piwik no script img

Historiker über neue Rom-Begeisterung„Der Bezug aufs Imperium ist wieder aktuell“

Ludwig van Beethovens Antikenverehrung lebt: als Verherrlichung römischer Kaiser. Warum, erklärt ein Vortrag zum „Eroica“-Konzert in Hamburg.

Meister der Propaganda: Kaiser Augustus, hier eine Büste einer Ausstellung 2022 im Hamburger Bucerius Kunst Forum Foto: Beethoven-Haus Bonn
Interview von Petra Schellen

taz: Herr Brockkötter, was hat das alte Rom mit Beethovens „Eroica“ -Sinfonie zu tun?

Philipp Brockkötter: Beethoven selbst hat Napoleon, dem er die „Eroica“-Symphonie, also die „Heroische“, zunächst widmete, mit römischen Konsuln verglichen, von denen er wohl eine romantisch-demokratische Vorstellung hatte. Als sich Napoleon 1804 zum Kaiser krönte, widerrief Beethoven die Widmung. Mein ins Konzert eingestreuter Slam-Beitrag greift diesen Bezug zu großen Persönlichkeiten der Antike in Person des Augustus auf – genauer: warum er von seinen Nachfolgern nachgeahmt wurde. Im Übrigen ist die Bezugnahme auf das antike Rom heute wieder aktuell.

taz: Inwiefern?

Brockkötter: Facebook-Gründer Mark Zuckerberg ist ein Bewunderer des Augustus, der nach Weltfrieden gestrebt habe, dafür aber „einiges tun musste“. Dieser Satz ist an Ironie kaum zu überbieten. Denn mit „einiges tun“ sind die römischen Bürgerkriege gemeint, die Hunderttausende oder gar Millionen Menschen das Leben kosteten. Und auch das Geschäftsgebaren von Facebook wird ja mitunter als imperialistisch bezeichnet.

Bild: Privat
Im Interview: Der Interviewpartner

Philipp Brockkötter

33, promovierter Historiker, arbeitet im Friedensbüro der Stadt Münster

taz: Und Elon Musk irritierte bei Trumps Inaugurationsfeier mit dem „römischen Gruß“.

Brockkötter: Ja, und er sah vielleicht nicht zufällig aus wie ein Hitlergruß. Ein enger Vertrauter Musks in Italien soll dazu in einem später gelöschten Post auf der Social Media-Plattform X geschrieben haben: „Das Römische Reich ist zurück, angefangen mit dem römische Gruß“. Musk selbst soll in einer Diskussion um Einflussnahmen anderer Staaten auf die amerikanische Politik gesagt haben, man brauche vielleicht wieder jemanden wie den römischen Diktator Sulla. Beide Beispiele zeigen, wie groß die Rezeption der Antike und deren argumentativer Einsatz immer noch ist, wobei die tatsächlichen Hintergründe kaum eine Rolle spielen: So ist der „römische Gruß“ durch die Faschisten bekannt, und Sulla war ein brutaler Herrscher und Erfinder der Proskription – dem öffentlichen Aushängen der Namen politischer Gegner, die dann jeder töten durfte. Der Bezug auf das römische Imperium lässt sich in der gesamten Geschichte verorten – von Karl dem Großen über Mussolini, der sein ganzes Leben mit Augustus parallelisiert hat, bis in die heutige Zeit.

taz: Ein Beispiel?

Brockkötter: Da wäre zum Beispiel ein TikTok-Trend von 2023. Da fragten Frauen ihre Männer: „Wie oft denkst du an das römische Reich?“ Die Antwort war dann „dreimal täglich“ oder „fünfmal täglich“ oder ähnlich. Immer wieder aufgegriffen wird auch die Imitatio Augusti, die Nachahmung des Augustus.

10. Philharmonisches Themenkonzert „Musik und Wissenschaft“: Beethoven-Sinfonie Nr. 3 mit Vortrag: Positionierung von Herrscher: innen: 17. 2., 19:30 Uhr, Elbphil­harmonie

Die Themenkonzerte sind ein Gemeinschaftsprojekt des Philharmonischen Staatsorchesters und des Science Slam

taz: Das heißt?

Brockkötter: Die Römer waren ein konservatives Volk nach dem Motto „früher war alles besser“. Alles, was die Vorfahren getan hatten, war demnach, überspitzt ausgedrückt, per se richtig. Augustus und seine Nachfolger ersetzten das durch „Alles, was Augustus gemacht hat, ist richtig“, und damit gewann man gewissermaßen jeden Diskurs. Dabei kam es gar nicht auf Augustus’ wirkliche Taten an, es ging nicht um historische Akkuratesse, sondern um das, was die meisten dafür hielten.

taz: Markiert Augustus’ Herrschaft eine Zeitenwende?

Brockkötter: Ja, und so hat er sich auch selbst gesehen. Er sprach gern vom Goldenen Zeitalter, das er ausgerufen habe. In der Tat endet mit Augustus die Republik, und die Kaiserherrschaft als politisches System beginnt. Sein Narrativ war, er habe die Römer aus den Bürgerkriegen gerettet, in ruhiges Fahrwasser geführt, die Republik wieder hergestellt. Dabei hatte er die Bürgerkriege sehr brutal beendet, und seine „Ruhe“ war eine Grabesruhe: Die großen Familien der Republik waren mehr oder weniger ausgerottet, und es gab zunächst niemanden mehr, der ihm gefährlich werden konnte.

taz: Welche Rolle spielte Augustus’ Herrscherkult?

Brockkötter: Eine gravierende; er setzte Propaganda sehr effektiv ein. Er war wohl der erste Römer, den jeder im Reich mal gesehen hatte – sei es auf Münzen, als Büste oder als Statue im öffentlichen Raum. Hinzu kamen Dichter, die große Epen zu seinem Ruhm verfassten. Vergils „Aene­is“, das große Staatsepos von Rom, entstand zur Zeit Augustus’, und die Hauptfigur, der Held Aeneas, ist auf Augustus zugeschnitten.

taz: Ist Augustus auch wegen solch effektiver Propaganda ein beliebtes Vorbild?

Brockkötter: Das spielt sicherlich eine große, aber nicht die einzige Rolle. Zudem ist Augustus nicht das einzige beliebte Vorbild aus dem antiken Rom – man denke an Caesar, seinen Adoptivvater, der insbesondere für sein militärisches Geschick bewundert wird. Augustus ist hingegen zwar einer der größten Expansionisten der römischen Zeit, zugleich aber eher Politiker. Seine Schlachten schlug sein Freund Agrippa. Wichtig ist daher auch seine Rezeption als Schöpfer der Kaiserherrschaft, die als Synonym des Imperiums gilt, das man gern mit der eigenen Situation analogisiert, zumal viele Staaten noch eine imperialistische Grundhaltung besitzen – unter Trump vermehrt auch wieder die USA. Deren politisches System nimmt von Beginn an viele Anleihen in Rom: Der Name „Kapitol“ stammt aus Rom, seine Kuppel ist an Bauten wie dem Pantheon orientiert, und alle Städte und Staaten, die Senate haben oder Republik heißen, beziehen sich auf die römische Res Publica.

taz: Hat die Begeisterung für das alte Rom auch mit aktuellen rechten Tendenzen zu tun?

Brockkötter: Ich glaube, dass sich in einer Krisenstimmung, die wir gerade haben, schnell die Suche nach der guten alten Zeit oder einem Symbol der Stärke und Ordnung aufdrängt, die zugleich so weit zurückliegt, dass man sie gefahrlos bewundern kann. Wir brauchen irgendetwas aus der Vergangenheit, das wir als positiv empfinden und über die Gegenwart stülpen können. Und am Beginn der römischen Kaiserzeit wurde etwas groß im Sinne von „wir werden auch wieder groß“. Dabei geht es auch um bis heute wirkende Sehgewohnheiten: Trump wurde kürzlich auf dem „Spiegel“-Titel mit Lorbeerkranz als Imperator dargestellt – auch das ist eine Anspielung auf das antike Rom, die ihm, wenngleich kritisch gemeint, sicherlich nicht missfallen würde. Der Imperator gilt als der starke Mann. Da spielte und spielt vermutlich auch toxische Männlichkeit eine Rolle.

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!