piwik no script img

Hilfen wegen der hohen EnergiekostenWir müssen über Belastungen reden

Anna Lehmann
Kommentar von Anna Lehmann

Statt die Gesellschaft auf steigende Belastungen vorzubereiten, kauft man sich Lösungen. Die Ampel gewichtet den Koalitionsfrieden höher.

zerstörtes Kiew am 21. März: Die Solidarität mit der Ukraine ist groß – kosten soll sie wenig Foto: Marko Djurica/Reuters

T rifft man am Berliner Hauptbahnhof auf die Menschen, die aus der Ukraine ankommen, dann kriecht neben Mitleid auch eine leise Scham in einem hoch. Da die Frauen und Kinder, die ihr gesamtes bisheriges Leben zurücklassen mussten. Menschen, die brutal zum Verzicht gezwungen wurden. Und hier wir, die wir unberührt von diesem Krieg unser Leben weiterleben.

Trotz der fatalen Abhängigkeit von Öl, Gas und Kohle, die zu einem Gutteil aus Russland stammen und deren Verkauf Woche für Woche 1 Milliarde Euro in Putins Kriegskassen fließen lässt, trotz des moralischen Drucks auf Deutschland, sich aus dieser für andere tödlichen Abhängigkeit umgehend zu lösen, gibt es vier Wochen nach Kriegsbeginn noch immer keine Ad-hoc-Maßnahme, den Konsum fossiler Energie einzuschränken: kein Tempolimit, keine autofreien Tage und keine ungeheizten öffentlichen Gebäude.

Im Gegenteil: Die Ampel-Regierung hat diese Woche ein Entlastungspaket auf den Weg gebracht, das die hohen Energiepreise abfedern soll und den Menschen suggeriert: Macht so weiter, wir sorgen dafür, dass es euch nichts kostet. Dabei hat die Ampel die Gelegenheit versäumt, die Gesellschaft auf Verzicht und steigende Belastungen vorzubereiten.

Krisen öffnen auch immer Möglichkeitsfenster. Als die Brennstäbe in den Reaktorblöcken von Fukushima schmolzen, beschloss die Regierung Merkel den Ausstieg aus der Kernenergie. Als Russland in die Ukraine einmarschierte, sagte die Regierung Scholz über Nacht Ja zu Waffenexporten und Aufrüstung. Auf anderen Feldern lässt sie diese Radikalität bislang vermissen.

Doch die Ampel gewichtet den Koalitionsfrieden höher. Statt Konflikte auszufechten, kauft man sich Lösungen. Sonst hätten sich SPD und Grüne längst mit der FDP angelegt, die ein Tempolimit auf Autobahnen für einen Angriff auf die individuelle und Steuererhöhungen für einen Anschlag auf die unternehmerische Freiheit hält.

Den Debatten über Zumutungen ist jedoch nicht zu entkommen. Wenn im nächsten Jahr die Schuldenbremse wieder greift und die Quelle grenzenloser Kredite versiegt, dann muss man für steigende Ausgaben entweder an anderer Stelle sparen oder über neue Einnahmequellen nachdenken, etwa über Steuern auf Vermögen und Erbschaften. Der grüne Wirtschaftsminister muss den Mineralölkonzernen nicht nur drohen, ihre Kriegsgewinne abzuschöpfen, sondern es tatsächlich tun.

Die Debatte über ein Tempolimit dürfte da noch die unkomplizierteste sein. Wenn die einen alles zurücklassen mussten, ist es für die anderen zumutbar, etwas langsamer zu fahren. Hier denkt die Mehrheit der Bür­ger:in­nen längst weiter als die Regierung.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Anna Lehmann
Leiterin Parlamentsbüro
Schwerpunkte SPD und Kanzleramt sowie Innenpolitik und Bildung. Leitete bis Februar 2022 gemeinschaftlich das Inlandsressort der taz und kümmerte sich um die Linkspartei. "Zur Elite bitte hier entlang: Kaderschmieden und Eliteschulen von heute" erschien 2016.
Mehr zum Thema

8 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Was verursacht die steigenden Strompreise, was die steigenden Gaspreise? Hat Russland die Stromlieferung eingestellt oder die Gaslieferung gedrosselt? Soweit bekannt liefert Russland keinen Strom und die Gaslieferung wurde (jedenfalls medial so nicht berichtet) die Lieferung ebenfalls nicht gedrosselt.



    Woher rührt also die momentane Knappheit, mit der die steigenden Preise begründet werden?



    Zukünftig könnte ein Gasembargo drohen, auch eine Drosselung der Lieferungen aus Russland könnte geschehen, keine Frage, was hat das mit den aktuellen Preisen zu tun?



    Meine Vermutung, es ist der Börsenhandel. Mit der Angst vor der Zukunft wird ein aktueller Börsenpreisanstieg begründet, nur führt der nicht zur Absicherung künftiger Lieferengpässe, sondern nur zu mehr Gewinnen im Jetzt bei den Börsenhändlern. Die Knappheit morgen kommt so oder so, aber erst dann wären steigende Preise logisch, dann würde der Preis aus Angebot und Nachfrage realen Gegebenheiten entsprechen. Momentan beruht er eher auf einer veränderten Angebots- und Nachfragesituation im Kaufen- und Wiederverkaufsverhalten der Börsenhändler.



    Zusätzlich ist der Strompreis aber auch an den Gaspreis gekoppelt, was dann zwangsweise einen Anstieg der Strompreise nach sich zieht. Der span. Premier Sanchez hat gerade eine Entkoppelung gefordert und ist damit am Widerstand der marktfundamentalen Nordländer wie D und die Niederlande gescheitert.

  • Solange die letzten 6 Atommeiler vom Netz gehen, ist jedes Gerede von „kein Geld für Putin“ nur Heuchelei. Die Ukrainer haben sicher nichts gegen Atomkraft.

  • Die Erleichterungen sind in meinen Augen eh nur symbolisch. Die Steuereinnahmen steigen je mehr die fossilen Energieträger kosten. Da sind die paar Cent nur eine milde Gabe bzw. eine kleine Rückgabe der Mehreinnahmen.

    Diese ganzen Debatten mit Tempolimit etc. haben so einen geringen Einfluss auf den Gesamtverbrauch, das es zu vernachlässigen ist. Wer sparen muss / will fährt von selber angepasst und vorausschauend. Wer die Kohle hat muss das nicht.

    Man darf bitte auch nicht vergessen das es viele Menschen gibt die sehr knapp rechnen müssen und es schmerzt eh schon massiv.



    Das füllen meiner Öltanks würde aktuell statt ca. 2500 € bei etwa 10.000 € kosten. Leider habe ich soviel Geld nicht rumliegen. Die Rücklagen für Heizöl betragen 3.000 €.

    Ich habe allerdings auch ein altes Haus. Nach dem Willen der grünen müsste ich mir bei einer defekten Heizung ab 2024 eine Wärmepumpe installieren. Inkl. Dämmung, Fußbodenheizung etc. liege ich da bestimmt bei ca. 80.000 bis 100.000 €.



    Super Perspektiven... .

    Tut mir also Leid das sich meine Opferbereitschaft in Grenzen hält bei der Aussicht eines Lebens in Schulden und massiver Abhängigkeit. Von der Inflation noch gar nicht gesprochen.

    • @FalscherProphet:

      ein riesen Aufwand, aber günstiger zu haben als die anderen Varianten und vor allem meistens auch ohne Außendämmung möglich:

      Temperierung

      www.temperierung.n...9Fvitrine%E2%80%9C

      das gibt es auch in wissenschaftlich:



      www.temperierung.n...-Grosseschmidt.pdf

      Wie leben seit 8 Jahren in solch einem Haus, ohne Außendämmung und trotzdem 1/3 Ersparnis beim Gasverbrauch, eine Umrüstung auf eine Wärmepumpe ist jederzeit möglich.



      Die Heizanlage lässt sich auch größtenteils in Selbermach ausführen, die Therme muß dabei erstmal nicht getauscht werden, nur die Heizrohre.

  • "Ad-hoc-Maßnahme, den Konsum fossiler Energie einzuschränken: kein Tempolimit, keine autofreien Tage und keine ungeheizten öffentlichen Gebäude."

    Tempolimit höchsten 1% Einsparpotential. Zum Vergleich im Transitland D beträgt der Benzinverbrauch 0,005 barrel/d/Person. In den NL mit Tempolimit exakt genauso. In den USA Faktor 4 mehr.

    Autofreie Tage. Kann man machen.

    Ungeheizte öffentliche Gebäude. Was ist damit gemeint? Die Gemeindeverwaltung? Schulen? Museen? Schade, dass überall Personen arbeiten oder Kunstschätze auf gleichmäßiges Klima angewiesen sind.

    Schön, dass Bürgerinnen schon längst Eigeninitiative entwickelt haben und weniger fahren und den Standby Strom auch mal abschalten.

  • Da mag keiner ein Fass aufmachen, weil die AKW Laufzeitverlängerung etwa 10x soviel bringt wie ein Tempolimit, und viel stärker und schneller wirkt als der Bau von Windrädern. Sobald wirksame Maßnahmen für Klimaschutz und Energieunabhängigkeit zur Diskussion kommen wird es für die Grünen unangenehm, also lieber den Deckel drauf lassen, Utopien aufwärmen und die Untätigkeit auf die FDP schieben.

    • @Descartes:

      mit Atomstrom ersetzen sie kurzfristig kein Gas. da macht nur ein langfristiger Einstieg Sinn.



      Die Koppelung von Gas- und Strompreis führt aller Wahrscheinlichkeit nach zu erheblichen Mitnahmeeffekten, bei den Stromhändlern. Die Ursache der steigenden Strompreise ist jetzt bestimmt nicht ein verknapptes Angebot, sondern eher der Börsenhandel. Und es ist die FDP, die das lauteste Loblied auf die Börsen (aka freier Markt) singt. Strom- und Gasbörsen haben aber mit freien Markt nicht viel gemein. Das ist eher eine Simulation von Handel. Eine staatl. Preissubvention führt aber nur zur Stützung der Unternehmensgewinne. Das Argument, "wir müssen die Angebotsseite (sprich AKWs) ausweiten, bedient die Logik der Börsen, Hauptziel ist dabei die Stützung von Gewinnen. Ein realer Mehrverbrauch an Strom ist momentan nicht gegeben, zukünftig vlt schon, die Preisexplosion jetzt ist systemimmanent und nicht Stromknappheit.



      Auch der Gaspreis ist das Ergebnis von Börsenhandel. Es lohnt sich sich darüber einmal zu informieren.

  • 3G
    32051 (Profil gelöscht)

    Das Problem ist, die Gesellschaft ist in weiten Teilen quengelig und wankelmütig. Wie lange hat es mach der ersten #staythefuckathome Stimmung bei Corona gedauert? 3 Wochen! Danach hat die Bild begonnen, "Menno, wie lang dauert denn die doofe Pandemie noch?" zu quengeln und die Querdenker haben sich rauskristallisiert.

    3 Monate waren es etwa bei der ersten Flüchtlingskrise.

    Was denken Sie, wie lange die Unterstützung bei steigenden Spritpreisen anhalten würde? Wie lang es dauern würde, bis die ersten Wutmuckel "die Flüchtlinge" für die steigenden Preise verantwortlich machen würden?

    Man mag sich an den Kopf fassen als aufgeklärter Mensch, aber so ticken weite Teile der Bevölkerung.