Hohenzollern und Nationalsozialismus: Militarismus und echte Führerliebe
Historikerin Karina Urbach hat geheime Berichte einer Journalistin ausgewertet. Sie belegen: Auch die adligen Preußen-Frauen warben für Hitler.
Die Amerikanerin Sigrid Schultz führte ein Doppelleben. Als Journalistin ging sie in den 1930er Jahren bei den Partys der Nationalsozialisten ein und aus. Sie interviewte Hitler, war mit Göring befreundet und kannte jeden in der Berliner Gesellschaft.
Ihr Arbeitgeber, die Chicago Tribune, war eine konservative Zeitung die die amerikanischen Isolationisten unterstützte. Sigrid Schultz teilte weder die Ansichten ihrer Vorgesetzten in Chicago noch die der Nationalsozialisten. Sie hatte Hitlers Aufstieg aus nächster Nähe miterlebt und ahnte sehr früh, wie gefährlich er werden würde. Seit 1925 leitete sie das Berliner Büro der Chicago Tribune, damals eine ungewöhnliche Ehre für eine Frau.
Karina Urbach veröffentlichte zuletzt „Das Buch Alice. Wie die Nazis das Kochbuch meiner Großmutter raubten“, Berlin 2020. Die Historikerin forscht in Princeton. Am 3. 2., beim Online-Fachgespräch „Keine Sonderrechte für den Adel“ der Grünen-Bundestagsfraktion wird sie neben ihren Kollegen Eckart Conze, Stephan Malinowski und Sophie Schönberger einen Gastbeitrag abgeben.
Rein äußerlich entsprach sie dem nordischen Ideal des NS-Regimes. Und die Nazis stuften sie als zuverlässig ein. Während ihre Kollegen Dorothy Thompson und Sefton Delmer im Laufe der Jahre ausgewiesen wurden, durfte Schultz bis 1941 bleiben. Das lag auch an ihrem geschickten Doppelspiel. Kritische Artikel schrieb sie unter dem Männernamen John Dickson und sorgte dafür, dass sie mit der Unterzeile „aus Oslo“ oder „aus Kopenhagen“ veröffentlicht wurden.
Schultz besaß gute Informanten in allen gesellschaftlichen Schichten; besonders ergiebig scheint eine Gruppe von linken Kellnern im Hotel Adlon gewesen zu sein. Eine ihrer Methoden, an Material zu kommen, war es, sich mit einflussreichen Damen der Gesellschaft anzufreunden. Zu diesen Damen gehörten die Frauen der Hohenzollern.
Zu Unrecht vergessen
In der gegenwärtigen Auseinandersetzung mit dem Prinzen von Preußen sind diese Frauen in Vergessenheit geraten. Für Juristen geht es allein um die Frage, ob Kronprinz Wilhelm als Chef des Hauses Hohenzollern den Nationalsozialisten „erheblichen Vorschub“ geleistet hat oder nicht. Ob seine Ehefrau Cecilie, seine Stiefmutter Hermine und seine Schwester Viktoria Luise sich für die Nationalsozialisten engagierten, wird vor Gericht keine Rolle spielen. Doch für Historiker sind sie wichtig.
Wenn man sich mit den internen Mechanismen von Adelsfamilien beschäftigt, erkennt man schnell, dass nach außen hin zwar der Chef des Hauses entscheidet, dass aber hinter den Kulissen Geschwister und Ehefrauen ebenfalls eine einflussreiche Rolle spielen können. Die hochambitionierten Frauen der Hohenzollern waren hier keine Ausnahme.
Cecilie von Preußen, Mai 1933
Die Ehe von Kronprinz Wilhelm und seiner Frau Cecilie verlief alles andere als harmonisch, aber einig war sich das Paar in zwei Punkten: Man hasste die Weimarer Republik und man wollte zurück an die Macht. Befreundete Monarchen in Italien und Spanien galten dabei als Vorbild: König Viktor Emanuel III. von Italien war eine Symbiose mit Mussolini eingegangen, König Alfons XIII. von Spanien fand ein vorteilhaftes Arrangement mit Miguel Primo de Rivera. Ähnliches wollten auch Kronprinz Wilhelm und Cecilie erreichen.
Seit Ende der 1920er Jahre führte das Paar in Berlin ein großes Haus, und Cecilie engagierte sich in vaterländischen Frauenverbänden, unter anderem übernahm sie die Schirmherrschaft des 1923 gegründeten Königin-Luise-Bundes. Der Bund schloss „Jüdinnen und andere Fremdrassige“ von der Mitgliedschaft aus, „um die Reinheit der Rasse“ zu gewährleisten.
Begeisterte Heilrufe
Im Mai 1933 schwor Cecilie 20.000 Zuhörerinnen ihres Bundes mit markigen Worten auf den Führer ein: „So bringen wir nationalen Frauen … die sich von nun an in breiter Front zusammengeschlossen haben, unserem Reichskanzler Adolf Hitler unseren von Herzen kommenden Dank dafür, daß wir unter seinem Schutz unsere vaterländischen Aufgaben ungehemmt erfüllen dürfen.“ Ihre Rede wurde mit begeisterten Heilrufen aufgenommen.
Cecilie war nicht die einzige Hohenzollernfrau die freudig dem Führer zuarbeitete. Kaiserin Hermine und die Schwester des Kronprinzen, Viktoria Luise, hatten die NSDAP schon sehr viel früher entdeckt. Das zeigen bisher unbekannte Berichte von Sigrid Schultz. Schultz war während eines Bombenangriffs auf Berlin im Februar 1941 verletzt worden und kehrte kurz darauf in die USA zurück.
Als ausgewiesene Kennerin des NS-Regimes war sie jetzt eine ideale Quelle für den amerikanischen Geheimdienst. Sie fing an, Berichte über NS-Persönlichkeiten zu schreiben, darunter auch die Hohenzollernfrauen.
Einige dieser Berichte existieren nur in Zusammenfassungen auf Karteikarten, andere sind ausführlicher. Sie zeigen, dass Schultz die Hohenzollernfrauen als engagierte Unterstützerinnen der Nazis einschätzte. Die Kronprinzessin Cecilie beschrieb sie als eine Frau, die für eine mögliche Restauration auch gesellschaftliche Erniedrigungen durch die Nationalsozialisten ertrug.
Fanatische Nazisse
Cecilie schäme sich für ihre russische Herkunft und auch für ihren Sohn Friedrich, der es bei Kriegsausbruch abgelehnt hatte, aus England ins Deutsche Reich zurückzukehren. Mittlerweile habe die Kronprinzessin alle dynastischen Ambitionen auf ihren Sohn Louis Ferdinand übertragen. Ihr Einfluss auf ihn sei beachtlich. Auch die Ambitionen von Cecilies Schwiegermutter, Kaiserin Hermine, hatte Schultz aus nächster Nähe beobachten können.
Hermine sei schon früh zu den Nationalsozialisten gestoßen, habe für sie gesellschaftlich viel getan. Sie habe ihnen in Holland wie auch in Deutschland Geldgeschenke zukommen lassen.
Besonders interessant sind Schultzens Berichte über Viktoria Luise, die Schwester Kronprinz Wilhelms. Viktoria Luise hatte 1913 Ernst August von Hannover, Herzog von Braunschweig geheiratet und mit ihm fünf Kinder bekommen. Laut Informationen von Schultz war Ernst August bei seinen Verwandten im englischen Königshaus besonders beliebt, was er zu nutzen wusste:
„Plötzlich in den frühen Tagen des Regimes tauchte das Paar wieder in der Berliner Gesellschaft auf. [Viktoria Luise] war eine fanatische Nazisse … mit den ambitioniertesten Plänen“, schrieb Schultz, „sie huschte ständig in die britische Botschaft für mysteriöse Besuche. Bei offiziellen Empfängen rannte sie auf Hitler zu, der gerne Prinzessinnen um sich hat. Einige Monate lang war Hitlers Umgebung ernsthaft alarmiert, weil er über eine Restauration einer der deutschen Monarchien sprach …Victoria Luise war sich sicher, es würde ihre Dynastie [die Hannoveraner] sein.“
Viktoria Luise, die braune Chefideologin
Das Paar unterstützte die NSDAP finanziell und unternahm viel, um in Hitlers Gunst zu bleiben. Anfang der 1930er Jahre führten sie Gespräche mit dem britischen Luftfahrtminister Lord Londonderry, um ihn für den Nationalsozialismus zu gewinnen. Viktoria Luise vertrat sogar die Ansicht, es sei ihr Mann gewesen, der die entscheidenden Hinweise für das deutsch-britische Flottenabkommen 1935 gegeben habe. Sie arbeitete mit Verve für Ribbentrop, der sie für Werbedinners der Anglo-German Fellowship in London einsetzte.
Auch bei den Nürnberger Parteitagen und den Olympischen Spielen 1936 übernahm Viktoria Luise die ideologische Rundumbetreuung der britischen VIP-Gäste. Aber sie war nicht nur eine Werbeikone für die Nazis. Laut Schultzens Bericht stellte Victoria Luise vor dem „Anschluss“ Österreichs 1938 den Nazis ihren Besitz im österreichischen Gmunden für geheime Treffen zur Verfügung: „Es war eine Brutstätte von Naziagenten“.
Im Zweitwohnsitz Braunschweig zeigte man von Anfang an Flagge. Hier konnte die Bevölkerung Fotos und Postkarten der Familie in verschiedenen Naziuniformen kaufen. Viktoria Luises Tochter Friederike wurde in der NS-Presse besonders gelobt, da sie im Arbeitsdienst ihre Pflicht tat „wie eine ganz gewöhnliche Deutsche“.
Hitler und Ribbentrop hofften, die enthusiastische Arbeitsmaid mit dem Prinzen von Wales zu verheiraten, aber der hatte andere Präferenzen. Am Ende fand man für Friederike 1938 einen griechischen Prinzen. Schultzens Informationen zufolge hat Friederike ihren Freunden nach der Verlobung versichert, sie würde im Ausland viel für das Dritte Reich leisten können. Als Friederike 1947 – mitten im Griechischen Bürgerkrieg – tatsächlich Königin von Griechenland wurde, warnte Schultz noch einmal vor ihrem Fanatismus, ohne Erfolg.
Wiedersehen mit Göring
Sigrid Schultz war im Januar 1945 mit der amerikanischen Armee nach Europa zurückgekommen. Sie berichtete über das KZ Buchenwald und interviewte in Nürnberg ihren alten Bekannten Göring. Es war einer der letzten Höhepunkte ihrer Karriere. Nur wenige Jahre danach wollte niemand mehr sie beschäftigen. Ihr Buch „Germany will try it again“ und ihre feste Überzeugung, die NS-Ideologie lebe in Deutschland weiter, passten nicht mehr in den Kalten Krieg.
Ihre Warnungen wurden ignoriert, ihr Manuskript über die Geschichte des Antisemitismus blieb unvollendet, als sie 1980 starb. Dafür erlebte ihre Kontrahentin, die Hitlerverehrerin Viktoria Luise, eine steile Nachkriegskarriere als Bestsellerautorin.
Mit einem Ghostwriter verfasste sie zwischen 1965 bis 1977 sieben erfolgreiche Lebenserinnerungen, die allesamt von starker Amnesie geprägt waren. Mit den Nazis habe man kaum etwas zu tun gehabt, und auch die Arisierungen von mehreren jüdischen Firmen, an denen ihr Mann sich bereicherte, scheinen Viktoria Luise völlig entgangen zu sein. Ihre atemberaubenden Märchenerzählungen wurden begierig aufgenommen, und in der Braunschweiger Bevölkerung blieb Viktoria Luise bis zu ihrem Tod ausgesprochen beliebt.
Nach Auskunft des Prinzen von Hannover bekam das Haus Hannover nach dem Ausgleichsleistungsgesetz von 1994 Kunstobjekte aus Sachsen-Anhalt zurück und konnte ehemaligen Forst-und Landwirtschaftsbesitz zu günstigen Konditionen zurückerhalten bzw. erwerben. Ob sein Verwandter, Prinz von Preußen, Geld vom Staat bekommen wird, bleibt derzeit weiterhin strittig.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen