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Hochwasserkatastrophe im AhrtalDreyer legt Fokus auf Wiederaufbau

Die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz sagt erneut im Untersuchungsausschuss aus. Sie beharrt darauf: Das Flutausmaß war unabsehbar.

CDU und AfD fordern ihren Rücktritt: Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) Foto: Boris Roessler/dpa

Mainz taz | Zum zweiten Mal hat an diesem Freitag der Untersuchungsausschuss des rheinland-pfälzischen Landtags zur Flutkatastrophe im Ahrtal Ministerpräsidentin Malu Dreyer, SPD, als Zeugin geladen. Bei der ersten Vernehmung im April letzten Jahres waren vor ihr zwei weitere Mitglieder der Landesregierung dran. Damals war die Ministerpräsidentin erst am späten Abend an die Reihe gekommen.

In langen Stunden hatten die Abgeordneten davor ihre damaligen KabinettskollegInnen in die Mangel genommen, mit erheblichen Folgen: Die grüne Landesumweltministerin Anne Spiegel, zum Zeitpunkt ihrer Vernehmung schon Bundesfamilienministerin in Berlin, und Innenminister Roger Lewentz, SPD, verloren ihre Ämter, weil sie Fehler in ihrem Verantwortungsbereich zugeben mussten. Jetzt zielt die Opposition auf die Chefin selbst.

Warum hat sie in der der Katastrophennacht, in der im Ahrtal 135 Menschen ums Leben kamen, nicht persönlich die Regie übernommen? Hätten bei einem besser funktionierenden Katastrophenschutz Menschenleben gerettet werden können?

Drei Stunden lang geht es in Variationen um diese Kernfrage. Und wie vor einem Jahr ist die Antwort der Ministerpräsidentin die gleiche: „Ich bin davon ausgegangen, dass dieses Hochwasser beherrschbar ist“, sagt sie. Und: „Ich hatte keinerlei Kenntnis davon, dass zum Teil örtliche Behörden nicht funktioniert haben und auch nicht davon, dass die Flutkatastrophe ein solches Ausmaß hat“.

Dreyer beharrt auf die Unvorherrsehbarkeit

Sie habe darauf vertraut, dass der in Rheinland-Pfalz in der Verantwortung der Landkreise und Städte organisierte Katastrophenschutz reibungslos klappe und die übergeordnete Landesbehörde, die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion, bei Bedarf eingreifen werde, wie beim „Jahrhunderthochwasser“ 2018, so Dreyers Mantra. „Ich bitte zur Kenntnis zu nehmen, dass mit diesem Ausmaß niemand gerechnet hat“.

Das sehen die Abgeordneten der Opposition ganz anders. Sie halten der Ministerpräsidentin Zeugenaussagen führender Meteorologen und Wetterexperten vor. Diese hatten geäußert, dass bereits am Vortag der Flut ein Starkregenereignis mit enormen Wassermengen für Eifel und Ahr absehbar gewesen sei.

Doch Dreyer bleibt dabei: Die „Wucht und Zerstörung der Flutwelle“ an der Ahr habe niemand kommen sehen können. Sie selbst war, wie ihre KollegInnen Lewentz und Spiegel, nachts in der Annahme schlafen gegangen, dass alles glatt ginge, auch der Informationsaustausch zwischen den Ministerien, die für die Beobachtung der Pegelstände (Umwelt) und den übergeordneten Katastrophenschutz (Innen) zuständig waren.

Verantwortung im Wiederaufbau

Bei seiner Arbeit hat der Untersuchungsausschusses allerdings erhebliche Mängel in den Entscheidungsabläufen und beim Informationsfluss zwischen den Verantwortlichen zu Tage gefördert. Die Umweltbehörde hatte schon früh eine Katastrophe enormen Ausmaßes prognostiziert. Diese Informationen und ein dramatischer Notruf aus der Verbandsgemeinde Altenahr landeten jedoch im Nirwana der Zuständigkeiten.

Der Landrat des vor allem betroffenen Landkreises Bad Neuenahr-Ahrweiler hatte in der Flutnacht die Leitung des Katastrophenschutzes an einen Mitarbeiter delegiert, um derweil private Angelegenheiten zu regeln. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn.

Die Oppositionsparteien und Betroffene aus der Region fordern deshalb auch die Ministerpräsidentin auf, für die Mängel und Fehler Verantwortung zu übernehmen oder sich wenigstens dafür zu entschuldigen. „Das große Leid, die Zerstörung, das hat mich persönlich sehr mitgenommen“, sagt Dreyer dazu am Freitag und wendet sich erneut an die Betroffenen: „Ihr Schicksal tut mir unendlich leid. Ich kann das Leid nicht ungeschehen machen“.

Sie sehe ihre Verantwortung aber darin, den Wiederaufbau mit ganzer Kraft voranzutreiben. Der Katastrophenschutz werde zudem neu aufgestellt, damit er besser auf Naturkatastrophen vorbereitet sei, die wegen des Klimawandels an Intensität und Häufigkeit zunähmen, so Dreyer.

CDU und AfD fordern Dreyers Rücktritt

Nach der Befragung der Ministerpräsidentin fordern die CDU indirekt und die AfD ausdrücklich ihren Rücktritt. „Wir sind schon ein Stück weit beschämt vom Auftritt der Ministerpräsidentin“, sagt CDU-Obmann Dirk Herber; sie trage die Verantwortung für das Handeln der Landesregierung und müsse deshalb auch persönlich Konsequenzen ziehen. Der AfD-Fraktionsvorsitzende Michael Fritsch geht weiter: „Frau Dreyer hat ebenso wie ihre Regierung in der Flutnacht versagt, sie muss zurücktreten“.

Für die SPD weist ihr Obmann Nico Steinbach diese Forderungen zurück. Die Ministerpräsidentin habe plausibel belegt, dass sie in der Flutnacht nicht mit einer Katastrophe unbekannten Ausmaßes habe rechnen können, so der Sozialdemokrat; er habe bei der Befragung Dreyers zudem keine neuen Erkenntnisse gewinnen können.

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13 Kommentare

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  • Das hier Parteipolitisch agiert wird, ist offensichtlich.



    Es irritiert mich, dass die AfD im Artikel als " Wächter des Anstands" zitiert wird.



    Ebenfalls interessant ist, dass bei allen Akteuren die Parteizugehörigkeit genannt wird, beim zuständigen Landrat nicht. Der ist nämlich in der CDU und von den Betroffen wurde er auch als Hauptverantwortlicher kritisiert.



    Dass gerichtlich gegen Ihn vorgegangen wird, spricht für sich,

  • Malu Dreyer (SPD): „Ich bin davon ausgegangen, dass dieses Hochwasser beherrschbar ist“, sagt sie. Und: „Ich hatte keinerlei Kenntnis davon, dass zum Teil örtliche Behörden nicht funktioniert haben und auch nicht davon, dass die Flutkatastrophe ein solches Ausmaß hat“.

    'Willkommen im Zeitalter des Klimawandels', kann man da nur noch unseren Politikern zurufen. Dass Frau Dreyer keine Ahnung vom Klimawandel und von Naturkatastrophen hat, das wirft man ihr ja gar nicht vor, aber als Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz sollte man doch wenigstens dafür sorgen, dass die zuständigen Behörden in einem Notfall reibungslos funktionieren.

    Dreyer: „Ich bitte zur Kenntnis zu nehmen, dass mit diesem Ausmaß niemand gerechnet hat“.

    Die Klimawissenschaftler haben schon lange damit gerechnet, aber wir wählen ja immer Juristen, Politologen, BWL/VWL'er als unsere sogenannten Volksvertreter, die von Naturgesetzen keine Ahnung haben, aber ständig "schlaue" - aber dennoch sinnfreie - Reden von sich geben und den Klimawandel weiterhin nicht ernst nehmen, damit das klimaschädliche Wirtschaftswachstum weitergehen kann.

    taz: "Für die SPD weist ihr Obmann Nico Steinbach diese Forderungen zurück. Die Ministerpräsidentin habe plausibel belegt, dass sie in der Flutnacht nicht mit einer Katastrophe unbekannten Ausmaßes habe rechnen können, so der Sozialdemokrat; er habe bei der Befragung Dreyers zudem keine neuen Erkenntnisse gewinnen können."

    Wer hätte das gedacht, dass ein SPD-Mann einer SPD-Frau hilfreich zur Seite springt? *LOL*

    • @Ricky-13:

      Na na Ricky, der Klimawandel war also ursächlich? Die Uni Bonn kommt in einer ausführlichen Untersuchung zu einem anderen Ergebnis. Vor allem eine unvernünftige Bebauung und viel menschengemachtes Treibgut waren die Gründe für die Pegelhöhen und Fließgeschwindigkeiten. Die reine Menge an Wasser war demnach sogar geringer als 1804. Und 1804 gab es ja nunmal noch nicht im Ansatz die heutige Form des Klimawandels. Übrigens sind Bodenverdichtungen und Erosion durch Ackerbau ein ebenfalls entscheidendender Faktor für Flutkatastrophen. Kleiner Tipp: nicht für jeden Schauer reflexartig den Klimawandel verantwortlich machen. Erst nachdenken, informieren, nochmal nachdenken und dann ggf. äußern.

      • @Klaus Kuckuck:

        "Erst nachdenken, informieren, nochmal nachdenken ..." – An Ihren Rat sollten Sie sich vielleicht mal selbst halten.

        "... ob es in einer Welt ohne Klimawandel ebenfalls zu einer Sturmflut im Juli 2021 gekommen wäre. [...] Die Modelle zeigen, wie viele Fluten auf Ahrtal-Niveau sich in tausend Jahren durchschnittlich ereignen. Und so gut wie alle Modelle legen nahe: In einer Welt ohne Klimawandel kommt es wesentlich seltener zu solch verheerenden Naturkatastrophen. Extreme Regenfälle wie im Ahrtal gibt es in einer typischen westeuropäischen Region im Schnitt alle 400 Jahre einmal, heißt es in der Studie, an der auch Wissenschaftler vom Deutschen Wetterdienst (DWD) mitwirkten. Durch den Klimawandel habe sich diese Wahrscheinlichkeit um das 1,2- bis 9-Fache erhöht. Was bislang circa alle 400 Jahre eingetreten war, könnte jetzt also schon alle 50 Jahre passieren." [FOCUS online - 15.02.2023]

        • @Ricky-13:

          "...Die folgenschwersten Hochwässer sind aufgrund der überlieferten Schäden die von 1601, 1804 und 1910,..."(Quelle: Wikipedia) Irgendwas stimmt mit der 400 Jahre Rechnung offenbar nicht so ganz. Sie können ja auch selbst nochmal nachrechnen. Mit oder ohne Klimawandel gab und gibt es Hochwässer der dokumentierten Größenordnung. Die Vorsorge liegt hier nun mal nicht in erster Linie im Klimaschutz, sondern in den genannten baulichen Vorkehrungen. Selbst wenn die Menscheit ab sofort kein Gramm CO2 mehr emittieren würde, wird es früher oder später vergleichbare Regenmengen im Ahrtal geben. Der Schwerpunkt zur Vorbeugung einer Wiederholung der Flutkatastrophe im Ahrtal liegt in diesem Fall nunmal nicht im Kampf gegen den Klimawandel. Dies wäre eine fatale Fehleinschätzung für die dort lebenden Menschen.

          • @Klaus Kuckuck:

            Die internationale Forschungsgruppe, zu der auch studierte Meteorologen des Deutschen Wetterdienst (DIW) gehörten, werden das mit der Attributionstheorie schon richtig berechnet haben. Im April 2021 wurde am Mauna-Loa-Observatorium auf Hawaii erstmals eine CO2-Konzentration von mehr als 420 ppm gemessen. Vor der vorindustriellen Epoche, also bis etwa zur Mitte des 19. Jahrhunderts, lag dieser Wert noch im Bereich von 280 ppm. In ein paar Jahren werden 430 ppm CO2 erreicht sein und dann ist der weitere Anstieg der CO2-Konzentration nicht mehr aufzuhalten. Man kann also davon ausgehen, dass es in absehbarer Zeit nicht nur alle 50 Jahre so eine Naturkatastrophe in Deutschland geben wird, sondern eher alle paar Jahre. Dass die "CO2-Party" jetzt zu Ende ist, möchten viele Bürger und Politiker aber wohl immer noch nicht wahrhaben.

            • @Ricky-13:

              Oha, nun findet Ihre "CO2 Party" also schon alle paar Jahre statt. Sie scheinen das mit den Naturgewalten wirklich nicht verstehen zu können. Nach Ihrer eigenen Logik löst die Menschheit, bzw. Frau Dreyer, das Klimaproblem und sodann regnet es nur noch leichte Brisen, es wehen lauhe Lüftchen, die Bäche plätschern und die Vögel zwitschern. Stürme, Fluten und heftige Unwetter gehören dann der Vergangenheit an, bzw. das Ahrtal wird nur noch alle 400 Jahre abgeräumt.

    • @Ricky-13:

      ....ich erinnere, am Tag vor der Flutkatastrophe im Wetterbericht gehört zu haben " es wird mit Niederschlag um 100 Lieter pro qu gerechnet ". Mein Kopfkino : Also 10 Giesskannen a 10 Lieter auf 1 qu ' ok - sehr viel und wohin soll das ganze Wasser denn hin ?



      Scheinbar funktioniert bei einigen Abgeordneten und Ministern das einfache Vorstellungsvermögen nicht.



      Für solchen VERANTWORTUNGSVOLLEN Zeitvertreib - Job desqualifiziert - sorry - geht einfach nicht. Nicht wenn es um Menschen und auch jede Menge Tierleben geht.



      Wenigdtens jetzt Respekt vor den Opfern zeigen und ABTRETEN !!! @ sofort

      • @Alex_der_Wunderer:

        Liter pro Quadratmeter, das sind, viel anschaulicher noch als Gießkannen, und ohne Umrechnungsfaktor: Millimeter Niederschlag. 100 mm, also 10 Zentimeter Wasser, ÜBERALL. Ja: Wo sollte das hin ?

        • @lesnmachtdumm:

          ...jap, gerade bei abschüssigen, überwiegend versiegelten Bodenflächen ? Kippen Sie mal diese Wassermassen auf ein Grundstück von 500 qm wovon 400 qm durch Gebäude und Pflasterungen versiegelt sind. Schon haben Sie einen halben Meter Wassermasse pro Bodenfläche....

  • Da ist ja einiges Schiefgegangen in dieser Katastrophennacht. Allerdings war es genauso verheerend, dass überhaupt Überflutungsbereiche so dicht bebaut wurden. Und was passiert jetzt? Alles wird wieder aufgebaut und die Überflutungsbereiche werden wieder so eng bebaut. Man verliert den Glauben an die Menschheit.

    • @interpolantics:

      Richtig. Zur Überprüfung der Vorhersagbarkeit der Katastrophe gibt es ein einfaches, objektives Kriterium: Was kostet (bzw. hätte es gekostet) eine Elementarschadensversicherung in den verschiedenen betroffenen Lagen. Die Risikokarten und Versicherungsangebote gab es ja schon vor der Flut, und die sind aus elementarem wirtschaftlichen Interesse auf dem aktuellen Stand. Danach soll bitte jeder, der locker aus dem Handgelenk behauptet, die Flut war komplett unvorhersagbar, sich entschuldigen und zurücktreten.

      • @TheBox:

        👍👍