Im Rechtsruck gegen den Faschismus: Antifa – mit oder gegen Deutschland?
Der Antifa-Ratschlag in Berlin zeigt, dass die Aktivisten vor denselben Fragen wie die Klimabewegung stehen. Es ist ein wichtiges Treffen der Szene.
E s war der dritte Versuch des Widersetzen-Bündnisses, antifaschistischen Protest wieder ungemütlich zu machen: Als vor einer Woche Zehntausende Antifas die Zufahrtswege zur Gießener Weststadt blockiert haben, um die Neugründung der rechtsextremen AfD-Jugend zu verhindern. Der Anspruch: die gesellschaftliche Empörung über den Rechtsruck dorthin zu bringen, wo sie den Faschist:innen wehtut. Eine Lehre aus den riesigen Demos gegen rechts Anfang 2024, die ebenso schnell wieder verpufft waren, wie sie entstanden sind.
Doch was folgt auf die Massenblockaden? Genügen sie, um den Faschismus in Deutschland zu stoppen? Drei Tage lang wurde am Wochenende in Kreuzberg auf dem diesjährigen Antifa-Ratschlag darüber und über vieles mehr diskutiert. Dutzende Antifas informierten sich hier in Workshops zu IT-Sicherheit und den neonazistischen Strukturen in der Stadt, zur Unterstützung von CSDs in Brandenburg, zu rechten Medienakteuren und migrantischen Selbstschutzorganisationen. Der Ratschlag gilt als eines der wichtigsten Treffpunkte der Szene.
Auf dem Auftaktpanel am Freitag kristallisierte sich dabei eine entscheidende Frage für die Bewegung heraus: Ist es die Aufgabe der Antifa heute, möglichst viele Akteure gegen den Faschismus zu mobilisieren? Oder sind solche Versuche nicht doch vergebene Liebesmüh, weil dieses Land nun mal nicht zu retten ist? Eine Vertreterin einer autonomen Kleingruppe brachte diese Fragestellung auf die Formel: „Die Frage ist, kämpfen wir mit oder gegen Deutschland?“.
Politik der Hoffnung oder des Kollapses?
In vielerlei Hinsicht ähnelt diese Diskussion der Debatte, die derzeit auch die Klimabewegung beschäftigt: Soll man auf eine Politik der Hoffnung setzen, die durch möglichst breite Bündnisse Mehrheiten zu sichern versucht? Oder bereitet man die eigenen Räume lieber auf den Kollaps vor und schafft Strukturen, die selbst dann noch funktionieren, wenn die Gesellschaft weiter ins Autoritäre abgleitet?
Ein Vertreter des VVN-BdA formulierte die Notwendigkeit für Bündnisse so: „Die politische Linke hat in diesem Land keine Mehrheit und wird auch keine bekommen. Es braucht deshalb eine Mitte, die sagt: ‚Nazis sind scheiße.‘“ Weil genau das aber gerade krümele, müsse man nun „alles zusammenraffen, was geht.“ In eine ähnliche Richtung schlug eine Vertreterin von Widersetzen, die die Notwendigkeit von Massenaktionen des zivilen Ungehorsams betonte. „Um überhaupt irgendetwas zu bewirken, müssen wir viele sein“, sagte sie.
Vor Gericht, weil abgestochen?
Am Montag stehen zwei Berliner Antifas vor Gericht, weil sie einen Neonazi mit einem Messer angegriffen haben sollen. Komisch nur, dass im Anschluss die beiden Antifas mit Stichverletzungen im Krankhaus aufgewacht sind. Statt dem Nazi, stehen nun die Antifas vor Gericht. Der Fall wirft viele Fragen auf – was eine solidarische Prozessbegleitung nur noch wichtiger macht.
Montag, 8. und 15. Dezember, Amtsgericht Tiergarten, Wilsnacker Str. 4, jew. 8:30 Uhr
Soli für Mumia Abu-Jamal
Seit 44 Jahren sitzt der Journalist und ehemalige Pressesprecher der Black Panther Party Mumia Abu-Jamal nun schon wegen eines mutmaßlichen Polizistenmords im Gefängnis. An seinem 44. Haftjahrestag gibt es eine Kundgebung vor der Amerikanischen Botschaft.
Dienstag, 9. Dezember, Pariser Platz/Brandenburger Tor, 18 Uhr
Saale bleibt
Weil ein Dienstleister über Jahre Leistungen in einer Obdachlosenunterkunft abgerechnet, aber nicht geleistet haben soll, hat der Neuköllner Sozialstadtrat Hannes Rehfeldt (CDU) einen sofortigen Einweisungsstopp angeordnet. Eine Initiative kritisiert, so würden die Bewohnenden bestraft – obwohl die für Situation gar nichts können. Es gibt Protest vor der BVV.
Mittwoch, 10. Dezember, Rathaus Neukölln, 16 Uhr
Stadtrundgang zu Obdachlosigkeit
Janet Amon ihre Erfahrungen war lange selbst wohnungslos. Jetzt teilt sie ihre Erfahrungen als Frau auf der Straße, betont die Herausforderungen von Gewalt und erklärt, warum ein Wohnheimplatz allein keine ausreichende Lösung ist. Und sie erklärt, wie sie sich politisiert hat. Preis 10 Euro, Tickets gibt es hier.
Samstag, 13. Dezember, Berliner Congress Centrum (Alexanderplatz), 14 Uhr
Gerechtigkeit für Nelson
Nelson war nur 15 Jahre alt, als er tot in einer Zelle der JVA Ottweiler im Saarland aufgefunden wurde, wenige Tage nach Beginn seiner Haft. Die offizielle Todesursache ist Suizid, doch sein Fall wirft viele Fragen auf. Am 13.12. findet ein Protest statt, die Gerechtigkeit fordert – für alle Opfer von Polizeiwillkür.
Samstag, 13. Dezember, Oranienplatz, 14 Uhr
„ACAB = Krieg dem System“
Am 13.12. gibt es fast jedes Jahr polizeifeindliche Demos – so auch in diesem Jahr. Autonome und palästinasolidarische Gruppen rufen zum Protest unter anderem gegen Racial Profiling, polizeiliche Täter-Opfer-Umkehr und Abschiebungen auf.
Samstag, 13. Dezember, Helsingforser Platz, 18 Uhr
Dass gegen solche Aussagen im Publikum Unmut zu vernehmen war, mag einen Grund haben. Denn Klimaaktivist:innen wissen: SPD und Grüne lassen sich zwar von Problemen wie Klimakrise oder Faschismus überzeugen, doch sobald es um mehr als Lippenbekenntnisse geht, folgt fast sicher die Enttäuschung.
Die Illusion des bürgerlichen Antifaschismus
Wie die Klimakrise ist auch der Faschismus letztlich eine Krise des Kapitalismus – an dem aber bürgerliche Akteure bekanntlich nicht rütteln. Klimapolitik ist stets dann gescheitert, wenn greifbar wurde, dass „grüner Kapitalismus“ ein Trugbild ist, weil ohne Eingriffe in die Produktionsverhältnisse nichts geht. Vielleicht müssen sich daher auch Antifas einer unbequemen Wahrheit stellen: dass bürgerliche Bündnispartner sich in Horkheimers Formel „Sozialismus oder Barbarei“ am Ende tatsächlich für Letzteres entscheiden könnten.
Die Vertreterin einer autonomen Gruppe betonte deshalb, man könne sich auf den Staat nicht verlassen: weder in Sachen AfD-Verbot, noch beim Bekämpfen der Ursachen des Faschismus. Man müsse sich darauf einstellen, dass Antifa zu sein in der Zukunft noch mehr bedeuten wird, mit dem Staat Probleme zu bekommen. Gegen diese triste Perspektive wirkten die Hinweise des Vertreters des VVN-BdA wenig aufbauend: Deutschland sei natürlich nicht zu trauen, aber es bleibe ja nichts anderes übrig („we fake it till we make it“), meinte er.
Vielleicht gibt es aber noch eine Lösung. In der Klimabewegung wird noch ein dritter Ansatz diskutiert: der Klimapopulismus, der versucht, Klassenkampf und Klimapolitik zu verknüpfen. Zuletzt ist es in New York Zohran Mamdani gelungen, mit einer solidarischen Interpretation der Gegenwart Wahlen zu gewinnen. Und auch das kann ja vielleicht Hoffnung geben: Im Gegensatz zum physikalisch definierten Kipppunkt des Weltklimas ist der Rechtsruck in erster Linie ein soziales Phänomen – weshalb er auch noch gestoppt werden kann.
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