Indonesien vor der Wahlentscheidung: Die Normalisierung der Intoleranz

Der Islamismus wird stärker. Alle großen Parteien und die Präsidentschaftskandidaten buhlen um die Stimmen der konservativen Muslime.

Zwei Männer in weißen Hemden begrüßen sich

Stehen sich in Indonesien erneut gegenüber: Amtsinhaber Joko Widodo (r.) und Herausforderer Prabowo Subianto Foto: ap

JAKARTA taz | Jubel brandet auf bei der Wahlkampfveranstaltung der Partai Solidaritas Indonesia (PSI) in der Messehalle A1 in Jakarta, als Abdillah Toha die Bühne betritt, einer der großen moderaten muslimischen Gelehrten und Politiker Indonesiens. Nach einer kurzen Begrüßung zieht der 76-Jährige eine Jacke in der PSI-Farbe Rot über sein Batikhemd. Die mehr als 2.000, ebenfalls rote PSI-Jacken tragenden Jugendlichen toben vor Begeisterung, schwenken enthusiastisch die aufblasbaren rot-weißen Winkelemente.

Die PSI versteht sich als Partei der Millennials, der jungen Generation, die es satt hat, von den ewig gleichen Parteien und Politikern regiert zu werden; die erschrocken ist von den erstarkenden islamistischen Kräften. „Wir erleben gerade die Normalisierung der Intoleranz“, klagt Grace Natalie, eloquente Vorsitzende der PSI und Mutter von zwei Kindern, im Gespräch mit der taz. Millennials machen knapp die Hälfte der rund 190 Millionen Wahlberechtigten Indonesiens aus.

In der PSI bündelt sich in diesem Wahlkampf das Ringen Indonesiens um seine Zukunft: Pancasila oder Koran. Mit den fünf Prinzipien der Pancasila als Präambel der Verfassung definierte Staatsgründer Sukarno bei der Unabhängigkeit von den Niederlanden 1945 die ethnisch und religiös vielfältige Republik Indonesien auf der Basis des religionsübergreifenden Prinzips der „All-Einen Göttlichen Herrschaft“ als säkularen und sozialen Staat.

Die Islamisten aber haben den Kampf für einen islamischen Gottesstaat nicht aufgegeben und in dem 67 Jahre alten Prabowo Subianto, Sohn eines muslimischen Vaters und einer christlichen Mutter, haben sie ihren Champion gefunden. Der ehemalige General mit schlechter Menschenrechtsbilanz und Ex-Schwiegersohn von Diktator Suharto hat sich mit der radikalen Islamischen Verteidigungsfront (FPI) und der salafistischen Hizb ut-Tahrir Indonesia (HTI) verbündet.

Ohne die konservativen Muslime ist kein Staat zu machen

„Mit mir wird es kein Kalifat in Indonesien gegeben“, verkündete Prabowo zwar bei einer Großkundgebung in einem Stadion in Jakarta zehn Tage vor der Wahl. Die im schwülen Tropenwind flatternden Fahnen der offiziell verbotenen HTI und der FPI, die vielen Zehntausende in Weiß, der Gebetsfarbe der Muslime, gewandeten Prabowo-Fans lassen jedoch Zweifel aufkommen, dass das im Fall eines Wahlsieges auch so bleiben wird.

Auf der anderen Seite kämpft der reformorientierte und moderat-muslimische Amtsinhaber Joko „Jokowi“ Widodo um eine zweite Amtszeit. Die Chancen des 57-Jährigen stehen nicht schlecht. Grund sind seine Sozialpolitik, große Infrastrukturprojekte wie die U-Bahn im staugeplagten Jakarta oder Dämme für die Wasserversorgung ländlicher Gebiete, sein Kampf gegen Korruption und seine Bodenständigkeit.

Grace Natalie, Vorsitzende der PSI, über erstarkenden Islamismus

„Wir erleben gerade die Normalisierung der Intoleranz“

Aber auch der allenthalben Jokowi genannte Politiker weiß seit der erfolgreichen Blasphemiekampagne der HTI und der FPI 2017 gegen den ehemaligen christlichen Gouverneur von Jakarta, Basuki Tjahaja Purnama, nur zu gut, dass ohne die konservativen Muslime kein Staat zu machen ist. Deshalb hat er den islamischen Kleriker Ma’ruf Amin, 76, von der Nahdlatul Ulama (NU) zu seinem Vizepräsidentschaftskandidaten erkoren.

„Ma’ruf ist ein Kleriker vom äußersten rechten Flügel der NU“, sagt Andreas Hasono, Autor des jüngst erschienen Buches über „Ethnische und religiöse Gewalt im Post-Suharto Indonesien“. „Das ist ein gewagtes Spiel. Die große Frage lautet: Wird die NU Ma’uf Amin zu einem moderaten Kurs bewegen können oder wird Ma’ruf seinerseits Jokowi zum Islamisten machen?“ Mit mehr als 40 Millionen Mitgliedern ist die mehrheitlich moderate NU die größte muslimische Massenorganisation Indonesiens.

Die säkulären Parteien haben Anteil an der Islamisierung

Die islamische „Normalisierung der Intoleranz“ hat viele Facetten. Es läuft eine unglaubliche Hetzkampagne gegen Schwule und Lesben; das Blasphemiegesetz wurde zur politischen Waffe; muslimische Minderheiten wie Schiiten und Ahmadis werden verfolgt; Christen werden in Teilen Indonesiens unterdrückt; für Frauen geht der Trend vom Kopftuch zum Schleier; die Universitäten werden zunehmend zum Nährboden für den salafistischen Islam.

Immer wieder taucht in diesen Zusammenhängen der Name Ma’ruf Amin auf, dessen Aussage als Vorsitzender des Rats der Religionsgelehrten im Blasphemieprozess gegen Basuki Tjahaja Purnama 2017 letztlich Jokowis ehemaligen politischen Weggefährten für zwei Jahre ins Gefängnis brachte.

Aber auch die säkularen politischen Parteien wie die PDI-P haben ihren Anteil an der Islamisierung. Im Buhlen um die Stimmen der konservativen Muslime führte die PDI-P, auf deren Ticket Jokowi kandidiert, in den letzten Jahren auf kommunaler Ebene viele Schariaverordnungen ein.

Grace Natalie und die PSI sind sich, wie viele andere ihrer Landsleute, der Gratwanderung bei der Wahl am 17. April bewusst. An den Wänden der Messehalle hängen daher zwar massenhaft Konterfeis von Jokowi, aber keine von Ma’ruf Amin. „Ohne Jokowi geht es nicht“, sagt Natalie gelassen und fügt hinzu: „Immerhin hat er die radikale HTI verboten.“

Die PSI wird Indonesien nicht retten können. Sie kann froh sein, wenn sie jene sieben Millionen Wähler gewinnt, die sie braucht, um über die Vierprozenthürde zu kommen. Aber eines hat die PSI jetzt schon geschafft: Mit ihren Themen hat sie das religiös-politische Establishment aufgemischt. „Sie stellt als einzige die islamistische Agenda in Frage“, sagt Azis Anwar Fachrudin, Dozent am Zentrum für religiöse und kulturübergreifende Studien der Gadjah Mada Universität in Yogyakarta.

Indra, der wie viele Indonesier nur einen Namen hat, ist mit seinem achtjährigen Sohn Agus zur PSI-Wahlveranstaltung gekommen. „Ich bin in einem toleranten Indonesien aufgewachsen“, sagt der 36-jährige Verkäufer. „Das wünsche ich mir auch für meinen Sohn.“

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