IEA zur Energiewende in Deutschland: Jetzt bloß nicht aufhören
Die deutsche Energiewende sei auf einem guten Weg, meint die Internationale Energie Agentur. Einen Politikwechsel hält sie für gefährlich.
Gegenwärtig befinde sich Deutschland an einem „Wendepunkt“, an dem das Zeitalter von Kernkraft, Kohle und russischem Erdgas ende. In einem Umfeld enormer geopolitischer Herausforderungen habe das Land in den vergangenen Jahren große Anstrengungen unternommen, um die Energiewende zu beschleunigen.
„Wir sind auf dem richtigen Weg, aber müssen ihn weiter beschreiten“, sagte Stefan Wenzel, Staatssekretär im Wirtschafts- und Klimaschutzministerium, bei der Vorstellung des IEA-Berichts.
Eine Kehrtwende würde nicht nur dem Kampf gegen die Erderhitzung schaden und so die Kosten von Extremwetter steigern, sondern auch die Resilienz und Zukunftsfähigkeit Europas schwächen.
IEA warnt vor fossilen Abhängigkeiten
Auch Divya Reddy, Analystin bei der IEA, betonte, dass Kontinuität bei der Energiepolitik und -finanzierung von großer Bedeutung seien, um die Vorteile der Energiewende zu erlangen.
Die IEA warnt in ihrem Bericht davor, die Kosten der Energiewende als fundamentales Hindernis zu betrachten. Nicht nur aus Klimaschutzgründen sei sie drängend. Der Angriff Russlands auf die Ukraine sei eine „krasse Mahnung“, welche Risiken mit einer Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen einhergehen.
Zudem sei die Energiewende eine Möglichkeit für die deutsche Industrie, die Konkurrenz bei den erneuerbaren Technologien der Zukunft auszustechen.
Der IEA zufolge sei die nächste Etappe der Energiewende in Deutschland, die Preise für Strom zu senken. Diese waren hierzulande 2023 unter allen 31 IEA-Mitgliedsländern die zweithöchsten. Dort, wo eine Elektrifizierung nicht möglich ist, zum Beispiel in Teilen der chemischen und Schwerindustrie, müsse die Politik zudem klare Wege zur Dekarbonisierung zeigen.
Streit um Strompreiszonen
Um die Strompreise zu senken, seien laut IEA der Einbau von smarten Stromzählern sowie der Ausbau von Stromnetzen und Stromspeichern zentral. Die Agentur spricht sich auch dafür aus, die Strompreise in Deutschland ortsabhängiger zu gestalten.
Bislang kostet Strom in ganz Deutschland gleich viel. In den aktuellen Koalitionsverhandlungen spricht sich die SPD für Strompreiszonen aus. Der Strom solle der Industrie dort günstiger zur Verfügung gestellt werden, wo er auch erzeugt wird, um ihn nicht über weite Strecken transportieren zu müssen. Die Union ist dagegen.
Verlieren würde bei ortsabhängigen Preisen wahrscheinlich unter anderem Bayern, weil Strom dort aufgrund des schleppenden Zubaus von Wind- und Solarkraftwerken teurer ist als zum Beispiel in Schleswig-Holstein.
Zu schwach ist der Klimaschutz weiterhin im Verkehrssektor, warnt die IEA. Um auch diesen Bereich zu dekarbonisieren seien langfristige Investitionen in den öffentlichen Nahverkehr und das Schienennetz wichtig. Außerdem müsse der Verkauf von E-Autos wieder angekurbelt werden. Der war eingebrochen, nachdem die Ampelregierung 2023 wegen der Haushaltslücke den Kaufbonus gestrichen hatte.
IEA warnt davor, das Heizungsgesetz abzuschaffen
Das „unfassbare Erbe im Fracht- und Personentransportsektor“ und die starke Auto- und Eisenbahnindustrie hätten das Potenzial, Deutschland in der Verkehrswende voranzubringen – aber nur, wenn der Übergang zu E-Mobilität und mehr Schienenverkehr gut organisiert werde.
Die IEA warnt auch davor, das Heizungsgesetz abzuschaffen, wie es die Koalitionsverhandler*innen von CDU und SPD derzeit planen. Die Wärmewende könne nur gelingen, wenn Bürger*innen klar gesagt werde, dass Wärmepumpen und Fernwärme bei neuen Heizungen Vorrang haben sollten. Dafür müssten auch die Kommunen mit mehr Geld ausgestattet werden.
Die IEA fordert die deutsche Politik zudem auf, die Rolle von Erdgas zu „klären“. Verbraucher*innen und Industrie müssten wissen, mit wie viel Verbrauch und mit welchen Preisen die Bundesregierung über die nächsten Jahre rechnet. Noch wüssten vor allem Industrie und Stromerzeuger nicht, wie sie mit Erdgas verfahren sollen, während im Gebäudesektor bislang klar sei, dass die „Abhängigkeit“ von importiertem Gas verringert werden soll.
Auch eine zu hohe Nachfrage für Gas bei der Stromerzeugung dürfe nicht angenommen werden, schreibt die IEA in ihrem Bericht Gaskraftwerke gelten als notwendig, um bei hohem Strombedarf aber geringer Sonneneinstrahlung und wenig Wind flexibel Strom erzeugen zu können. Das sei aber möglicherweise gar nicht nötig, so die IEA, würden genügend Stromspeicher gebaut, die bei entsprechender Nachfrage Strom ins Netz einspeisen können.
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