In der Gewalt der Hamas: Wie Alon Nimrodi um seinen Sohn kämpft
Statt auf Hass mit Hass zu reagieren, bestehen Angehörige der Geiseln im Gazastreifen auf Menschlichkeit. Die eigene Regierung kritisieren sie scharf.
A ls ich mich im Januar dieses Jahres von Alon Nimrodi in Berlin verabschiedete, hoffte ich, nur noch ein einziges Mal von ihm lesen zu müssen. Ich hoffte, dass wenn dieser Mann das nächste Mal in den Medien auftauchen würde, dies ein Grund zum Feiern wäre.
Alon Nimrodi ist Israeli und Vater. Als sein Sohn Tamir Nimrodi von Terroristen der Hamas entführt wird, ist er 18 Jahre alt. Es gibt ein Video, das die Entführung zeigt: Tamir trägt keine Schuhe, auch nicht seine Brille – ohne die sieht er kaum.
Am 98. Tag ohne ein Lebenszeichen von seinem Sohn sprach Alon bei einem unserer Treffen Anfang des Jahres von der Hölle, die er deshalb jeden Tag erlebe.
Schon damals dachte ich, dieser Mann sieht gebrochen aus. Heute, viele Monate später, frage ich mich, wie oft ein Mensch eigentlich brechen kann, bevor er zerbricht?
Zweiter Geburtstag in Gefangenschaft
Jetzt, im November 2024, an Tag 406 nach seiner Entführung durch Hamas-Terroristen, hat Tamir Nimrodi bereits den zweiten Geburtstag in Gefangenschaft verbracht. Er wurde 20 Jahre alt und kann weiterhin nicht bei seiner Familie, nicht bei seinen Freunden, nicht in Freiheit sein.
Ich sehe Videos aus Israel; sehe Alon am Platz der Geiseln in Tel Aviv, an dem sich seit dem Überfall der Hamas die Angehörigen und Freunde der Entführten regelmäßig mit Unterstützern versammeln. Ich sehe Herut, Tamirs Mutter, und viele andere, die wegen Tamirs Geburtstag gekommen sind. Um seiner zu gedenken, lassen sie gelbe Luftballons steigen.
Tamir war Bildungsoffizier; im Norden Israels, am Grenzübergang Erez, war seine Einheit stationiert. Für seine Zeit in der Armee hatte sich Tamir drei Ziele gesetzt: „So vielen Menschen helfen, wie ich kann. Freunde finden. Verletze niemanden.“ Diese Vorsätze versucht seine Familie umzusetzen: Zu Tamirs Geburtstag rief sie die Menschen auf, zu spenden. Gebäck, Challah und anderes Essen wurde an verwundete Soldaten, an Kranke, an Bedürftige übergeben.
Wer solch unvorstellbares Leid erlebt hat, es weiterhin Tag für Tag durchleben muss, könnte hart werden, verbittert. Statt auf Hass mit Hass zu reagieren, betonen Angehörige wie Alon immer wieder Menschlichkeit, ein Miteinander. Sie nehmen die Liebe, die sie für ihre Kinder, Geschwister, Partner empfinden, und wandeln sie in Kraft um für ihren Kampf. Ich bewundere diese Stärke.
Auf Kosten der Geiseln
Härte und Zorn richten die Menschen, auch Alon, an ihre Regierung. In einem Interview sprach er davon, dass Minister nicht ihren Aufgaben nachkämen, auf Kosten der Geiseln; unfähig seien, ihr Amt auszuführen.
Kritik an Israel, an seiner Regierung, ist möglich (im Westen wird gern Gegenteiliges behauptet); und die Israelis selbst sind die größten Kritiker dieser Regierung. Wenn es bis heute von durchgedrehten Aktivisten, Künstlern und anderen Israelhassern heißt, der Angriff der Hamas hätte eine Vorgeschichte, einen Kontext, sei nur Widerstand und die Entführten seien ja schließlich zum Großteil Soldaten, also bewaffnete Kämpfer gewesen, denke ich an Tamir. Herut, Tamirs Mutter, sagte diesen Mai in Berlin „Es hat die Terroristen nicht interessiert, wen sie töteten und verschleppten. Mein Sohn hat für eine humanitäre Organisation gearbeitet. Sie haben ihn trotzdem entführt.“
Ich weiß, es hängt nicht an irgendwelchen westlichen Künstlern oder Aktivisten, ob Tamir und mit ihm 100 weitere Geiseln frei kommen. Dennoch, es empört mich, macht mich wütend, welche Realititätsverdrehungen seit dem 7. Oktober verbreitet werden. Wie leicht es manchen fällt, ihren Hass in die Welt zu schreien; wie sie diesen einfachen, vorhersehbaren Weg wählen.
Anders als Alon Nimrodi, der bricht und bricht und bricht, und trotzdem für das Gute, die Liebe, für seinen Tamir kämpft.
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