Homotaz Freundschaft: Auf den Kopf gestellt
Als Hetero mit Heteros tanzen? Geht schon, macht aber nicht so viel Spaß. Die schwule Partykultur ist populär – und ist seit langem Lernort für Heteros.
Kann man als Hetero mit Heteros tanzen? Ja, man kann. Es macht nur nicht so viel Spaß. Wer wirklich tanzen will, der sucht sich tunlichst Orte aus, an denen genügend schwule Männer auf dem Dancefloor sind. Der Westberliner DJ Fetisch etwa hatte als Teenager angefangen, in Schwulenläden zu gehen, in denen Disco und High Energy lief.
Später gehörte es zu Fetischs Samstagnachtroutine, nach dem „Dschungel“ weiter ins „Metropol“ zu ziehen, „am besten vorne an die Bühne, wo die Lederschwulen waren“, sagt er. „Ich bin hetero, aber das große Nachtleben hat mindestens einen fünfzigprozentigen Homoanteil.“
Die Geschichte des Danceclubs, von Disco, House und Techno, ist ohne schwule Partykultur nicht denkbar. Deren Entdeckung durch Heteros wiederholt sich immer wieder. In ihr findet eine Begegnung zwischen Homos und Heteros statt, aus der sich Freundschaften entwickeln. Oder umgekehrt: Schwule nehmen ihre heterosexuellen Freundinnen und Freunde mit. Die lernen dort, wie man richtig feiert. „Nicht so streng, stoisch und selbstzerstörerisch. Man feiert sich und sein Gegenüber. Das war immer das, was ich geliebt habe“, sagt Fetisch.
Diesen und viele weitere Texte lesen Sie in der Homotaz vom 4. Juli 2013 mit 16 Seiten über Freundschaft. Interviews, Porträts, persönliche Geschichten und Analysen aus der ganzen Welt. Verpasst? epaper!
Für männliche Heteros ist der schwule Dancefloor ein Ort, an dem sie sich einen Moment den Nötigungen heterosexueller Moral und ihrer Männlichkeitskonstrukte entziehen können. Das entspannt und erweitert den Horizont. Auf einem Dancefloor, auf dem man mit Homos tanzt, kann man lernen, dass es okay ist, sich extravagant anzuziehen und exaltiert zu tanzen, ohne sich darüber Gedanken zu machen, wie das wohl ankommt. Es ist befreiend, die Angst zu verlieren, irgendwelchen Normen nicht zu entsprechen.
Für Heteras ist der schwule Dancefloor tatsächlich ein Ort der Befreiung. Hier ist man unbelästigt von heterosexueller Männlichkeit. Für manche Frauen ist es auch der Ort, an dem sie sich als das akzeptieren können, was sie sind. Es gibt solche wie Angelika, die erzählen, von ihren schwulen Freunden gelernt zu haben, selbstbewusst zu sein.
Heterotum wirkt albern
Irgendwann wurde Angelika in einen Fetischladen geschleppt, aus dem sie mit einem Korsett wieder herauskam. Beim Christopher Street Day, der ein schwuler Dancefloor in Form einer Parade ist, feierte sie ihr Coming-out als Frau mit großen Brüsten.
45, ist Kulturredakteur der taz. Jüngst erschien von ihm „Die ersten Tage von Berlin: Der Sound der Wende“ (Tropen bei Klett-Cotta, Stuttgart 2013).
Es ist kein Wunder, dass Pop sich immer wieder auf schwule Kultur besinnt. Ein Erfolgsmodell wie das von Lady Gaga basiert auf der simplen, aber wirkungsvollen Botschaft, die sie dem schwulen Dancefloor entlehnt hat und die nicht nur bei pubertierenden Mädchen ankommt: Schäm dich nicht, dass du ein Freak bist!
Dass lesbische Musikkultur nie einen derartigen Einfluss auf Mainstreampop ausüben konnte, hat damit zu tun, dass auf dem schwulen Dancefloor die patriarchalen Strukturen auf den Kopf gestellt werden. Selbst ostentativ vorgezeigte Zeichen ultimativer Männlichkeit – Lederoutfits, Skinheadstyle, harte Muskeln, wilde Bärte – haben auf dem schwulen Dancefloor immer einen Hauch von Travestie.
Wenn sie nicht gänzlich konstruiert erscheinen, dann doch als gebrochen oder als Ergebnis einer bewussten Wahl, jedenfalls keiner sich als naturgegeben behauptenden Ordnung der Dinge. Daneben wirkt authentisch breitbeiniges Heterotum bloß albern.
Lesbischer Kultur dagegen ist Exaltiertheit, selbst in ihrer unmännlichsten Form, tendenziell verdächtig, sobald sie von Männern performt wird. Dafür gibt es nachvollziehbare Gründe. Unter Verdacht aber lässt es sich nicht gut feiern. Was nicht heißt, dass man sich als heterosexueller Mann nicht mit lesbischen Frauen verbrüdern oder verschwistern kann. Man muss es ja nicht in der Disko machen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Kanzlerkandidat-Debatte
In der SPD ist die Hölle los
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Verfassungsklage von ARD und ZDF
Karlsruhe muss die unbeliebte Entscheidung treffen
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört