Horrorfilm „Candyman“ auf DVD: Sich die Legende wieder aneignen
Die Regisseurin Nia DaCosta hat den Horrorklassiker „Candyman“ neu verfilmt. Ihre Fassung schreibt die Geschichte aus schwarzer Sicht um.
Cabrini-Green ist ein Stadtviertel im Norden der Innenstadt von Chicago. Seit den vierziger Jahren waren dort erst Blöcke von Reihenhäusern, dann Hochhäuser mit mehr als 3.000 Wohneinheiten entstanden. Eines der typischen Housing Projects in den USA: hingestellt, die Stadt entzieht Schutz, Geld, Infrastruktur, das Viertel wird sich selbst und sozial schwachen, vorwiegend schwarzen Bewohner*innen überlassen, die Kriminalitätsrate steigt.
Es wird eine der Zonen der Stadt, von dieser durch mulitples Versagen selbst geschaffen, in der Gangs dominieren, in die sich von außen so recht keiner mehr traut.
Hier, in Cabrini-Green, siedelte Bernard Rose im Jahr 1992 seinen Horrorklassiker „Candyman“ an. Bei ihrer wissenschaftlichen Recherche nach „urban legends“ stößt eine junge weiße Forscherin, von Virginia Madsen gespielt, auf die Geschichte der titelgebenden schwarzen Horrorfigur. Sie geht, mit einer schwarzen Freundin, auf die Suche, Cabrini-Green ist der Ort, an dem der von Bienen umschwirrte mordende Candyman aufgetaucht ist.
Das Interessante am zum Klassiker gewordenen Original sind weniger die nicht zu knappen Slasher-Szenen, die folgen; spannender ist die genaue Verortung des Horrors nicht nur im Gegenwarts-Chicago, aber auch in der US-amerikanischen Geschichte: Der als Mörder wiedergekehrte (und, wenn man beim Blick in den Spiegel fünf Mal nach ihm ruft, verlässlich wiederkehrende) Candyman ist, so geht die Legende, ein Produkt der US-Sklaverei-Historie, der er als gefolterter Mann mit abgehacktem Unterarm und in den Stumpf getriebenem Haken entstammt.
„Candyman“ (USA 2021, Regie: Nia DaCosta). Die DVD ist ab rund 14 Euro im Handel erhältlich.
Das Heikle daran hat Bernard Rose damals durchaus gesehen: Candyman ist der schwarze Mann, auf den alle möglichen, auch sexuellen Ängste projiziert werden. Der Film bringt dem schwebenden, schlitzenden Killer und seinen Motiven Sympathien entgegen, romantisiert tendenziell die Beziehung zur weißen Frau und gibt deren weißem Ehemann als toxischer Figur einiges an Gegengewicht. So entsteht ein wenig Ambivalenz, es ändert aber nichts daran, dass die Heldin als white saviouress ein schwarzes Kind aus den Flammen und Fängen des schwarzen Candyman rettet.
Das Viertel ist gentrifiziert
Es ist nur konsequent, dass Jordan Peele („Get Out“) als Drehbuchautor und Nia DaCosta als Regisseurin in ihrer dreißig Jahre später angesiedelten „Candyman“-Neuauflage dieses Kind zur Hauptfigur machen. Der Film ist ein Sequel, aber weniger Fortsetzung als Umschrift, der Versuch, sich die Legende vom bösen schwarzen Mann als von Schwarzen erzählte, geschriebene, gespielte Geschichte rückanzueignen.
Schon der Vorspann stellt die Sache gezielt auf den Kopf. Gab es im Original noch den damals dank neuester Kameratechnik möglichen Überflug als Draufsicht auf die Stadt, bewegt sich die Kamera nun gespenstisch am Boden, Blicke aber nach oben, wo die Häuser nun buchstäblich an den Wolken kratzen. Der Ort wiederum: Cabrini-Green in Chicago.
Die ursprünglichen Reihenhäuser stehen noch, das Viertel ist aber gentrifiziert, die Hochhäuser sind abgerissen, es ist heute eine gute, teure Wohnlage. Angesiedelt ist die Geschichte im Kunstbetrieb. Anthony McCoy (Yahya Abdul-Mateen II), das Baby von einst, ist nun Maler, wenngleich mit Mal-Blockade, die sich durch seine zusehends horrible Identifikation mit dem Candyman löst.
Das Ergebnis der Umschrift ist auf vielen Ebenen smart, die Inszenierung ist slick, Blut fließt dennoch reichlich. So ganz kann sich der Film aber nicht aus seinem Dilemma befreien: Der schwarze Killer wird als allegorische Figur aufgewertet – es nimmt ihr etwas vom Schrecken, den das Genre dagegen unerbittlich gebietet.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei VW
Massiver Gewinneinbruch bei Volkswagen
VW-Vorstand droht mit Werksschließungen
Musterknabe der Unsozialen Marktwirtschaft
Verfassungsgericht entscheidet
Kein persönlicher Anspruch auf höheres Bafög
Kamala Harris’ „Abschlussplädoyer“
Ihr bestes Argument
Zu viel Methan in der Atmosphäre
Rätsel um gefährliches Klimagas gelöst
Nahostkonflikt in der Literatur
Literarischer Israel-Boykott