IS-Shirt bei „Toptier Takeover“: Die Grenzen des Battle-Rap
Ein Kameramann bei einem großen Battle-Rap-Turnier trägt ein T-Shirt mit Logo des „Islamischen Staats“. Reagiert die Szene angemessen darauf?
Während der Veranstaltung mit hunderten Zuschauern reagiert niemand – weder die Fans, noch die Organisatoren schreiten ein. Anschließend wird das Video für die über 475.000 Abonennten hochgeladen, das IS-Logo ist mehrfach zu sehen. Koch ist wütend. „Warum kann so ein starkes politisches Symbol bei dieser Veranstaltung unwidersprochen gezeigt werden?“, fragt er. „Warum steht da keiner auf und sagt: Nein, Dicker, kein Fußbreit den Faschisten! Warum nicht?“
Der Fall Deso Dogg habe gezeigt, dass der Übertritt aus der Rapszene in den „Islamischen Staat“ gemacht werden kann. Deso Dogg war bis vor zehn Jahren in der Berliner Gangstarap-Szene aktiv, bevor er als salafistischer Prediger in Erscheinung trat und sich schließlich im Jahr 2013 Dschihadisten in Syrien anschloss, wo er vermutlich im Januar 2018 getötet wurde.
Kurz nach Kochs Kritik reagieren die TTT-Verantwortlichen. Der Kameramann gehöre nicht zum Team, habe bei dem Turnier in Frankfurt auf der Bühne Fotos schießen dürfen. „Wir distanzieren und komplett von dem Typen. Ich übernehme die Verantwortung und stelle alle betroffenen Videos offline“, erklärt der Rapper Tierstar, der das Battle-Turnier moderiert, in einer Videobotschaft.
In dem dreiminütigen Statement wird von einer „Symbolik, die nicht mit unsere Wertevorstellung vereinbar ist“ gesprochen. Um was es genau geht, wird nicht gesagt. Der T-Shirt-Träger werde angezeigt. Tatsächlich ist das Tragen des schwarzen Banners in Deutschland ähnlich wie beispielsweise das Hakenkreuz verboten, da der „Islamische Staat“ als verfassungsfeindliche Organisation klassifiziert ist.
Absurde Stellungnahme
Auch der Shirtträger selbst meldet sich Stellungnahme zu Wort, die stellenweise absurd erscheint. „Das Shirt zu tragen war eine Beuys'sche Handlung. Die Badewanne, die zum Putzen provoziert. Dabei war es weder meine Absicht, jemanden bloß zu stellen, noch zur Gewalt aufzurufen, sondern alleinig aufzuzeigen, wie leichtfertig heute geurteilt oder einfach ignoriert wird“, erklärt er. Und weiter: „Mir wird bewusst, dass Klischees und Symboliken keiner genauen Identifizierung mehr unterliegen, sondern eine einfache Anlehnung schon reicht, um einen Shitstorm auszulösen.“ Koch akzeptiert dies nicht. „Du machst dich mit dieser Gruppe gemein. Das ist ein Solidarisieren“, meint er in einem weiteren Video zum Vorfall.
Wer schon mal das eine oder andere Rapbattle gesehen hat, könnte über diese Kritik verwundert sein. Das Ziel der vorgetragenen Rap-Parts ist es meist, den Gegner zu demütigen, zu erniedrigen, fast schon lyrisch zu vernichten. Das kann durchaus unterhaltsam sein. Doch moralische Grenzen scheint es nicht zu geben – auch bei den großen und sehr erfolgreichen Formaten wie „TopTier Takeover“ oder dem nicht mehr existierenden „Rap am Mittwoch“.
Auf der Bühne dargebotene Frauen- und Schwulenfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus sind dabei alltäglich. Eine Fahne einer islamistischen Terrororganisation schockiert da offenbar kaum noch. Für Koch gibt es jedoch einen Unterschied: Das Battle sei ein „Boxkampf aus Worten“, sagt er in seiner Sendung, eine „Kunstform“, die er akzeptiere. „In dem Container des Battleraps sind die moralischen Grenzen weit, weit, weit verschoben. Links und rechts davon nicht.“ Der Fotograf stand zwar auf der Bühne, war aber nicht Teil des Battles.
Anruf beim Rapper Ben Salomo, der gerade zur Bewerbung seines autobiografischen Buchs „Ben Salomo bedeutet Sohn des Friedens“ auf der Leipziger Buchmesse ist. Er hatte jahrelang „Rap am Mittwoch“ (RAM) moderiert und sich im vergangenen Jahr aus der Hip-Hop-Szene zurückgezogenen – aufgrund gescheiteter Bemühungen gegen den Antisemitismus innerhalb der Szene. Mit den Grenzen des Sagbaren im Battle-Rap hat er sich ausführlich beschäftigt.
Unkritische Szenemedien
„Wenn die Leute sich auf der Bühne auf diesen Kampf einlassen, darf es erstmal in alle Richtungen gehen. Da bekommt jeder was ab. Doch ich ziehe eine klare Grenze bei Worten und Wortschöpfungen, die sich eindeutig im Nazi-Jargon verorten lassen“, sagt der jüdische Rapper zur taz. „Und rechtsextreme und islamistische Symbole gehen natürlich gar nicht – wenn diese auf Kleidungsstücken zu sehen sind, hat das den Rapkontext schon verlassen.“
Auf seiner RAM-Bühne hat Ben Salomo viel erlebt, doch vom IS-Shirt war sogar er überrascht. „Es ist seltsam, dass so ein weit verbreitetes Symbol niemandem auffällt. Wenn jede Grenze fällt, kann das schädlich für den gesellschaftlichen Frieden sein.“ Er kritisiert, dass die Glorifizierung von Islamismus, Frauenverachtung, Homophobie und Kriminalität von den Hip-Hop-Medien kaum kritisch hinterfragt würde.
Zum aktuellen Vorfall meint er: „Das Schweigen der Hip-Hop-Medien ist ohrenbetäubend. Über meine Kritik an der Verbreitung von antisemitischen Denkmustern in der Rapszene wurde zwar in einigen Medien berichtet, sie hatte jedoch keine Konsequenzen.“ Andere Rapper seien nicht mit dieser Kritik konfrontiert worden. „Stattdessen können gewisse Protagonisten in Interviews wieder nahezu unwidersprochen Israel mit dem Nationalsozialismus vergleichen.“
Auch in der Süddeutschen Zeitung wird kritisiert, dass der Vorfall „in der Szene und seinen eigentlich extrem umtriebigen, sehr selbstbewussten und reichweitenstarken Internet-Medien überhaupt nicht vorkam“. Doch ist das wirklich so? Dem entgegenzuhalten wäre, dass das Hip-Hop-Format „Einigkeit & Rap & Freiheit“ den Vorfall öffentlich machte und sich die TTT-Veranstalter ebenfalls äußerten.
Doch tatsächlich ist festzustellen, dass einige Hip-Hop-Medien unbequeme Themen wie Diskriminierung im Rap aussparen oder gar verleugnen. In vielen Interviews der reichweitenstarken Rap-Portale wie hiphop.de oder TV Straßensound wird nicht kritisch nachgefragt, damit die Stars auch weiterhin in die Sendungen kommen und für Klicks sorgen. Andere Portale wie allgood.de oder auch das splash! Mag sind da durchaus kritischer.
Und auch der aktuelle Vorfall ist in vielen Szenemedien kein Thema. Dass es keine Diskussionen darüber gebe, stimmt jedoch keineswegs. Mit einem hat der SZ-Autor allerdings recht: Die Szene ist sich ihrer Verantwortung zu selten bewusst. Das IS-Shirt auf der großen Bühne wäre ein guter Anlass, darüber zu diskutieren.
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