Hindu-Tempel in Neukölln bald fertig: Im Tempel Heimat finden
Seit zehn Jahren wird in der Hasenheide ein Hindu-Tempel gebaut. Noch fehlt das Dach. Doch im Herbst soll der Tempel eröffnet werden – so Corona will.
Verziert ist der Turm mit 290 Statuen von Göttern, vierarmig sind die meisten. Sie können in alle Himmelrichtungen, ins ganze Universum also deuten. Dazu sind sie mit allen denkbaren Attributen von Tieren versehen und viele hocken in einer meditativen Haltung. 33 Millionen Götter gibt es im Hinduismus, sagt der 69-jährige Neuköllner, durcheinander könne man da schon kommen. Jeder einzelne Gott stehe fürs Ganze.
taz-Serie: Die meisten Geschichten enden nicht einfach, nachdem in der taz darüber ein Text erschienen ist. Deshalb fragen und haken wir bei ProtagonistInnen noch einmal nach: In unserer Serie „Was macht eigentlich?“ rund um den Jahreswechsel 2020/21 erzählen wir einige Geschichten weiter. Alle Texte sind online auf taz.de/berlin nachzulesen. (taz)
Der Turm ist der Eingang zum Hindu-Tempel, an dem in der Hasenheide 106 in Berlin, direkt neben Bowlingbahn, Bauhaus und Wettbüro, seit zehn Jahren gebaut wird. Man müsse sich den Turm als die Füße eines liegenden Gottes denken, erklärt Krishnamurthy. Zwischen denen geht der Gläubige durch und betritt die dahinter liegende Tempelhalle dann durch eine Tür, die der Bauchnabel der liegenden Gottheit sei.
Die Halle, ungefähr 600 Quadratmeter groß, ist ihr Uterus. Anatomie und Symbolik sind nicht deckungsgleich. Wichtig nur zum Verständnis: „Ein Tempel ist in der hinduistischen Vorstellung weiblich.“ Wer aus dem Tempel kommt, soll sich wie neu, wie wiedergeboren fühlen, befreit von aller schlechten Energie.
Tempel mit Fußbodenheizung
Das Fundament mit Fußbodenheizung wie auch die Mauern der Tempelanlage und die darin angelegten fünf Schreine für die Gottheiten Shiva, Ganesha, Murga, Durga und Vishnu sind fertig. Jetzt warten sie auf das Dach. „Die erste Dachhälfte ist geliefert.“ Krishnamurthy zeigt den Baufortschritt. Vor vier Jahren, als die taz zuletzt berichtete, war nur der eingerüstete Turm zu sehen.
Um die Symbolik, die dem Tempelbau zugrunde liegt, zu vervollständigen, sei gesagt, dass man sich die Kuppel – die später noch auf das Dach des Tempels gesetzt wird – als Kopf der Gottheit denken müsse. „Wenn das Dach drauf ist, kann es schnell gehen“, sagt Krishnamurthy.
Für den Innenausbau hätten sie drei bis vier Monate veranschlagt. Corona mache es derzeit allerdings schwierig. Nur fünf Arbeiter dürfen gleichzeitig auf der Baustelle sein. Trotzdem: Nach jetzigem Plan soll der Tempel im Herbst 2021 eröffnet werden – in Anwesenheit von Politikern. „Modi kommt vielleicht“, der indische Premierminister. Das wünscht sich die Gemeinde. Und Franziska Giffey habe schon zugesagt. „Ob als Familienministerin oder Berliner Bürgermeisterin, weiß man noch nicht“, sagt Krishnamurthy.
Giffey stand von 2015 bis 2018 dem Bezirk Neukölln als Bürgermeisterin vor. Sie war die Nachfolgerin von Bürgermeister Heinz Buschkowsky. Den kannte Krishnamurthy durch seine Arbeit im sozialen Bereich gut. Buschkowsky hat dafür gesorgt, dass der Tempel auf dem Grundstück gebaut werden kann.
Gelände in Erbpacht für 85 Jahre
Das Gelände wurde der hinduistischen Gemeinde für 85 Jahre in Erbpacht überlassen. Auf dem Grundstück stand eine alte, heruntergekommene Turnhalle. Diese hat die Gemeinde als Erstes hergerichtet und nutzt sie für Andachten und Feste. Viele Hochzeiten wurden hier schon geschlossen. Hinduistische und interreligiöse. Alle Religionen sind in Krishnamurthys Vorstellung gleich. „Hindus dürfen nicht missionieren.“ Einer seiner Söhne ist mit einer orthodoxen Christin liiert, der andere mit einer Katholikin.
Krishnamurthy, der 1975 als „Gastarbeiter“ – sein Wort –, nach Berlin kam, immer zurück nach Südindien wollte, aber nie den richtigen Zeitpunkt dafür fand, hat geträumt, dass er einen Tempel bauen muss. „Ich bin nur das Werkzeug.“ Das Werkzeug Gottes. Als seine Frau von den Plänen ihres Mannes hörte, versuchte sie Einhalt zu gebieten: „Wir sind nicht die Leute, die Tempel bauen“, habe sie gesagt. Aber hätte Krishnamurthy es nicht getan, er wäre sein Leben lang die Schuld nicht losgeworden, sich gegen Gottes Wunsch versündigt zu haben.
Vilwanathan Krishnamurthy
Fast traumwandlerisch ist er das Projekt angegangen. Das Wichtigste dabei: Mitstreitende finden. Denn einen Tempel zu bauen, ist nicht nur eine Sache der Ehre, sondern vor allem eine des Ehrenamtes. „Nur gemeinsam schafft man das.“
Heute hat die Gemeinde 9.000 Mitglieder. Ein Drittel mehr als vor vier Jahren. „Viele junge Leute mit Blue Cards sind dazugekommen“; Leute aus dem IT-Bereich. Den Gemeindevorstand haben sie deshalb auf zehn Leute erweitert. So tragen mehr Menschen, auch die der jüngeren Generation, die Last. Denn es geht nicht nur darum, die Gemeinschaft zusammenzuhalten und den Tempel zu vollenden, es geht auch darum, Spenden zu akquirieren, um das alles finanzieren zu können.
Hinduistischer Devotionalienshop
Und ist der Tempel erst eröffnet, so hofft Krishnamurthy, wird er eine Touristenattraktion, was auch Einnahmen bringt. Doch trubelig soll es nicht werden, über allem soll das „Oum“ liegen. Im Tor des Tempels allerdings werde es dann einen hinduistischen Devotionalienshop geben.
In einem kleinen Vorraum neben der alten Sporthalle sitzt Tempelarchitekt Ravi Shankar (der so heißt wie der berühmte Sitarspieler, aber er sei eben auch ein Allerweltsname) am Tag der Recherche auf dem Boden neben einem dünnen Elektroofen und modelliert aus Spezialbeton die Götter, mit denen die Tempelanlage verziert werden soll. Erst baut er mit Backsteinstückchen und Draht ein Gerüst, dann legt er behutsam eine Zementschicht nach der anderen darauf. Anfangs sind die Formen grob, nach und nach erscheinen filigrane Merkmale, Götter mit Elefantengesichtern oder solche, die auf Pfauen sitzen, einige haben mehr als einen Kopf, einige zähmen Schlangen.
Fast wie in Trance wirkt, was Shankar tut. Er hat Tempelbau in Südindien studiert. Es könne schon vorkommen, dass jemand eine Gottheit gestalte, die bisher unbekannt war, nur dürfe man das nicht falsch verstehen: Der, der sie macht, sei nicht der Erschaffer, er führe nur den Auftrag Gottes aus, erklärt Krishnamurthy. 150 Statuen sollen später den Tempelbau zieren. 70 sind fertig.
Krishnamurthys Lieblingsgott ist noch immer Murga. Er stehe für Klugheit und Schönheit. Murga werde besonders in Südindien verehrt und überall dort, wohin Tamilen, wie Krishnamurthy einer ist, ausgewandert sind. Mit Hilfe des Gottes also holt er seine Heimat nach Berlin.
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