Hindenburg vom Straßenschild vertrieben: Sozialdemokratisches Hochamt
Zu Bach-Variationen Hindenburg gecancelt: In Hamburg ist nun auch das letzte Stück Straße nicht länger nach dem Hitler-Ermöglicher benannt.
B ach geht immer. Also, als Musik in einer Kirche. In diesem Fall ist es allerdings gar nicht der Gläubigste unter den musikalischen Mathematikern (beziehungsweise Mathematiker unter den Gläubigen) selbst: Da vorne spielt Saxofonistin Theresa Sophie Kanitz eine, eben, Bach-Variation ihres recht bekannten Kollegen David Salleras. Dafür gibt es Applaus, ja: in der Kirche. So wie schon für die Interpretation des irischen Tränenzieher-Traditionals „The Last Rose of Summer“. Und für ein eingangs gespieltes Stück des quicklebendigen Christopher Evan Hass, in dem der seit Jahrhunderten tote Thomaskantor doch auch herumspukt.
Die Musik gliedert diese Gedenkstunde in der Hamburg-Alsterdorfer Martin-Luther-Kirche: ein nachkriegsmodernes Gebäude, erbaut 1961–63 von Henry Schlote, heftpflasterfarben und verkehrsumtost. Diese – in den Worten der Gemeinde selbst – „prominente Lage“ ist wichtig. Denn der motorisierte Verkehr, aber auch gar nicht wenige Radler:innen passieren das Gebäude auf einer Bebelallee. Und es ist eine dann doch auch sehr sozialdemokratische Feierstunde, zu der an diesem Freitagnachmittag gebeten wird. Vielleicht sagen wir daher auch besser: Gestaltet hat den Bau der in Norddeutschland einst einflussreiche Kirchenarchitekt Schlote – gebaut haben sie wohl immer noch heute namenlose Arbeiter.
Um Namen aber geht es. Die Bebelallee trifft da draußen auf die … nun, bis vor Kurzem wäre es eine Hindenburgstraße gewesen. Nach dem Hitler-Enabler sind bis heute in ganz Deutschland immer noch knapp 100 Straßen, Dämme, Ringe und derlei benannt, und bis zum 1. August war das auch die hier im Bezirk Hamburg-Nord. Ihr südliches Ende trägt seit gut zehn Jahren, die Mitte seit einigen Monaten einen anderen Namen: den des vielleicht mutigsten Hamburger, den die deutsche Sozialdemokratie je hervorbrachte. Das war gar nicht jener Altbundeskanzler, der etwas weiter nördlich, in seinem Langenhorner Neue-Heimat-Backstein-Doppelhaus, gerne auch mal Bach spielte. Nein, nach Otto Wels heißt sie, der 1933 die letzte freie Rede im Reichstag hielt, wider das nationalsozialistische „Ermächtigungsgesetz“.
Stolz sein könne die Stadt aber auch auf die neue Namensgeberin, das werden Vertreterinnen von Bezirksamt, -versammlung und Senat nicht müde zu unterstreichen: Nach Traute Lafrenz heißt künftig das verbliebene nördlichste Stück mitsamt einer nun ehemaligen Hindenburgbrücke. Traute Lafrenz aber, das war eine prominente Widerständlerin gegen das, dem Hindenburg den Weg geebnet hatte, das ist der Hamburger Zweig der „Weißen Rose“ – allervorzeigbarstes Deutschland also.
Schon 1988
scheiterte der erste Versuch, die Hindenburgstraße umzubenennen: Der Beschluss der Bezirksversammlung blieb ohne Folgen – wegen „historischer Kontinuitäten“. Zuletzt wollte Hamburgs CDU den Reichspräsidenten retten: Sie beantragte noch Anfang Juli, der Senat solle lieber „eine neu entstehende Straße“ nach Traute Lafrenz benennen.
Im Rest der Straße hängt der neue Name schon
Darüber wird Einigkeit bestehen unter den rund 50 Anwesenden im Kirchensaal, auf dessen weiß getünchte Wände immer wieder mal Sonnenlicht fällt, bunt gefärbt durch die imposante südliche Fensterwand. Ein wenig früher noch schien es der Himmel dagegen gut zu meinen mit dem historischen Steigbügelhalter: Es goss wie aus Kübeln, jede Aktion im Freien wäre unmöglich gewesen. Gegen 17 Uhr spielt die Sonne aber mit, das letzte Traute-Lafrenz-Schild (mit üppigen drei Zeilen Kommentar darunter) kann vor Publikum und auch ein paar Kameras von seiner Stoffhülle befreit werden – im Rest der Straße hängt der neue Name da schon längst.
Dunkle Wolken hängen über so einer Aktion aber auch bei bestem Wetter: Dass Straßenumbenennungen regelmäßig auf Widerstand stoßen, dass sie dauern können und einen sehr langen Atem erfordern, auch daran wird an diesem Nachmittag erinnert. Ins Jahr 1988 datiert Wolfgang Kopitzsch die Anfänge des Engagements für einen anderen Namen. Das sei nun zu einem für ihn sehr erfreulichen Ende gekommen, sagt der ehemalige Bundesvorstand des Arbeitskreises ehemals verfolgter und inhaftierter Sozialdemokraten. Der Historiker war von 2012 bis 2014 auch Hamburgs Polizeipräsident und lebt seit Jahrzehnten hier im Stadtteil.
Ganz zum Schluss spielt Theresa Sophie Kanitz nochmal, nun soll gemeinsam gesungen werden: „Die Gedanken sind frei“. Wer will, darf, nein, soll eine Rose mitnehmen.
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