Im Blaumann aus Berlin nach Afghanistan: Abschiebung(en) vollzogen
Trotz Protesten aus der Koalition wurde am Mittwoch ein 21-jähriger Afghane aus der Jugendarrestanstalt abgeschoben. Er war nicht der Einzige.
Der 21-Jährige hatte nach mehreren teils schweren Straftaten wie gefährlicher Körperverletzung eine zweieinhalbjährige Haftstrafe zu verbüßen, die im Frühjahr 2021 beendet gewesen wäre. Das Berliner Bündnis gegen Abschiebungen nach Afghanistan, dem auch der Flüchtlingsrat angehört, protestierte gegen die Abschiebung des Mannes, der 2014 minderjährig und ohne Familie nach Berlin gekommen war. Diese würde dessen sämtliche Erfolge während der Haft – psychische Stabilisierung, Erlangung der erweiterten Berufsbildungsreife, Ausbildung zum Peer-Mediator, Drogenfreiheit – konterkarieren, sagt Georg Classen, Sprecher des Berliner Flüchtlingsrats, laut einer Presseerklärung des Bündnisses.
Innensenator Andreas Geisel (SPD) sagte auf Nachfrage der taz am Donnerstag, er „nehme zur Kenntnis, dass der Flüchtlingsrat das aus der Perspektive des Täters und dessen Zukunft sieht. Ich sehe das aus der Perspektive der Opfer und möglicher zukünftiger Opfer.“ Der Abgeschobene habe in der Haft „labiles Verhalten“ gezeigt und sei deshalb weder in den offenen Vollzug gelangt, noch sei ihm Haftverkürzung gewährt worden. „Ich habe für den Schutz der Menschen in Berlin zu sorgen“, so Geisel.
Kritik aus der Koalition
Aus der Koalition gab es Kritik an der Abschiebung. Laut Koalitionsvertrag seien Rückführungen, die aus humanitären Gründen nicht tragbar seien, ausgeschlossen, twitterte die Grünen-Abgeordnete Susanne Kahlefeld: „Ist das der übliche Ruck der @spdberlin nach rechts vor der nächsten Wahl?“
Auch die Linke zeigte sich verstimmt: Die Koalition habe einen anderen Geist vereinbart, sagte deren Fraktionssprecher für Innenpolitik, Niklas Schrader, der taz. Dies sei nicht das erste Mal, dass Geisel sich darüber hinweg setze. Auch Mitglieder aus Geisels eigener Partei hatten sich im Vorfeld gegen die Abschiebung ausgesprochen.
Laut Rechtsanwältin Dubick wurde am Mittwoch noch ein weiterer Mann aus der Berliner Jugendarrestanstalt nach Afghanistan abgeschoben. Dem Flüchtlingsrat liegen laut Sprecher Georg Classen keine Informationen zu diesem Fall vor. Der Sprecher des Innensenators bestätigte gegenüber der taz die zweite Abschiebung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste