IS-Prozess in Hamburg: Grenzen der Gutgläubigkeit
In Hamburg steht eine mutmaßliche IS-Unterstützerin vor Gericht. Die Frau will jedoch nur Zuflucht vor Islamhetze gesucht haben.
Sie soll sich, so die Anklage, 2016 gegenüber der IS-Unterstützerin Marcia M. dazu bereit erklärt haben, einen nach Deutschland einreisenden IS-Mann und potenziellen Attentäter bei sich aufzunehmen und zu heiraten. Außerdem soll sie sich eine unter falschem Namen registrierte Mobilnummer verschafft und damit für M. Accounts bei Telegram, Whatsapp und Facebook angelegt haben. Marcia M., gegen die getrennt ermittelt wird, soll mit ihrem Mann vom syrischen Rakka aus einen Anschlag auf eine Großveranstaltung in Deutschland geplant haben.
Songül G., so erklärt es ihr Anwalt Martin Heising, wird vor Gericht keine Angaben machen – zumindest vorerst nicht. Aber sie verliest eine Erklärung. G. trägt einen Hidschab und ein langes mit Blumen bedrucktes Gewand. Sie wirkt mädchenhaft, aber nicht unsicher, als sie vorträgt, welchen der Vorwürfe sie einräumt – und welche nicht.
G. sagt, dass sie die Telefondienste Marcia M. tatsächlich zur Verfügung gestellt habe – aber nur, um ihre eigene Ausreise nach Syrien zu organisieren. Wegen zunehmender „Islamhetze“ habe sie sich in Deutschland nicht mehr wohlgefühlt. In Marcia M., die sie über ein Internetforum kennengelernt hat, habe sie lediglich eine Haus- und Ehefrau eines IS-Mannes gesehen, nicht aber eine eigenständige IS-Unterstützerin.
Funktionskleidung für Syrien
Und die Mobilnummer habe sie, so sagt G., nur deshalb unter falscher Identität angelegt, weil sie Angst vor Beobachtung durch die Behörden und einer Ausreisesperre gehabt habe. Dass sie nur habe ausreisen wollen, ließe sich auch daran erkennen, dass sich ihr Einkaufs- und Verkaufsverhalten nach dem mutmaßlichen Eheangebot nicht geändert habe: Sie habe weiterhin ihre alten Anziehsachen verkauft und Funktionskleidung für Syrien gekauft.
Ein Besuch der Polizei bei ihr in Bremen 2017 habe zu einem grundsätzlichen Wandel geführt: Seitdem habe sie seltener „einschlägige“ Foren besucht und eine Ausbildung als Fahrlehrerin in Hamburg begonnen. Rückblickend habe sie erkannt, dass sie „manipuliert“ worden sei von der Propaganda des IS. „Ich schäme mich dafür“, sagt Songül G.
„Ich ging davon aus, dass der IS eine gerechte Gesellschaft errichten wollte“; seine Gräueltaten seien nur Reaktionen auf die der Assad-Truppen gewesen. Der IS habe, so wisse sie nun, nichts mit dem Islam zu tun und sie sei froh, dass die Ausreise nach Syrien gescheitert sei und sie ihr Leben in Deutschland fortsetzen könne.
Verteidigt wird G. von Martin Heising, einem konvertierten Muslim, der mehrere Frauen vertritt, denen Unterstützung des IS vorgeworfen wird. Heising ist auch für die Organisation „Muslime an deutschen Schulen“ tätig, die Eltern berät. Auf deren Internetseite heißt es, dass es bei dem Versuch, Kinder vom Schwimmunterricht befreien zu lassen, wichtig sei, „dass die betreffenden Schüler oder Schülerinnen den Islam konsequent umsetzen.
War sie es oder nicht?
Ein Mädchen, welches mit enger Jeans und Kopftuch in die Schule kommt, wird sich nur schwerer auf Gründe der Schamhaftigkeit berufen können, als ein Mädchen, welches mit weiter Kleidung in die Schule geht.“
Nach dem Ende des Prozesstages erklärt Heising den JournalistInnen auf dem Gerichtsflur, dass die Anklage nicht stichhaltig sei. Er wolle auf Freispruch plädieren. Es sei nicht nachzuweisen, dass es sich bei der zweiten potenziellen Ehefrau des IS-Kämpfers, von der Marcia M. gegenüber einer verdeckten BND-Mitarbeiterin gesprochen habe, um G. gehandelt habe.
Dem widerspricht der Vertreter der Bundesanwaltschaft, Stefan Biehl: Aufgrund der ausgewerteten Kommunikationsmittel gehe man „klar davon aus“, dass dies Songül G. gewesen sei.
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