Indigene Übersetzerin in Mexiko: Die Geschichte der Malinche
War die indigene Übersetzerin des spanischen Eroberers Hernán Cortés eine Vermittlerin zwischen den Kulturen? Die Erinnerung ist umstritten.
H at die Malinche die indigene Bevölkerung Mexikos verraten? Oder war sie eine brillante Frau und Mediatorin zwischen den Kulturen, die zum Opfer der Verhältnisse wurde?
Lange Zeit bestanden kaum Zweifel, dass die Weggefährtin des spanischen Eroberers Hernán Cortés große Verantwortung für den Fall der Aztekenhauptstadt Tenochtitlán im August 1521 trug und deshalb eine Verräterin für „ihr Volk“ war.
Selbst in der Umgangssprache hat sich diese Sicht auf die Frau durchgesetzt, die als Tochter einer indigenen Familie zur Welt kam. Als „malinchista“ werden Personen bezeichnet, die ausländischen Interessen mehr Bedeutung zumessen als den mexikanischen. In der nationalistisch orientierten Gesellschaft des Landes dürfte es wenig Schimpfworte geben, die schwerer wiegen.
Der Vorwurf gegen „La Malinche“, die auch Malintzin, Malinalli oder Doña Marina genannt wird, hat einen ambivalenten Hintergrund. Ohne sie wäre Cortés möglicherweise im Kampf gegen den aztekischen Machthaber Moctezuma gnadenlos untergegangen. Zunächst war sie als Sklavin bei dem spanischen Eroberer gelandet, später begleitete sie ihn bei seinen Feldzügen, übersetzte bei Verhandlungen und bekam mit ihm ein Kind.
Kritik der Historiker und Feministinnen
Das alles bot die Grundlage für ihre Zuschreibung als „Verräterin“ und „Prostituierte“, die sich im und nach dem Unabhängigkeitskampf im 19. Jahrhundert durchsetzte. Ausgerechnet die weißen Eliten, die Nachfahren der ersten Konquistadoren, stärkten diesen Diskurs, um Mexiko vom „Fremden“ als Nation abzugrenzen.
Einige Feministinnen und Historiker kritisieren diese Zuschreibung schon lange, da sie zum Ziel habe, die historische Bedeutung indigener Frauen unsichtbar zu machen. Blickt man genauer auf das wenige, was von Malintzin bekannt ist, ergibt sich das Bild einer intelligenten sprachbegabten Frau, die wissentlich oder gezwungen die weibliche Rolle in den Gesellschaften der Mexicas, Totonaken und Mayas radikal infrage stellte.
Da sie Cortés als Übersetzerin und Vermittlerin diente, nahm sie an seinen Verhandlungen mit den mächtigsten Männern teil. Das stieß bei den indigenen Herrschern auf großes Befremden, wie der Film „Malintzin, die Geschichte eines Rätsels“ zeigt.
Die komplexe Geschichte der Kolonisierung
In der Person Malintzin spiegelt sich die Komplexität der Kolonialisierung wider. Die Indigene hatte allen Grund, mit den Spaniern gegen Moctezuma zu kooperieren, schließlich kam sie von einem Volk, das von den in Tenochtitlán herrschenden Mexicas unterdrückt und ausgebeutet wurde.
Nicht anders erging es den Totonaken und der Bevölkerung der Region Tlaxcala, die sich mit Hilfe der Malinche mit den Konquistadoren gegen Moctezuma verbündeten. Ohne diese Allianzen hätte Cortés keinen Stich gemacht – und ohne Malintzin wären sie wohl nicht zustande gekommen.
Die Kritik an der diskriminierenden Zuschreibung der Malinche ist auch bei der Regierung angekommen. Vergangene Woche wurde im ehemaligen Tenochtitlán und heutigen Mexiko-Stadt an die Eroberung vor 500 Jahren, am 13. August 1521, erinnert. Neben der Ruine des aztekischen Tempels, auf dem seit Jahrhunderten eine Kathedrale thront, inszenierte die Regierung eine Sound-und-Licht-Show über das Leben in der Aztekenmetropole.
Die negierte Bedeutung der indigenen Frauen
Präsident Andrés Manuel López Obrador bezeichnete die Kolonialisierung als Katastrophe, und die Hauptstadtbürgermeisterin Claudia Sheinbaum kritisierte die Stigmatisierung der Malinche. Man wolle die Bedeutung indigener Frauen in der Gesellschaft insgesamt hervorheben und müsse im Konkreten mit ihr anfangen, sagte sie.
Ob dieser Vorsatz jenseits des Spektakels in Mexiko-Stadt bei den Nachfahren der Opfer der Eroberung Tenochtitláns ankommt, muss sich erst noch zeigen. Denn auch wenn die Malinche als „Vermittlerin zwischen den Kulturen“ interpretiert wird, begegneten sich diese Kulturen natürlich nicht auf Augenhöhe. Daran hat sich bis heute nichts geändert.
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