Dynamit in die Mitte

Bombenstimmung bei den Berlinern: Das Projekt „SprengAntrag“ legt seine Umfrageergebnisse über die Akzeptanz der Bauwerke in der Stadt vor. Danach fliegt das neue Berlin fast völlig in die Luft. Ganz oben stehen Potsdamer Platz und Bundeskanzleramt, gefolgt vom Palast der Republik

von ROLF LAUTENSCHLÄGER

Manch einer würde sagen, hier herrscht so was wie eine Bombenstimmung. Drinnen flimmern Videos über Berliner Bauten, die gerade in die Luft geflogen sind. Am Eingang zur Galerie Völcker&Freunde darf jeder einen Sprengantrag ausfüllen, auf den ein Stempel runterknallt und kracht, als hätte Bin Laden das Nachbarhaus mit einem amerikanischen Wolkenkratzer verwechselt. Und vor der kleinen Galerie in der Auguststraße hat die Gruppe „37,6 Grad Abteilung“ eine Bombenattrappe mit Lunte deponiert, von der man nicht so recht weiß, wann sie losgeht.

Dass sie im Kopf losgehen, zu einem Sprengsatz aus Kunst verdichtet werden soll, wollte nicht jeder wahrhaben. Denn immerhin haben vorgestern, Donnerstag, den 18. Juli 2002, wieder ein paar Menschen mehr Bauten der Stadt in die Luft gejagd. Die Künstlergruppe dokumentierte das fein säuberlich in Aktenordnern bis zum Ende des 21. Weltkongresses der Architekten (UIA). Die sollen sehen, was für ein Scheiß in der Stadt gebaut wurde, meint einer, und was kaputtmacht, wird kaputtgemacht.

Nicht nach dem Aufbau, sondern nach dem Abriss fragt die Gruppe „37,6 Grad Abteilung“ aus jungen Architekten und Künstlern und gibt uns Bürgern die Stadt zur Sprenung frei, damit endlich gesagt wird, was wegmuss und wegsoll. Wer nun meint, die Sprengaktion auf dem Papier appelliere nur an unseren inneren Schweinehund und die pure Lust an der Zerstörung, der irrt. SprengAntrag fragt vielmehr auch nach unserem Wunsch nach einer Stadt mit menschlichem Antlitz. Und er kennt keine Tabus, „auch nicht nach dem 11. September“, meint einer der Initiatoren, Maik Seidel. Es geht um Kreativität und keine Angst vor „destruction“.

In der Stadt, wo seit dem Fall der Mauer jede Ecke mit baulichen Teufeleien voll geballert worden ist und das Scheußliche, das noch vorhanden ist, auch nicht verschwindet, braucht die Fatalität des Stein gewordenen Berlin nicht weiter hingenommen werden, antworteten Seidel und die Seinen allen von Berlin Enttäuschten. Seit zwei Jahren verteilen sie an ärgerliche Berliner, die die Stadt nur noch als Gewaltakt empfinden und die sinnentleerten Luftblasen von Diepgen, Strieder und Co. von den „mit Licht durchfluteten Bauten“ sowie den „Plätzen voller Urbanität“ einfach satt haben, einen Sprengantrag. Sie ließen das Formular fein säuberlich nach Typus, Lage des Hauses und Baujahr, mit Begründung und persönlichen Daten ausfüllen und sammelte von den so genannten Berlin-Destroyers alles, was sie stört. „Jeder Einzelne, mit dem wir sprachen“, resümieren die Künstler, „hat nebem dem Brass auf Bauten auch Perspektiven einer besseren Stadt im Sinn gehabt.“ Es ging also nicht um pure Gewalt, sondern um Stadtvisionen. Mit der Sprengung baulicher Horrorvorstellungen wurde gleichsam der Blick frei für neue Perspektiven. Sie hat erfrischende Wirkung, macht einen klaren Kopf und lässt Gedanken Raum, dort nichts, anders und besser zu planen.

Mit der Akzeptanz des neuen Berlin, so das Ergebniss der über 400 Sprenganträge, die die Umfrage eingebracht hat, ist es nicht weit her. Ziel der meisten Sprengbomben ist der Potsdamer Platz und dessen „hässlicher kommerzieller“ Charakter, der dort entstanden sei. Bei 6,6 Prozent der Befragten explodiert, fliegt, stürzt und kracht er zusammen, dass es eine wahre Freude ist, wie man in den Begründungen lesen kann.

Ginge es nach den Berliner Sprengmeistern, Doris Schröder-Köpf brauchte sich keine Sorgen mehr um die Farben des Teppichbodens im Kanzleramt zu machen. Denn als zweiter Neubau muss das Macht ausstrahlende Amt dran glauben, das 4,2 Prozent fallen sehen wollen – gefolgt von einem Schlossneubau (3,5 Prozent) und weiteren frischen Bauten in Mitte, auf die sich fast die Hälfte der Sprenganträge bezieht. In den anderen Stadtteilen und Bezirken stoßen dagegen vergleichsweise wenige Gebäude auf öffentliche Ablehnung. Die Mitte ist der Ort, wo Dynamit hingehört.

Mag sein, dass es einige nicht hören möchten, die ihre Geschichte nicht verlieren wollen. Aber es ist eindeutig: Von den bestehenden Bauwerken Berlins soll als zweites der Palast der Republik fallen (5,9 Prozent), gefolgt vom Neuen Kreuberger Zentrum, dessen ästhetische Qualität einige „zum Kotzen“ finden.

Der Künstlergruppe ist es ein Anliegen, die politischen und kommerziellen Begründungen als Chiffren des Widerspruchs gegen die Macht des Faktischen aus Stein und Glas erlebbar zu machen. Doch es gibt auch andere, ganz praktische Anliegen – bestehend aus Dynamit und sonst nichts. Ein Porschefahrer fordert die Sprengung des Brandenburger Tors, weil es für ihn ein Verkehrshindernis darstellt. Da fliegt symbolisch verkleidet Wut in die Luft, die nichts Kreatives mehr hat, die nur krachen soll zum Selbstzweck.

Bis 28. Juli in der Galerie Völcker & Freunde, Auguststraße 62