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Impfstoff gegen Covid-19Die Welt hofft auf BNT162

Mit dem Projekt „Lichtgeschwindigkeit“ arbeitet das Mainzer Unternehmens Biontech an einem Impfstoff. Wird es seinem Namen gerecht?

Im Labor von Biontech wird unter Hochdruck geforscht Foto: Stefan Albrecht/Biontech/dpa

Berlin taz | Uğur Şahin, 53 Jahre alt, ist wohl einer der erfolgreichsten Wissenschaftler und Firmengründer in Deutschland: Sein Unternehmen Biontech steht ganz vorne an der Front im Kampf gegen Corona. Die ersten 12 von 200 Freiwilligen haben bereits Spritzen mit den experimentellen Impfsubstanzen aus dem Labor des Unternehmens in Mainz erhalten. In diesen Tagen läuft parallel eine zweite Testreihe in den USA an. Dank genetischer Tricks könnte Biontech damit zu den ersten Anbietern eines funktionierenden Schutzes gegen Covid-19 gehören.

Bei der Vorstellung der Quartalszahlen am Dienstag waren die möglichen Impfstoffe das große Thema. „Das Ziel ist es, möglichst schnell einen sicheren Wirkstoff zu finden, der Schutz vor Covid-19 bietet“, sagte Şahin bei der Vorstellung des weiteren Zeitplans. Er will im Juni oder Juli 2020 erste Daten dazu veröffentlichen, ob der Impfstoff eine Immunantwort auslöst.

„Seit Beginn des Projekts haben wir mit dem Test von vier Wirkstoffkandidaten begonnen“, sagt Şahin. Im kommenden Jahr will sein Unternehmen zusammen mit dem US-Pharmariesen Pfizer „Hunderte von Millionen von Impfdosen“ bereitstellen, wenn alles gut geht.

Der Firmengründer ist in İskenderun im Süden der Türkei geboren, hat in Köln Medizin studiert und ist nun Professor für Krebsforschung in Mainz. Hier gründete er 2008 Bion­tech. Mit dabei: die Ärztin Özlem Türeci, mit der Şahin verheiratet ist, und sein Senior-Kollege Christoph Huber.

Gezielter Angriff auf kranke Zellen

Biontech ist auf die Anwendung von Boten-Ribonukleinsäure, kurz mRNA, spezialisiert. Diese Substanz dient dazu, Baupläne für Moleküle zu speichern. Diese Baupläne können von der chemischen Fabrik in lebenden Zellen ausgelesen werden. Die mRNA wirkt damit wie ein Lochstreifen mit einem Computerprogramm für die Zellmaschine.

Ursprünglich hat Şahin die Hauptanwendung seines Verfahrens im Kampf gegen Krebs gesehen. Die mRNA beschreibt der Zelle dafür Stoffe, die ganz gezielt die Tumorzellen angreifen. Konkret sollen sie das Immunsystem dazu bringen, die kranken Zellen als Problem zu erkennen und zu beseitigen. Die Therapie ist jeweils maßgeschneidert – die enthaltene mRNA beruht auf Proben der Krebszellen des Patienten. Letztlich handelt es sich dabei um so etwas wie eine flexible Impfung gegen Krebs.

Biontech sieht sich daher als Impfstoffspezialisten. Şahin horchte Anfang des Jahres auf, als er von der epidemischen Verbreitung eines neues Coronavirus in China hörte. Bald ließ er die Arbeit an einem passenden Impfstoff auf Basis von mRNA beginnen. Codename: BNT162. Name des Projekts: „Lichtgeschwindigkeit“. Tatsächlich konnten die ersten Tests so zeitig beginnen, weil die Vorbereitungen dafür schon seit Wochen laufen. Neben Pfizer kooperieren die Mainzer auch mit der chinesischen Fosun-Firmengruppe.

Ungefährliches Abbild des Feindes

Für den Corona-Impfstoff beschreibt die mRNA einen Teil des Virus. Einer der vier Wirkstoffkandidaten enthält den Bauplan der auffälligen Stacheln auf dessen Oberfläche. Eine andere Variante beschreibt nur deren Spitze. Schon eine kleine Menge des Wirkstoffs soll die eigenen Körperzellen dazu bringen, dieses Gebilde herzustellen. Sie produzieren also ein ungefährliches Abbild eines Teils des künftigen Feindes. An diesen Bruchstücken soll das eigene Immunsystem sich abarbeiten und dabei lernen, ihn zu besiegen.

Die Beispiele Corona und Krebs zeigen, wie viele Anwendungen diese neue Form der Medizin haben kann. „Biontech könnte zum Amazon der Biotech-Branche werden“, sagte Anfang vergangenen Jahres Thomas Strüngmann, Gründer der Pharmafirma Hexal und ein wichtiger Geldgeber von Biontech. Die Adresse des Unternehmens, „An der Goldgrube“ in Mainz, könnte sich für die Investoren als prophetisch erweisen.

Wie immer in der Biotechnik kann es jedoch auch sein, dass der Ansatz nicht funktioniert. Şahin selbst immerhin glaubt daran, dass die Covid-19-Impfung „hochgradig immunwirksam“ sein wird.

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4 Kommentare

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  • Bisher war noch kein einziger der vielen Grippeimpfstoffe so erfolgreich, dass ich auch nur daran gedacht hätte, mich vorsorglich impfen zu lassen.



    Impfen ist ein einträgliches Geschäft.

    Das heißt aber nicht, dass ich etwas gegen die wenigen, wirklich wichtigen Impfungen eingestellt wäre.

  • Leute

    ich bin entsetzt, dass hier so unkritisch ueber mRNA Impfstoffe berichtet wird, als seien das ganz normale, harmlose Impfstoffe, wie man sie kennt.



    Bislang wurde noch kein einziger RNA-Impfstoff zugelassen. Der Impfstoff soll in die Zelle rein transportiert werden, um da von der Zelle selbst wie andere mRNA Molekuele bearbeitet zu werden. Kein Mensch kann da ernsthaft sagen, welche anderen Wechselwirkungen innerhalb der Zelle zwischen mRNA und Proteinen stattfindet, ob das ganze aggregiert, etc. Das wird auch von Zellgewebe und vom jeweiligen Patienten abhaengen. Als Molekularbiologe habe ich zehn mal mehr Bedenken vor solch einem schlecht getesteten Impfstoff als vor dem Virus.

    Bitte klassische Vaccine bevorzugen (aktiv, passiv bzw humanisierte Antikoerper etc) - das sind bewaehrte Impfplattformen.

    Selbst die Fachgesellschaften fuer Immunologie und Virologie schreiben, dass diese neue mRNA Vaccine Plattform noch ungetestet ist und es sehr intensiver Tests braucht, bis so etwas zugelassen werden kann.

    Siehe auch wikipedia



    A possible concern could be that some mRNA-based vaccine platforms induce potent type I interferon responses, which have been associated not only with inflammation but also potentially with autoimmunity. Thus, identification of individuals at an increased risk of autoimmune reactions before mRNA vaccination may allow reasonable precautions to be taken.[15]

    • @Michel2:

      Das Stichwort, das im Artikel nur unterschwellig erwähnt wird, aber der Schlüssel des Problems ist, lautet:

      SICHER

      Außerdem testen doch auch andere Labore schon Ihre Kandidaten sogar an einzelnen Menschen.



      Sehe ich das irgendwie komplett falsch?



      Wenn ja, inwiefern ist dann ausgerechnet dieses Labor signifikant schneller als die Anderen?.

      (Das Marketing des Geschäftsführers mal beiseite gelassen.)

      • @Sonntagssegler:

        Lieber Sonntagssegler

        ich fuerchte, die Definition von "sicher" koennte ein wenig auf der Strecke bleiben, wenn das Grundproblem Covid-19 so dringend bleibt.

        Mein Punkt ist: wir haben bewaehrte Impfplattformen; da muessen zT nur geringfuegige Aenderungen vorgenommen werden an den Epitoperkennungen und die Sache ist geritzt. Weil bereits vielfach bewaehrt, sind die Risiken zumindest abschaetzbar.



        Aber mRNA Impfstoffe sind was voellig Neues. Das ist ein Unterschied wie Sonntags auf der Spree zu segeln oder in der Luft um den Fernsehturm. Das sind vollkommen verschiedene Welten. Und meines Erachtens ist ein mRNA Impfstof so heikel, dass man da bei jedem neuen mRNA Impfstoff von vorne bei Adam und Eva mit den Testungen anfangen muss. Das ist wunderbar elegant, was die Theorie angeht, aber in der Praxis komme ich da aus moeglichen Nebenwirkungen aufzahlen gar nicht mehr zu einem Ende. Und dabei haben wir ganz sicherlich noch nicht einmal alle Abers auf dem Radar, weil wir schlichtweg zu wenig wissen.



        Deswegen: tolle Idee - aber bloss nicht fuer diesen sehr dringenden Zweck einsetzen.

        Andere Labore moegen dies bereits testen, wenn klassische Vaccinen.



        Aber wie gesagt: mRNA Vaccine bedarf noch viel mehr grundlegende Erfahrungen in die Tiefe bevor meines Erachtens anwendbar.

        Adenoviren als Vehikel waren auch so eine Idee, die inzwischen mit Vorsicht zu geniessen sind, siehe zB



        Immune Responses to Viral Gene Therapy Vectors.



        Shirley et al, 2020