Immer Ärger mit Pronomen: Ich bin kein Mensch mit Uterus!
Ich sehe nicht ein, mich mit dieser Gender-Scheiße zu beschäftigen, während uns die Welt um die Ohren fliegt. Und überhaupt ist alles so anstrengend!
E in:e Freund:in von mir… – stopp, falsch. Doppelpunkte, Sternchen, Unterstriche sind unerwünscht. Noch mal: Eine Person, mit der ich befreundet bin, möchte nicht mit Pronomen bezeichnet werden, sondern mit ihrem Namen, weil sie weder Frau noch Mann ist.
Das ist im direkten Kontakt ziemlich unproblematisch: Die zweite Person Singular ist unverdächtig und in der Mail heißt es nicht „Liebe“ oder „Lieber“, sondern „Hallo X“. Aber ha! Wenn ich mit einer gemeinsamen Freundin über die Person spreche, wird es interessant. In jedem zweiten Satz muss entweder ich mich korrigieren oder werde korrigiert oder ich weise meine Freundin darauf hin, dass sie ein falsches Pronomen benutzt hat.
Das macht Gespräche nicht gerade flüssiger und manchmal bin ich so genervt, dass ich schreien könnte. Denn sie (die Person) ist ja nicht die einzige, die mir eine sprachliche Neuorientierung abverlangt. Und weil alles andere auch schon so anstrengend ist, werde ich bockig und ungerecht. Ich sehe nicht ein, dass ich mich mit dieser Gender-Scheiße beschäftigen soll, während uns die Welt um die Ohren fliegt. Kommt mir jetzt bitte nicht mit eurem Identitätsgedöns, ich habe andere Probleme! Und ihr auch! Klimawandel, Pandemie, Nazis, Krieg, Inflation – schon vergessen?
Anstatt meine Zeit damit zu verschwenden, den Gender-Doppelpunkt aussprechen zu lernen, würde ich gerne die Finanzierung des deutschen Gesundheitssystems verstehen, jedenfalls im Ansatz, denn wenn wir später alle arm, krank und alt sind und unsere Kinder damit beschäftigt, Sandsäcke zu schleppen, werden Pronomen unsere geringste Sorge sein. Ein Systemwechsel muss her, dann erledigt sich das mit den Nebenwidersprüchen von selbst.
Und wenn ich schon mal dabei bin: Könnt ihr (alle, die nicht ganz cis in der Birne sind), euch bitte wenigstens einigen! Die einen verbitten sich Pronomen ganz, andere wollen ein „x“, „they“ oder „nin“. Die Möglichkeiten sind endlos: Auf einer Liste im Internet habe ich über 40 verschiedene Vorschläge für geschlechtslose Pronomen gefunden. Mir schwindelt.
Personen sind Strichmenschchen
Richtig übel wird mir, wenn ich von „Menschen mit Uterus“ lese oder dazu aufgefordert werde, das in meine Artikel zu schreiben. Ich will keine blutigen Organe vor mir sehen, sondern Menschen. Und davon abgesehen: ICH BIN KEIN MENSCH MIT UTERUS! UND AUCH KEINER MIT KLITORIS! Das habe ich zwar, aber ich möchte so nicht bezeichnet werden, WEIL ICH ZUM TEUFEL NOCH MAL EINE FRAU BIN und das lass ich mir von niemandem wegnehmen!
Und ich bin auch keine Person. Es macht mich wahnsinnig, wenn die jungen Menschen nur noch von Personen sprechen, da sehe ich Strichmännchen (Strichmenschchen?) vor mir, Verkehrsschilder, aber keine Menschen mit Gesichtern und Gefühlen und weiblich und männlich Gelesene gibt es auch nicht, es gibt ja nicht einmal weibliches Schreiben und …
Stopp. Worum ging es? Ach ja. Um die Bitte eines Menschen, mit dem ich befreundet bin, ihn nicht zu missgendern. Wie weh das tut, verstehe ich gut. Mir passiert das zwar nicht täglich, nur etwa einmal in der Woche. Denn nur sehr wenige Menschen kommen auf die Idee, einen Vornamen, den sie noch nie gehört haben, nachzuschlagen. Und schließlich kennen sie jemand, der heißt Eike, da ist ja klar, dass Eiken ein Männername ist. So wie Martina und Simone. Zumal Eike auch ein Frauenname ist. Vollpfosten, alle.
Man könnte denken, dass ich mich in fast 50 Jahren daran gewöhnt hätte, für einen Mann gehalten zu werden. Aber nein, ich werde immer noch wütend, jedes verdammte Mal. Unter der Wut liegt die Verletzung, nicht als die gesehen zu werden, die ich bin.
Und deshalb: Ja, es ist anstrengend, alle richtig anzusprechen und ja, wir dürfen Fehler machen und genervt sein. Aber die Welt wird bestimmte keine bessere, wenn Mehrheiten darüber entscheiden, was Minderheiten zusteht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen