piwik no script img

Immobilienkrise in ChinaEvergrande wird aufgelöst

Der chinesische Immobilienriese wird per Gerichtsanordnung abgewickelt. Das bringt die Regierung in Peking massiv unter Druck.

Das weltweit am höchsten verschuldete Unternehmen: Evergrade-Baustelle in China Foto: Long Wei/Avalon/imago

Peking taz | Es ist vorbei für Evergrande. Chinas krisengeplagter Immobilienriese habe in den letzten anderthalb Jahren „keinen Umstrukturierungsvorschlag, geschweige denn überhaupt einen tragfähigen Vorschlag“ vorgelegt, entschied die Hongkonger Richterin Linda Chan am Montag. Die Interessen der Gläubiger seien daher „besser geschützt“, wenn das Bauunternehmen nun endgültig abgewickelt würde.

Evergrande wird also per Gerichtsentscheidung aufgelöst. Seit Jahren bereits schwelt im Reich der Mitte eine Immobilienkrise, die wie ein Bremspedal das Wachstum der Volkswirtschaft lähmt. Denn in keinem anderen Staat von vergleichbarer Größe spielt die Baubranche eine derart große Bedeutung für das Bruttoinlandsprodukt, und nirgendwo ist der soziale Frieden so mit ihr verknüpft.

Die Causa Evergrande stellt dabei weder die erste noch die letzte Pleite eines Immobilienkonzerns dar, doch mit Sicherheit ist es die spektakulärste: Über 300 Milliarden Dollar Schulden hat Evergrande über die Jahre angehäuft, mehr als jeder andere Konzern weltweit. Zum Glück für das internationale Finanzsystem sind die allermeisten der Verbindlichkeiten in Festlandchina verortet.

Das letzte Wort hat jetzt die kommunistische Parteiführung in Peking. Diese ist – zumindest theoretisch – nicht dazu verpflichtet, das Hongkonger Urteil tatsächlich umzusetzen. Es gilt allerdings als unwahrscheinlich, dass Staatschef Xi Jinping ein umfassendes Rettungspaket für den gefallenen Bauriesenschüren wird. In seinen Reden hatte der 70-Jährige mehrfach klargemacht, dass die Unternehmen auch die Verantwortung für ihr Handeln übernehmen müssten.

Warum Evergrande für ganz China wichtig ist

Denkbar wäre allerdings sehr wohl eine Art „chinesischer Sonderweg“, wie Jacob Gunter von der Berliner Denkfabrik Merics argumentiert: Demnach würde Peking zwar grundsätzlich mit der angeordneten Liquidierung von Evergrande fortfahren, jedoch den Prozess etwas abfedern und verlangsamen.

Für die auf Stabilität bedachte Zentralregierung steht bei der Immobilienkrise indirekt auch ihre Existenz auf dem Spiel: Allein durch die Evergrande-Pleite dürften weit über eine Million chinesische Haushalte auf Immobilien sitzenbleiben, die sie zwar bereits bezahlt haben, die jedoch niemals fertig gebaut werden – wenn nicht der Staat einspringt.

Jeder einzelne Fall ist in den Augen Pekings eine tickende Zeitbombe. Wenig fürchtet die Parteiführung mehr, als dass die urbane Mittelschicht gegen den Machtanspruch der KP aufbegehrt. Deren Legitimation beruht schließlich seit der wirtschaftlichen Öffnung in den 1980ern auf einem unausgesprochenen Gesellschaftsvertrag: Das Volk gibt seine politische Mitbestimmung ab, erwartet aber von seiner Regierung, dass sie für stetig wachsenden Wohlstand sorgt.

Mit der Pandemie ist das Wachstumsversprechen jedoch ins Stocken geraten, woran die Immobilienkrise einen großen Anteil hat. Der jetzige Scherbenhaufen kommt keineswegs überraschend, sondern ist vielmehr eine Krise mit Ansage. Über etliche Jahre hat sich schließlich die Immobilienblase in der Volksrepublik – trotz der Warnungen von Experten – immer weiter aufgebläht.

Die riskanten Schneeball-Kredite gieriger Bauentwickler wie Evergrande waren jedoch nur ein Teil des Problems. Denn auch der Staat profitierte als Nutznießer dieses Systems: Da die Bürgerinnen und Bürger im kommunistischen China per Verfassung kein Land besitzen dürfen, sondern dieses nur auf maximal sieben Jahrzehnte gepachtet bekommen, stand den Lokalregierungen im Immobiliensektor eine scheinbar unerschöpfliche Goldgrube zur Verfügung.

Wann immer die öffentliche Hand knapp bei Kasse war, konnte sie die Nutzungsrechte für neues Bauland verkaufen – und dies bevorzugt zu astronomischen Preisen. Die Privathaushalte haben große Teile ihres Ersparten – manche Experten gehen von über 70 Prozent aus – im Wohnungsmarkt geparkt. Aufgrund der strengen Kapitalkontrollen können sie ihr Geld nicht ins Ausland bringen, und innerhalb Chinas stehen ihnen nur begrenzte Anlagemöglichkeiten zur Verfügung.

Der heimische Aktienmarkt ist aufgrund des politisch disruptiven Systems keine Alternative: Die Kurse befinden sich branchenübergreifend seit Jahren auf einer regelrechten Talfahrt. Die Immobilienpreise stiegen hingegen rasant an. Doch auf ewig konnte das Geschäft nicht gut gehen. Denn auch der Leerstand wuchs mit atemberaubender Geschwindigkeit, überall säumen mittlerweile riesige Bauruinen die chinesischen Vorstädte.

Mehr leere Wohnungen als Chinesen

Wie massiv das Problem der Überkapazitäten ist, schilderte im letzten Herbst der ehemalige Vize-Direktor des Statistikamts He Keng: Er geht davon aus, dass wohl selbst die gesamte chinesische Bevölkerung von 1,4 Milliarden nicht ausreichen würde, um alle leerstehenden Wohnungen zu füllen.

Erst Ende 2020 zog die Regierung die Reißleine: Xi Jinping ordnete seinen Banken an, Kredite für Immobilienfirmen an strengere Kriterien zu knüpfen. Über Nacht begannen die Bauentwickler an zu taumeln – es dauerte nicht lange, bis auch diejenigen pleitegingen, denen noch wenige Monate zuvor ein gesundes Geschäftsmodell nachgesagt wurde. Evergrande war bereits seit anderthalb Jahren zahlungsunfähig, doch bekam immer wieder vom Staat zeitlichen Aufschub. Genutzt hat es am Ende nichts.

Die Nachricht über die Evergrande-Pleite wurde im streng zensierten chinesischen Internet geradezu stiefmütterlich behandelt, als ob es sich um eine bloße Randnotiz handeln würde. Die englischsprachige Staatspropaganda erwähnte das Thema selbst am späten Nachmittag mit keiner Silbe, die chinesischsprachigen Medien platzierten die Nachricht wenig prominent auf ihren Webseiten.

Wer aber gezielt auf der Onlineplattform Weibo sucht, der wird mit dem geballten Frust der chinesischen Internetnutzer konfrontiert, die keine Illusion darüber haben, wer am Ende die Last für die gestrauchelten Immobilienriesen tragen muss. „Es ist eine Ehre, für unser Land zu zahlen“, kommentiert etwa ein User zynisch.

Ein anderer meint: „Es ist wieder Zeit, das Lauch zu schneiden.“ Sein Posting spielt auf eine gängige Metapher an, bei der sich der Volksmund mit der schnell wachsenden Nutzpflanze vergleicht, die regelmäßig vom übermächtigen Staat geerntet wird.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!