Ideenwettbewerb Tempelhofer Feld: Misstrauen ist angebracht
Die leere Weite in der Mitte Berlins weckt, so unbebaut, wieder mal Begehrlichkeiten. Gerade ist ein Ideenwettbewerb zum Tempelhofer Feld gestartet.
D er Berliner Senat will die Bebauung des Tempelhofer Feldes trotz aller Widerstände voranbringen. Gut 10 Jahre nach dem Erfolg des Volksentscheids, der jegliche Bebauung per Gesetz untersagte, startete am Mittwoch ein neuer Ideenwettbewerb. Renommierte Landschafts- und Architekturbüros sollen Entwürfe entwickeln, die den Berliner:innen zumindest eine teilweise Bebauung des Rollfelds des ehemaligen Flughafens schmackhaft machen sollen.
Der Senat argumentiert, die sich verschärfende Wohnungsnot hätte die Rahmenbedingungen verändert, heute sei bestimmt eine Mehrheit der Hauptstädter:innen für eine Bebauung. Eine fragliche Argumentation, denn am grundlegenden Problem hat sich nichts verändert: Die Motivation des Senats sind kapitalistische Verwertungsinteressen, und nicht das Allgemeinwohl.
Dabei wurde auch in den beiden Dialogwerkstätten, die der Senat im Vorfeld des Ideenwettbewerbs mit zufällig ausgewählten Bürgern veranstaltete, klar: Das Feld soll so bleiben, wie es ist.
Die Debatte über die Bebauung des Tempelhofer Felds mag dabei gerade für Nichtberliner:innen etwas absurd anmuten. Denn was könnte eine Großstadt wie Berlin mit einer zentral gelegenen 300-Hektar-Freifläche alles anstellen: dringend benötigter sozialer Wohnraum, eine öffentliche Bibliothek, ein Park, Wald oder gar See. An Gestaltungsideen für das Tempelhofer Feld mangelt es seit der Einstellung des Flugbetriebs 2008 nicht.
Klare Mehrheit gegen eine Bebauung
Doch die Berliner:innen entschieden sich, lieber (fast) nichts zu tun. Im Jahr 2014 stimmte eine klare Mehrheit im Volksentscheid gegen jegliche Bebauung. Objektiv betrachtet überzeugen nur wenige Argumente für einen hundertprozentigen Erhalt der leeren Fläche. So wird die stadtklimatische Bedeutung des Feldes überschätzt. Der Klimatologe Dieter Scherer berechnete, dass der Kühlungseffekt nur die angrenzenden Wohnungsgebiete erreiche, nach wenigen hunderten Meter aber kaum noch einen Effekt habe. Stadtklimatisch sinnvoller wäre es, kleinere, über die Stadt verteilte Grünflächen neu zu schaffen – oder auf Nachverdichtung zu verzichten.
Befürworter:innen betonen an dieser Stelle gerne den subjektiven Wert des ehemaligen Flughafengeländes, den freien Blick, den frischen Wind, die malerischen Sonnenuntergänge. Doch mal ehrlich, sind ein paar betonierte Rollbahnen und 300 Hektar Wiese, die kaum Schatten bieten, wirklich das Nonplusultra der Naherholung?
Angesichts knapper Kassen in Berlin gehört allerdings nicht viel Fantasie dazu, dass aus den versprochenen Sozialwohnungen überteuerte Luxuswohnungen werden. Wer kann versichern, dass aus einem Park nicht mal ein privater Golfplatz wird?
Die Stadtentwicklungspolitik des Nachwendeberlins folgte bislang immer dem Muster, öffentliche Flächen an private Investoren zu verscherbeln. So ist das ehemals pulsierende kulturelle Leben am Spreeufer längst gesichtslosen Bürobauten gewichen. Warum sollte es beim Tempelhofer Feld anders sein?
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Schwer vorstellbar ist es auch, dass auf die Bebauung von Pankower Innenhöfen verzichtet wird, weil auf dem Tempelhofer Feld Wohnungen entstehen. Es wird beides passieren, weil jede bebaubare Fläche in dieser Stadt eine Profitmöglichkeit ist.
Was auch immer als Siegerentwurf aus dem Ideenwettbewerb hervorgehen wird, mag zwar auf dem Papier gut klingen. Doch jede Bebauung hätte zur Folge, die Fläche in für die Immobilienbranche verwertbare Grundstücke aufzuteilen. Wenn das Tempelhofer Feld ein Ort für die Allgemeinheit bleiben soll, führt so leider kein Weg am Erhalt des Status quo vorbei.
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