Hochwasser in Niedersachsen: Zu langsam für den Klimawandel
Die Hochwasserkatastrophe im Norden wird kaum Konsequenzen zeitigen. Denn deutsche Bürokratie-Dauerschleifen und Klimawandel: Das beißt sich einfach.
E s stimmt ja nicht, dass diese Katastrophe nicht vorherzusehen war. Bis auf den Umfang vielleicht, so viel Starkregen an so vielen Stellen – das ist schon Pech. Aber dass der Katastrophenschutz so gut funktioniert hat, liegt auch daran, dass man schon lange weiß, wo die Schwachstellen liegen. Die Karten der Risiko- und Gefahrengebiete liegen ja vor, sogar öffentlich. Wer genau hinschaut, sieht, dass sich das Wasser in den meisten Gegenden brav an die Prognosen gehalten hat.
Was in Deutschland eben dauert, ist, daraus die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Denn irgendwo auf dem Weg zwischen aktualisierten Hochwasserschutzplänen, dem Identifizieren der notwendigen Maßnahmen, dem Beantragen von Projektmitteln, der Organisation von öffentlichen Beteiligungen und politischen Mehrheiten, dem Einholen von Genehmigungen, dem Erwerb der notwendigen Flächen, dem Ausschreiben der Baumaßnahmen und deren Umsetzung geht Kommunen und Landkreisen gerne einmal die Puste und das Geld aus. Zumal dieses Wasser ja auch die dumme Angewohnheit hat, sich nicht an kommunale Grenzen zu halten, und deshalb weitere Koordinierungsschleifen notwendig macht.
Ein Beispiel aus dem Kreis Hildesheim, wo der Fluss Innerste durchfließt: Der „Hochwasserschutzverband Innerste“ wurde nach dem verheerenden Hochwasser in 2017 angestoßen. Aus der Erkenntnis heraus, dass die Flussanrainer ihre Hochwasserschutzmaßnahmen besser koordinieren müssen. Das Land Niedersachsen stellte dafür ein Sondervermögen von 15 Millionen Euro zur Verfügung. Für andere Flüsse in Niedersachsen gibt es ähnliche Programme, aber der Topf für die Innerste ist der größte.
Es dauerte fast fünf Jahre, bis sich der Verband 2022 formell konstituierte. 23 Maßnahmen umfasst das überregionale Schutzkonzept, darunter der Bau zahlreicher Rückhaltebecken und der Ausbau des Flusses Nette bei Rhüden. Zehn dieser Maßnahmen sollten Priorität erhalten. In der Umsetzung befinden sich derzeit zwei. Es gibt Dutzende solcher Beispiele.
Das eine Problem ist die Schwerfälligkeit des komplexen Systems, das andere die notorische Kurzsichtigkeit von Bürger*innen wie Politiker*innen. Natürlich fordern jetzt alle Hochwasserschutzmaßnahmen. Aber wenn der nächste Dürresommer kommt? Wenn das Geld für die nächsten drei Krisen dringender gebraucht wird? Wer fühlt dann noch das Bedürfnis, teure Baumaßnahmen anzuschieben oder gar nur Geld für eine Sandsackfüllanlage lockerzumachen? Das ist die eigentlich bittere Lektion aus diesem Hochwasser: Man weiß genau, was zu tun ist, und schafft es trotzdem nicht. Der Klimawandel ist zu schnell und zu komplex für uns.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“