Heimat.“ Gern würde er noch mal seine Mutter in Bangladesch sehen. Sie ist alt und kränklich, niemand weiß, wie lange sie noch lebt. Aber Abdul kann nicht nach Hause. Ohne Resident Card würde Portugal ihn nicht zurück ins Land lassen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“