Hilfstransporte nach dem Erdbeben: „Syrien im Stich gelassen“
Die UN werden für ihre zögerliche Erdbebenhilfe in Syrien kritisiert. Noch immer wird über mehr Zugang zu den Rebellengebieten gestritten.
Männer graben mit den Händen in Trümmern und ziehen einen Teddy hervor, der ein T-Shirt mit dem Logo der Vereinten Nationen (UN) trägt. „Die Syrer haben die UN in Nordwestsyrien gefunden“ ist der Titel dieses Youtube-Videos von „Creative Syria“. In Nordsyrien ist die Wut über die langsame Reaktion der Weltorganisation groß. Nach dem Erdbeben vor über einer Woche wurden aus Syrien zuletzt 5.900 Tote und 350.000 Vertriebene gemeldet, 8,8 Millionen Menschen im Land sind laut UN betroffen. Viele Tausende sind noch vermisst und nicht geborgen, noch immer fehlt es an Baggern, Werkzeug, Stromgeneratoren.
Die Weißhelme sind die einzige Organisation vor Ort mit der Ausrüstung und dem Training, um schwere Such- und Rettungsaktionen durchzuführen. Ihr Chef Raed al-Saleh beschwerte sich auf der Webseite von CNN: „Die Weißhelme erhielten während der kritischsten Momente der Rettungsoperationen keine Unterstützung von der UN.“ Seine Mitarbeiter haben Erfahrung im Bergen: Seit Beginn des Krieges in Syrien 2011 befreien sie nach Bombardements Menschen unter Trümmern.
UN-Hilfschef Martin Griffiths gab bei seinem Besuch an der syrisch-türkischen Grenze am Sonntag zu: „Wir haben die Menschen im Nordwesten Syriens bisher im Stich gelassen.“ Offiziell dürfen Hilfslieferungen der UN nur über einen einzigen Grenzübergang stattfinden, Bab al-Hawa; weitere Durchgänge haben Russland und China im UN-Sicherheitsrat wiederholt mit Vetos blockiert. Russland ist ein starker Verbündeter des syrischen Machthabers Baschar al-Assad. Dieser möchte, dass UN-Hilfen über Damaskus laufen. Die UN argumentierten, dass sie auch für Hilfsaktionen an die Resolutionen des UN-Sicherheitsrats gebunden sind.
Die erste UN-Delegation, die den Nordwesten Syriens besucht hat, überquerte am Dienstag die türkische Grenze: eine Bewertungsmission zur Koordinierung von Hilfen. Mittlerweile hat Assad zugestimmt, zwei weitere Grenzübergänge zwischen der Türkei und Syrien zu öffnen. Bab al-Salam und al-Ra’ee sollten für drei Monate geöffnet bleiben. Die Grenzübergänge liegen in Gebieten unter Kontrolle von bewaffneten Oppositionsgruppen.
Am Dienstag meldete Griffiths über Twitter, dass 11 Lastwägen mit UN-Hilfen über den Grenzübergang Bab al-Salam in den Nordwesten gefahren seien, 26 UN-Lastwägen hätten den Grenzübergang Bab al-Hawa überquert. Die Chefin der US-Behörde für Entwicklungszusammenarbeit (USAID), Samantha Power, schrieb am Mittwoch bei Twitter, die Freigabe zweier weiterer Grenzübergänge sei eine gute Nachricht. „Aber eine Resolution des UN-Sicherheitsrats bleibt der beste Weg, um sicherzustellen, dass Hilfe auf verlässliche Weise weiterhin fließen kann, selbst nachdem die Kameras aus sind.“ Der Sicherheitsrat möchte eine neue Resolution noch diese Woche verabschieden.
Hilfe von Russland
In den von Assad kontrollierten Gebieten lief mehr Hilfe an. Latakia am Mittelmeer und Aleppo zählen zu den stark betroffenen Regime-Gebieten. Humanitäre Hilfe kommt hier unter anderem von UN-Behörden wie dem Welternährungsprogramm sowie aus Ländern, die mit der Assad-Regierung verbündet sind, etwa Russland und Iran. Unter anderem kam ein erstes Flugzeug mit Hilfslieferungen nach Damaskus aus Algerien.
Am Dienstag landete eines aus Saudi-Arabien in Aleppo, mit 35 Tonnen an medizinischer Hilfe, Lebensmitteln und provisorischen Unterkünften. Es war das achte Flugzeug, das Saudi-Arabien entsandt hat. Die Luftbrücke nach Aleppo ist nach Angaben der Hilfsorganisation von König Salman (KSRelief) mit dem Syrischen Roten Halbmond abgestimmt. Die Vereinigten Arabischen Emirate hatten bereits am Tag nach dem Erdbeben 50 Millionen Dollar für Syrien und ebenso viel für die Türkei zugesagt.
Laut staatlichen syrischen Medien haben inzwischen mehr als 50 Flugzeuge Hilfsgüter aus arabischen und asiatischen Ländern zu Flughäfen in den von der Regierung kontrollierten Gebieten gebracht. Italienische medizinische Hilfe traf am Sonntag in Damaskus ein und war damit die erste europäische Erdbebenhilfe in den von der Regierung kontrollierten Gebieten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Kanzlerkandidat-Debatte
In der SPD ist die Hölle los
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Verfassungsklage von ARD und ZDF
Karlsruhe muss die unbeliebte Entscheidung treffen
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört