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Historische Chance der US-ProtesteIn der Tragik liegt Kraft

Dorothea Hahn
Kommentar von Dorothea Hahn

Wenn es einen Moment gibt, den die USA positiv nutzen könnten, dann diesen. Jetzt ist die Zeit, rassistische Polizeigewalt per Gesetz zu verbieten.

Ein Polizist verhaftet eine Demonstrantin in Los Angeles Foto: Jae C. Hong/ap

W enn es Hoffnung auf eine politische Wende zum Besseren in den USA gibt, dann liegt sie bei jenen, die jetzt in täglich wachsender Zahl auf den Straßen sind: Bürgerrechtsgruppen, Gewerkschaften, Linksradikale, die Antifa, die Intellektuellen und die vielen schwarzen und die Handvoll von weißen Kirchen. Die Hoffnung ist nicht die Demokratische Partei, die bei den Präsidentschaftswahlen mit dem denkbar schwächsten Kandidaten seit Jahrzehnten antreten will und die in dieser Krise wie gelähmt ist. Und die Hoffnung sind erst recht nicht die RepublikanerInnen, die ihren Anstand, ihre Moral und ihre Prinzipien vor den Füßen Donald Trumps abgelegt haben.

Die Bewegung hat erkannt, dass dies ein historischer Moment ist, den sie nutzen muss. Der Mord eines unbewaffneten schwarzen Mannes durch einen weißen Polizisten, dem seine Komplizen in Uniform den Rücken deckten, war der Auslöser. Aber er ist nicht der einzige Grund für die massiven Proteste, die sich auf alle 50 Bundesstaaten ausgedehnt haben. Schon vor George Floyd sind in den vergangenen Jahren Hunderte schwarzer Männer und Frauen brutal von der Polizei getötet worden.

Was dieses Mal anders macht, ist einerseits die politische Lage nach dreieinhalb Jahren Verrohung durch Trump. Andererseits ist es die Pandemie, die Millionen US-AmerikanerInnen in die Verelendung stürzen wird. Viele wegen Covid-19 Gefeuerte erhalten bislang noch die befristete Arbeitslosenhilfe. Aber ab Juli stehen sie vor einem Abgrund, ihnen drohen Räumungen, Obdachlosigkeit und Armut.

Krisen in den USA hatten immer eine Hautfarbe. Das gilt auch in der Pandemie. Am schwersten betroffen sind die Niedriglohnbeschäftigten. Sie lebten schon zuvor von der Hand in den Mund. Wie bei anderen gesellschaftlichen Übeln – von der medizinischen Unterversorgung über miserabel ausgestattete Schulen bis hin zur behördlichen Repression – hat die Pandemie die „Minderheiten“, AfroamerikanerInnen und Latinos, besonders stark getroffen. Unter ihnen sind prozentual die meisten Todesopfer zu beklagen. In ihren Reihen finden sich prozentual die meisten Arbeitslosen.

Sie spüren – und die ÖkonomiebeobachterInnen geben ihnen recht –, dass sie unabsehbar lange mittellos bleiben werden. Weit über den Zeitpunkt hinaus, zu dem die meisten Unternehmen und Konzerne sich erholt haben werden. Diese Aussicht auf Elend gibt der Wut über die rassistische Polizeigewalt von Minneapolis eine zusätzliche Dimension.

Wer sich statt auf die Forderungen der Demonstranten darauf konzentriert, ein Ende der Plünderungen zu fordern, ist Donald Trump bereits auf den Leim gegangen

Wenn es einen tragischen Moment gibt, den die USA positiv nutzen könnten, dann diesen. Jetzt ist der Zeitpunkt, um rassistische Polizeigewalt per Gesetz zu verbieten. Jetzt ist der Zeitpunkt, um Krankenversicherungen für alle einzuführen. Und jetzt ist der Zeitpunkt, um Mindestlöhne durchzusetzen, von denen die Beschäftigten leben können.

Mit Donald Trump ist nichts davon zu erreichen. Er – und seine Partei – sind Teil des Problems. Auch von Joe Biden, dem mutmaßlichen Präsidentschaftskandidaten der Demokratischen Partei, ist wenig zu erwarten. Er zeigt kein Interesse daran, die sozioökonomischen Missstände, die durch die Pandemie bis zur Unerträglichkeit verschärft werden, radikal zu verändern.

Trotz dieser mangelnden Repräsentation an der Spitze waren die Aussichten der Bewegung auf radikale Veränderungen lange nicht besser. Der nötige Druck von unten ist da. Er kann dafür sorgen, dass die Bundesstaaten dort aktiv werden, wo die Bundesregierung versagt. Bei früherer Gelegenheit hat das etwa Kalifornien mit Umweltgesetzen getan, jetzt könnten New York, New Jersey und Illinois – Bundesstaaten mit großen Rassismusproblemen bei der Polizei und mit starken demokratischen Mehrheiten, zur Avantgarde werden. Sie könnten rassistische Polizeigewalt qua Gesetz kriminalisieren, Gesundheitsversorgung für alle und höhere Mindestlöhne durchsetzen. So würden sie der Protestbewegung zeigen, dass sie verstanden haben, zugleich dem Rest des Landes den Weg weisen und den nächsten Präsidenten, den nächsten Kongress, unter Zugzwang setzen.

Wer sich stattdessen darauf konzentriert, ein Ende der Plünderungen zu fordern, ist Donald Trump bereits auf den Leim gegangen. Die Menschen, die jetzt Lokale abfackeln und Geschäfte ausräumen – darunter Schwarze und Weiße –, sind meist weder WählerInnen noch AktivistInnen. Sie sind nicht Teil einer Bewegung, sondern TrittbrettfahrerInnen. Dass sie quer durchs Land für politische (und polizeiliche) Argumente unerreichbar sind, ist nicht die Verantwortung der Protestbewegung.

Wenn einzelne Bundesstaaten begännen, die Ungerechtigkeiten abzuschaffen, die zu den Protesten geführt haben, wird sich das Problem der Plünderungen von ganz allein und nebenbei erledigen.

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Dorothea Hahn
Korrespondentin
Kommt aus Köln. Ihre journalistischen Stationen waren Mexiko-Stadt, Berlin, Paris, Washington und New York.
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6 Kommentare

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  • "Jetzt ist die Zeit, rassistische Polizeigewalt per Gesetz zu verbieten."

    Boah ey, was für ein lahmer Spruch. Da werden sich die Unterdrückten der Erde aber bedanken, Frau Hahn. Als nächstes könnten wir uns überlegen, ob wir vielleicht Rechte für alle Menschen einführen könnten.

    Der abgekaute alte Appell an die "Moral" (die die Republikanis an den Füssen des Biggest Trump Alive abgelegt haben sollen) schlägt in die selbe Bresche -- wenn wir den Menschen nur per Gesetz oder per dominanter Moral dazu zwingen, sich richtig zu verhalten, wird alles gut.

    Für ein grösseres, bewussteres, fortschrittlicheres Menschheitsprojekt brauchen wir einen Ethikbegriff der selbstbestimmten informierten Verantwortlichkeit, der über statisches Moraldenken (und Gesetze sowieso) hinausgeht.

  • Anlässlich der Ermordung von George Floyd stellt die Edition Salzgeber den Film "I Am Not Your Negro" für einen schlappen Euro bei Vimeo als Stream zur Verfügung.

    "I AM NOT YOUR NEGRO basiert auf einem Manuskript von James Baldwin (1924-1987), in dem sich der Autor und Aktivist mit den Biografien dreier enger Freunde beschäftigt: Martin Luther King, Malcolm X und Medgar Evers. Die Erinnerungen an die drei großen Bürgerrechtler, die alle bei Attentaten ermordet wurden, verknüpft Baldwin mit einer Reflektion der eigenen, schmerzhaften Lebenserfahrung als Schwarzer in den USA. Pecks Film schreibt Baldwins Fragment im Geiste des Autors fort und verdichtet es zu einer beißenden Analyse der Repräsentation von Afro-Amerikanern in der US-Kulturgeschichte. In seiner furiosen Erweiterung spannt Peck den Bogen bis in die Jetztzeit: zur noch immer allgegenwärtigen weißen Polizeigewalt gegen Schwarze, den Rassenunruhen von Ferguson und Dallas und der Black-Lives-Matter-Bewegung. "

    vimeo.com/ondemand...m3YpDnD9qf8lJGhpiw

    Sprecher ist der übercoole Samuel L. Jackson.

    Sein Gehilfe ist Sammy Deluxe

  • Vielen Dank für diesen fundierten wie verständnisvollen Kommentar

  • Zitat: „Wenn einzelne Bundesstaaten begännen, die Ungerechtigkeiten abzuschaffen, die zu den Protesten geführt haben, wird sich das Problem der Plünderungen von ganz allein und nebenbei erledigen.“

    Schön wär‘s. Leider ist dieses Szenario gleich doppelt unwahrscheinlich.

    Zum einen haben „die Demokraten“ auf Ebene der Bundesstaaten ganz ähnliche Probleme, wie die Deutschen Sozialdemokraten auf Landesebene. Sie haben viel zu wenig geeignetes Personal, um Washington tatsächlich Konkurrenz zu machen. Wie in Deutschland, scheint die Landesebene gerade für die durchsetzungsfähigsten Demokraten lediglich eine Art Sprungbrett zu sein, von dem aus sie es nach Washington schaffen wollen. Sie müssen also nicht nur ihre Wähler vor Ort beeindrucken, sondern auch ihre künftigen Mentoren. Und die schauen sich sehr genau an, wem sie ihre Unterstützung zukommen lassen. Joe Biden ist ein aktuelles Exempel für derartige Fehlentscheidungen.

    Das mit dem Unter-Druck-Setzen wird also nicht funktionieren. Schon gar nicht „nebenbei“ und automatisch. Das US-Wahlsystem ist dafür denkbar ungeeignet. Wenn überhaupt, müsste der (moralische) Druck von ganz unten kommen, von den Protestbewegungen also. Dafür allerdings müssten diese eine Möglichkeit finden, sich erkennbar zu distanzieren von gewalttätigen Trittbrettfahrern. Die Bundesstaaten werden ihnen dabei sicher nicht zu Hilfe kommen. Die haben mehr davon, wenn sie sich auch in vier Wochen noch als Law-ins-Order-Garanten inszenieren können.

    Nein, ich denke nicht, dass in den USA oder sonst irgendwo auf der Welt ein Weg an der Eigenverantwortung vorbei führt. Erst, wenn die mit Gewalt Beherrschten sich selber davon überzeugt haben, dass sie Gewalt mehrheitlich nicht nötig haben, wird der Moment gekommen sein. Denn nur wer selbst überzeugt ist, kann andere überzeugen. Wäre „der Westen“ nicht so selbstverliebt, könnte er das lernen - vom Osten, dem er zwar an Feiertagen huldigt, den er ansonsten aber standhaft ignoriert.

  • Ich gehe davon aus, dass rassistische Polizeigewalt in den USA schon jetzt verboten ist. Aber eine Mischung aus Korpsgeist, Druck seitens der Polizeigewerkschaften und Rassismus der StrafverfolgerInnen führt eben dazu, dass es nicht zur Strafverfolgung/Verurteilung kommt.

    Mir fällt übrigens auf, dass in praktisch keinem der Kommentare zu den aktuellen Ereignissen in den USA das Wort "Kapitalismus" auftaucht.Der Elefant im Raum ist unsichtbar.