Humboldt Forum eröffnet bald: Cremekasten mit Tiefgang
Am kommenden Dienstag eröffnet endlich das Humboldt Forum in der Berliner Schlossattrappe – wenn auch nur digital. Es wird besser, als viele denken.
Rasend viel zu sehen wird erst einmal nicht sein. Wenn am kommenden Donnerstag nach über einjähriger Verspätung das heiß umstrittene Ausstellungshaus Humboldt Forum im Berliner-Schloss-Nachbau „digital“ eröffnet, werden zunächst leere Räume mit der Abwesenheit von Ausstellungsstücken glänzen. „Viele Leihgeber stellen ihre Objekte erst dann zur Verfügung, wenn wieder Publikum möglich ist“, erklärt der Intendant des Humboldt Forums, Hartmut Dorgerloh, bei einer Presseführung an diesem Dienstag.
Dann bleibt er vor einer Art Metallgerüst stehen, auf dem ein Überwachungsmonitor aus dem Palast der Republik ausgestellt ist, der hier einmal stand. Dorgerloh, der aus gutem Grund an diesem Nachmittag mit seiner DDR-Sozialisation hausieren geht, ist sichtlich stolz. Die vielen Hinweise zur Geschichte des Ortes stehen schon, es gibt sogar eine riesige Videowand von dem renommierten Büro des Ausstellungsgestalters Detlef Weitz. Das ist doch schon mal was. Die erbitterte Berliner-Schloss-Debatte scheint ganz gut aufgefangen im Humboldt Forum.
Zum Hintergrund für alle, denen es noch nicht laut genug war: Seit mehr als 20 Jahren streiten sich nun schon große Teil der Berliner Stadtgesellschaft und Interessierte bundesweit mit viel Verve über den Wiederaufbau dieses barocken Cremekastens. Schlimm wurde es etwa, als der Palast der Republik um 2006 abgerissen wurde, der bis dahin kulturell zwischengenutzt worden war. Dass hier kurzerhand der eine durch den anderen Bau ersetzt werden sollte: Vielen kam das vor, als würden da die letzten Gefechte des Kalten Kriegs ausgefochten. Böser wurde es noch, als der Beschluss durchsickerte, man wolle das Schloss mit Weltkultur füllen, mit den Sammlungen der Museen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK), die reich sind an Objekten, die zu kolonialen Zeiten gesammelt wurden. Viele zivilgesellschaftliche Initiativen in Berlin sehen deshalb bis heute und völlig zu Recht rot. Ein postkolonialer Diskurs in einem Schloss wie diesem wird nie beginnen können, sagen sie. „Reißt es ab!“, die einen. „Lasst es leer!“, die anderen.
Kritiker*innen werden sich freuen
Insofern werden sich die Kritiker*innen des Schlosses über den Anblick des Humboldt Forums nächste Woche freuen. Es wird zunächst wie ein Mahnmal für die teure Fehlentscheidung wirken, dieses Ding überhaupt zu bauen. Zur Erinnerung: Aktuell liegen die Kosten bei 644 Millionen Euro, von denen die Steuerzahler*innen 565 Millionen berappen. Den Rest für die barocken Fassaden und die Kuppel haben private Förder*innen gestemmt. Bis zur Abrechnung des Bauvorhabens wird zusätzlich mit schlappen 33 Millionen Euro gerechnet, sodass wir bei 677 Millionen liegen. Das ist etwa vierzehn Mal so viel wie Kulturstaatsministerin Monika Grütters gerade den Künstlern bundesweit versprochen hat, die seit dem Ausbruch der Corona-pandemie kaum mehr arbeiten können.
Und trotzdem: Das Humboldt Forum wird vielleicht gerade wegen all der berechtigten Kritik an ihm besser werden, als die meisten glauben.
Es geht schon damit los, dass etwa vier Millionen Besucher*innen jährlich in der Zeit nach der Pandemie erwartet werden – also mehr als in jedem Museum in Deutschland. Auch wenn man darauf weiterhin wird warten müssen: Die Besucher*innen werden dieses Schloss nicht nur von außen bewundern. Sie werden, ohne dafür zumindest anfänglich Eintritt zahlen zu müssen, von bunten Oberflächen angelockt und sofort in die Tiefe gezogen – und das in einer Zeit wachsender Diskrepanz zwischen Wissenschaft und breitem Publikum.
Eines der besten Beispiele dafür, wie das funktionieren wird und das am Donnerstag auch schon einen kleinen Einblick gewähren kann, ist auf 1.000 Quadratmetern die vergleichsweise kleine Ausstellung „Nach der Natur“ der Humboldt Universität. Kurator Gorch Pieken hat kürzlich erst der taz erklärt, wie auf einer riesigen kinetischen Wand verschiedene Nachhaltigkeitsforscher*innen so anschaulich wie persönlich über nachhaltige Ressourcennutzung sprechen werden, über Klimawandel, Umwelt und Generationengerechtigkeit – oder auch über die Anfechtungen, denen das liberale Gesellschaftsmodell aktuell gegenübersteht.
Ein anderes Beispiel ist die Ausstellung des Berliner Stadtmuseums, „Berlin Global“, (4.000 Quadratmeter) – auch hier wird es erste Impressionen geben. Der niederländische Kurator Paul Spies hat vor wenigen Wochen der taz erzählt, wie glücklich Berlin sich schätzen kann. Ein zentrales und teures Ausstellungshaus wie das Humboldt Forum wäre in Amsterdam niemals mit Kultur aus aller Welt bespielt worden. Eines der spektakulärsten Ausstellungsstücke, die Spies ins Humboldt Forum geholt hat, ist die Tür des Berliner Technoclubs Tresor. Sie erzählt davon, wie sie den Tresorraum einer Bank im Warenhaus Wertheim sicherte, das 1937 von den Nazis „arisiert“ wurde. Die Tür berichtet auch den Aufbruchsgeist der Neunziger, als in Berlin einen kurzen Moment lang alles möglich schien. Sie steht aber ebenso für das Ende dieser Euphorie, als der Club 2005 der Neubebauung weichen musste.
Beispiele wie diese wird es viele geben – und das sogar an jenen Stellen, wo das Humboldt Forum nach wie vor am angreifbarsten ist. Zum Beispiel auf seinem Dach: Da kam nämlich im Frühjahr die umstrittene, zwölf Meter riesige Kuppellaterne inklusive Kreuz drauf. Alles wieder so, wie Preußenkönig Friedrich Wilhelm IV. es gewünscht hätte: Nicht einmal das umlaufende Schriftband am Fuß der Kuppel durfte fehlen, auf dem steht, dass alle Welt vor Jesus in die Knie zu gehen habe.
Auf gutem Weg zu einem Labor
Selbst darauf hat das Humboldt Forum einigermaßen geschickt reagiert. Im Rahmen der Eröffnung der Museen der SPK ab Spätsommer 2021, die zusammen knapp 14.000 Quadratmeter des Hauses belegen werden, wird direkt unter der Kuppel eine 1.500 Jahre alte buddhistische Kulthöhle zu besuchen sein. Die Höhle stammt aus der Region Turfan in Xinjiang im heutigen China. Im Jahr 1902 wurde sie von deutschen Forschern abgemeißelt und nach Berlin transportiert.
Xinjiang lag an der Seidenstraße und war ein Melting Pot, wo indogermanische, sinotibetische, mongolische und turksprachige Völker miteinander handelten, sich gegenseitig inspirierten. Eines davon waren die Uiguren. Sie gründeten dort im 9. Jahrhundert nach Christus ein Kaganat – auch davon erzählen Artefakte aus der Turfansammlung in Berlin. Etwa eine Million ihrer Nachfahren werden derzeit in chinesischen Umerziehungslagern missbraucht und gefoltert – Anthropologen sprechen von einem „kulturellen Genozid“.
Die Macher des Humboldt Forum haben sich in den in den letzten Jahren immer schlauer ihren Kritikern gestellt. Nachdem 2010 China verkündet hat, dass es keine Rückforderungen gebe, arbeiten deutsche und chinesische Forscher*innen gemeinsam an der Konservierung verbliebener wie geraubter Höhlen und Objekte aus der Region.
Aber das reicht nicht, wenn sie nicht hinter ihren eigenen Ansprüchen zurück bleiben wollen. Selbst Hartmut Dorgerloh wird ja nicht müde zu betonen, dass das Schloss als eine Art Labor zu betrachten ist, das sich noch den unbequemsten Fragen der Gegenwart stellt. Es wäre also nur folgerichtig, würde mit der Eröffnung des Museums für asiatische Kunst im Spätsommer die gegenwärtige Lage der Uiguren von den verantwortlichen Kuratoren in öffentlicher Debatte diskutiert.
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