Hilfsorganisation aus Berlin: „Schwer, die Balance zu halten“

Eine Gruppe von Hel­fe­r:in­nen liefert ehrenamtlich Hilfsgüter in die Ukraine. Ein Gespräch über die Herausforderungen seit Kriegsbeginn.

Personen beladen einen Minibus mit Paketen.

Die Initiative Ukraine Solidarity Bus fährt monatlich nach Lwiw Foto: Christoph Löffler

taz: Bereits seit April 2022 ist eure Gruppe im Einsatz, jetzt steht die zwölfte Fahrt in die Ukraine an. Hat sich in der Spendenbereitschaft etwas verändert?

Reneé Somnitz: Ja, sehr. Die sehr hohe Spendenbereitschaft am Anfang hat nachgelassen, andere Themen rücken mehr in den Fokus. Ob Katastrophen wie das Erdbeben in der Türkei und Syrien oder auch einfach das alltägliche Leben. Durch die Inflation und die steigenden Energiekosten müssen auch hier in Deutschland die Menschen mehr aufs Geld schauen. Wir sammeln zwar auch Sachspenden, versuchen aber hauptsächlich Geld zur Verfügung zu haben – denn damit können wir das einkaufen, was konkret gebraucht wird.

Die Berliner Initiative „Ukraine Solidarity Bus“ sammelt Spenden und transportiert humanitäre Hilfsgüter in die Ukraine. Die nächste Fahrt nach Lwiw startet am 24. Februar, dem Jahrestag des russischen Angriffs

Karina S.: Bevor wir mit der Planung der kommenden Fahrt angefangen haben, haben wir festgestellt, dass wir im Minus sind. Wir wussten anfangs überhaupt nicht, ob wir die Fahrt machen können.

Ihr arbeitet alle ehrenamtlich, wie organisiert ihr das?

Karina S.: Mittlerweile sind wir 12 Aktive. Alle machen das freiwillig und neben ihren Hauptberufen und dem Familienalltag. Da ist es manchmal schwer, die richtige Balance zu halten, man will schließlich so viel wie möglich schaffen.

Renée Somnitz: Wir versuchen die Arbeit so gut es geht aufzuteilen und klare Absprachen zu treffen. Es gibt ein gutes Zusammenspiel in der Gruppe, viele kennen sich schon sehr lange. Aber klar: Manchmal ist es auch belastend, wenn nicht alles so möglich ist, wie man sich es wünschen würde.

Wie laufen eure Vorbereitungen ab?

Renée Somnitz: Da gilt: Nach der Fahrt ist vor der Fahrt. Wir versuchen alle vier bis fünf Wochen zu fahren, mit den Planungen geht es aber schon etwa drei Wochen vorher los. Im ersten Schritt wird intern geklärt, wer Zeit hat und wer die nächste Fahrt machen kann. Dann treten wir mit unseren Part­ne­r:in­nen in Kontakt, klären ab, was am dringlichsten gebraucht wird und überlegen uns, wie wir das besorgen können. Am Abend vor der Fahrt wird alles sortiert, die Päckchen werden in verschiedenen Sprachen gelabelt. Morgens wird alles eingeladen. Wir fahren mit einem Minibus mit großem Kofferraum, da geht schon einiges rein.

Karina S.: Nach dem Transport werden die Hilfsgüter an die Partnerorganisationen vor Ort übergeben, diese verteilen sie dann an Krankenhäuser oder geben sie weiter an verschiedene Orte in der Ukraine.

Welche Hilfsgüter werden am dringendsten gebraucht? Hat sich das gewandelt?

Karina S.: Das ändert sich eigentlich bei jeder Fahrt. Anfangs haben wir hauptsächlich Medikamente und Verbandsmaterial geliefert, im Winter dann viele Generatoren, die den Menschen Wärme spenden. Momentan liefern wir kaum Medikamente, sondern transportieren alles, was die Menschen so im Haushalt brauchen: Decken, Kochplatten, auch warme Kleidung und Hygieneartikel.

Wie verkraftet man das? Wenn man dann wieder in den Bus steigt und nach Deutschland zurückfährt?

Karina S.: Ich fahre nicht mit. Ich bin zwar aus der Ukraine, kann es mir aber bisher nicht vorstellen, hinzufahren.

Renée Somnitz: Ich bin zweimal gefahren. Einerseits ist es eine lange Strecke, andererseits aber auch irgendwie gar nicht. Wir sind meistens drei Tage lang unterwegs: Freitags fahren wir hin, samstags treffen wir die Partner:innen, verteilen die Hilfsgüter, tauschen uns aus, am Sonntag fahren wir wieder zurück. Trotz der kurzen Zeit vor Ort ist man sofort in einer anderen Welt. Auch in der Ukraine gibt es einen Alltag, die Leute sind draußen, die Cafés haben alle offen. Dass die Menschen sich nicht entmutigen lassen, hat mir auch Kraft gegeben. Gleichzeitig ist es natürlich überhaupt kein Alltag. Wir nehmen auf jeder Rückfahrt auch Menschen aus der Ukraine mit zurück nach Berlin. Dann sitzt man zehn Stunden zusammen im Bus und kommt ins Gespräch. Das ist natürlich sehr bewegend.

Woher nehmt ihr eure Motivation?

Karina S.: Ich lebe schon seit 2009 in Deutschland. Als ich nach Berlin gekommen bin, hatte ich zwar immer noch meine Familie in der Ukraine, aber ich war nie so stark mit meiner Heimat verbunden. Das ist inzwischen ganz anders geworden. Ich habe Freunde, die an der Front sind, ich habe einen Freund, der in Gefangenschaft ist. Es gibt keine Pause vom Krieg. Und die Gruppe ist für mich dabei wirklich wie ein Boot.

Renée Somnitz: Ich habe Slawistik studiert, Russisch und Polnisch und war selbst lange in Russland. Ich habe zwar keine Verbindungen in die Ukraine, fühle mich aber trotzdem sehr verbunden mit der Region. Für mich ist es weiterhin eine Selbstverständlichkeit zu helfen. Es gibt Menschen, die Unterstützung brauchen, und die kann die Ukraine als Staat gerade nicht bereitstellen. Mit unserer Gruppe können wir einen kleinen Beitrag leisten, der direkt bei den Menschen ankommt. Ich brauche danach aber auch ein paar Tage, um wieder in meinem Alltag anzukommen.

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