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Hessischer PolizeiskandalBrecht die Schweigemauer!

Konrad Litschko
Kommentar von Konrad Litschko

Prominente Frauen werden bedroht – mit Daten, die offenbar von Polizeicomputern abgerufen wurden. Ein ungeheuerlicher Vorgang.

Wer hat die Daten abgerufen? Ein Polizist in Griesheim, Hessen, vor seinem Fahrzeug Foto: rheinmainfoto/imago-images

E in ungezügelter Hass spricht aus den Mails, die die Frauen lesen mussten. Stumpfe sexistische Beschimpfungen, Drohungen, man werde sie oder die namentlich genannte Tochter „schlachten“, erklärte „Todesurteile“. Um den Ernst der Drohungen zu unterstreichen, wird die Wohnadresse genannt. Solche Botschaften erhielten die Linke-Politikerinnen Janine Wissler, Martina Renner, Anne Helm, die Anwältin Seda Başay-Yıldız und die Kabarettistin Idil Baydar zuletzt, in ihren privaten Mails oder auf ihre Handys, unterzeichnet mit „NSU 2.0“.

Schon das ist widerlich genug. Aber es kommt ein ungeheuerlicher Verdacht hinzu: Haben Polizisten etwas mit den Hassbotschaften zu tun? Denn, so wurde dieser Tage öffentlich, zumindest zu Başay-Yıldız, Wissler und Baydar wurden vor den Drohschreiben ihre Privatdaten an Polizeicomputern in Hessen abgefragt, offenbar ohne dienstlichen Bezug. Es ist ein Verdacht, der schwerwiegender nicht sein kann. Das schafft einen Vertrauensverlust, der weit über die Betroffenen hinausgeht. Da hilft auch der Rücktritt des hessischen Landespolizeipräsidenten Udo Münch nicht weiter.

Inzwischen schließt selbst der hessische CDU-Innenminister ­Peter Beuth nicht mehr aus, dass es ein rechtsextremes Netzwerk in der Landespolizei gibt. Umso erstaunlicher, wie ruhig es bleibt. Wie das Problem als rein hessisches behandelt wird.

Dabei steht der Verdacht im Fall von Seda Başay-Yıldız bereits seit August 2018 im Raum. Wer ihre Daten in einem Polizeirevier in Frankfurt am Main abfragte, ist bis heute nicht geklärt. Auch weil die infrage kommenden Beamten dazu eisern schweigen. Aufgespürt wurden dafür rechtsextreme Chatgruppen Dutzender Polizisten. Im Fall von Wissler und Baydar sind dagegen zwei Beamte bekannt, unter deren Log-ins die Daten abgefragt wurden. Sie selbst wollen die Abfragen dennoch nicht getätigt haben. Die Ermittler führen sie nur als Zeugen, von Durchsuchungen ihrer privaten Datenträger ist nichts bekannt.

Was kommt von Seehofer?

Das ist zu wenig. So können Ermittlungen bei diesen Vorwürfen nicht geführt werden. Und tatsächlich fühlt der oder die Täter sich davon nicht im mindesten abgeschreckt – sie legen vielmehr immer weiter nach, erst dieser Tage wieder. Die Ermittlungen gehören damit längst auf eine andere Ebene. Warum schaltet sich Bundesinnenminister Seehofer nicht ein? Warum übernimmt nicht die Bundesanwaltschaft? Klar ist: Die Ermittlungen sollten nicht mehr von den überforderten – oder nicht weiter gewillten? – hessischen PolizistInnen, sondern von außerhalb angeführt werden.

Auch weil das Problem eben kein rein hessisches ist. Auch in Berlin wurde kürzlich bekannt, dass ein Beamter Polizeidaten an eine Neuköllner AfD-Chatgruppe weitergab, zu der auch ein Verdächtiger einer rechtsextremen Anschlagsserie im Bezirk gehörte. Oder 2017 schon verschickte ein Berliner Polizist Drohschreiben an mehrere Linke mit ihren Fotos und Adressen.

In Mecklenburg-Vorpommern wiederum soll ein Beamter persönliche Daten von Bürgern in eine rechte Facebook-Gruppe eingestellt haben. In dem Bundesland legte auch die unter Rechtsterrorverdacht stehende Preppertruppe „Nordkreuz“ Feindeslisten an, bis hin zum Wohnungsgrundriss eines Betroffenen. Anführer der Gruppe war: ein Polizist. Dieser Datenmissbrauch der Polizisten ist indes nicht nur Imageschädigung – er ist ein Vergehen, das schwerste Gewalttaten gegen die Betroffenen nach sich ziehen kann.

All dies zeigt, dass es längst ein bundesweites Vorgehen braucht. Und zwar so, dass es von den Beamten tatsächlich als Stoppsignal verstanden wird. Aber auch jeder Polizist und jede Polizistin selbst sollte sich fragen, was da in den eigenen Reihen los ist – und was er oder sie dagegen tun kann. Es ist nicht zu viel verlangt, von ihnen das Benennen von KollegInnen einzufordern, die mit Rechtsextremen paktieren oder selber welche sind. Die Mauer des Schweigens im Apparat muss gebrochen werden. Jetzt!

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Konrad Litschko
Redaktion Inland
Seit 2010 bei der taz, erst im Berlin Ressort, ab 2014 Redakteur für Themen der "Inneren Sicherheit" im taz-Inlandsressort. Von 2022 bis 2024 stellvertretender Ressortleiter Inland. Studium der Publizistik und Soziologie. Mitautor der Bücher "Staatsgewalt" (2023), "Fehlender Mindestabstand" (2021), "Extreme Sicherheit" (2019) und „Bürgerland Brandenburg" (2009).
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13 Kommentare

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  • Dann lösen wir eben Vergünstigungen wie Polizeisportvereine auf, die Unterstützung von Sportler und anderes. Und die Beamten werden "versetzt" - immer wieder.



    Evtl. kann man ja weiter Aufgaben auch privatisieren.

    Die Einheiten der Ordnungsämter sind übrigens kaum bestechlich und lassen "Freunde" parken

  • Wäre ja nicht das erste mal, dass Polizisten die ihnen zur verfügung gestellten Daten für Drohpost verwenden. Beim letzten mal gab es eine kleine Geldstrafe und einen Eintrag in die Dienstakte (was natürlich nach einem kurzen Zeitraum gelöscht werden muss, um die Karriere wegen so einer Kleinigkeit nicht zu versauen). Und jetzt wieder so was. Dazu noch Soldaten die Waffen, Munition und Sprengstoff klauen und irgendwo horten. Da kommt Vertrauen auf. Vor allem auch, wenn man sieht, wie lasch dagegen vorgegangen wird. Das sind die Leute, denen wir unsere Sicherheit anvertrauen "müssen". Denn Selbstschutz ist in diesem Land verboten. Aber wer schützt uns vor solchen Polizisten und Soldaten? Dazu noch der Seehofer, wo gerne noch mehr Überwachung, Kontrolle und Strafen möchte sowie noch mehr Daten sammeln möchte. Die Politik ist Unfähig (was sie in den letzten Jahren mehrfach bewiesen hat), die Polizei und Bundeswehr mit Braunem Abschaum durchsetzt und der Bürger wird immer mehr entmündigt und seine Rechte und Freiheiten immer mehr beschnitten. Deutschland ist in jeder Hinsicht auf dem absteigenden Ast. Doch Viele wollen das noch nicht wahrhaben. Allen voran unsere Politiker.

  • Wie die Frankfurter Rundschau gestern Abend berichtet bekamen noch mindestens zwei weitere Frauen Drohschreiben von "NSU 2.0".

  • Der neue Polizeipräsident Roland Ullmann 17.07.20 entschuldigt in einem Bericht des heute-journals das "freizügige digitale Verhalten" der Polizei im Dienst damit, dass bei Unterbrechung der Arbeit am PC, sich die Beamten nicht ausloggen, und zur Vermeidung von "runterfahren" des PC (PC Ausschalten) der Zugriff auf dem PC offen bleibt.



    Diese Aussage offenbart in den Führungsebenen der Polizei (neuer Polizeipräsident) eklatanteste Inkompetenz im Bereich EDV, nicht nur aktuell, sondern im besonderen rückblickend.



    Bei der Polizei gibt es für jede "Kleinigkeit" eine Dienstanweisung, damit alles nach Recht und Ordnung geschieht. Bei der Arbeit am PC ist wohl "Tür und Tor" geöffnet.



    Kein Wunder das der Datenklau bei der Polizei so einfach möglich ist.

  • Der Innenminister Seehofer hat keinerlei Aufsichtsrechte über irgendeine Länderpolizei. Wenn die Grünen in Hessen irgendeinen Sinn haben, dann müssen sie jetzt als Koalitionspartner ihren fürchterlichen Partner NSU-Vertuscher Bouffier und die rechte Hessen-CDU zwingen die NSU 2.0 unter Beuth aufzuklären. Ansonsten Neuwahlen.

  • Innenminister Peter Beuth hat mit Hanspeter Mener einen Sonderermittler berufen, welcher aus dem Polizeipräsidium (PP) Frankfurt/ Main kommt. Das Skandalrevier, 1. Polizeirevier Frankfurt/ Main, ist dem PP der Main-Metropole direkt unterstellt; von dieser Dienststelle wurden die Daten für die Drohbriefe an Seda Basay-Yildiz abgefragt, dort flog die Chat-Gruppe rechtsextremer PolizistInnen auf.



    Wenn schon diesbezüglich ein hessischer Polizist zum Sonderermittler berufen wird, so sollte dieser weder aus dem PP Frankfurt/ Main noch aus dem PP Westhessen (Wiesbaden) kommen. Es muss verhindert werden, dass dieser Sonderermittler bei "alten Bekannten" ermittelt!

    • @Thomas Brunst:

      Aber es ist doch ein so geschätzter Kollege... Außerdem war im DLF: der und der neue Polizeipräsident war wohl mal dessen Teamleiter, isofern kann von Geklüngel ja gar keine Rede sein!

    • @Thomas Brunst:

      Bin ich bei Ihnen. Hätte für diese Aufgabe auch eher auf Jemanden aus einem anderen Bundesland zurückgegriffen.

      Besser noch:



      Einen erfahrenen, völlig unabhängigen Verwaltungsjuristen.

  • Wieso wird ständig über ein rechtsextremes Netzwerk bei der Polizei spekuliert? Reicht ja schon ein Nazi, der das macht und es muss nicht zwangsläufig eine ganze Gruppe sein.

  • Auch Innenminister Peter Beuth und Ministerpräsident Volker Bouffier bekamen Anfang dieser Woche Drohschreiben, berichtet die Frankfurter Rundschau. Der oder die Täter forderten die Veröffentlichung eines Textes auf den Internetseiten der beiden Unionspolitiker. Kurios: Beuth und Bouffier wurden in den Drohungen mit der Anrede "Heil Euch Kameraden" angesprochen.

    • @Thomas Brunst:

      Dergleichen kann ich auf der Webseite der Frankfurter Rundschau nicht finden. Fake News?

      • @Smaragd:

        "Polizeiskandal im Fall der 'NSU 2.0'-Drohschreiben: Neuer Polizeipräsident ernannt" (Frankfurter Rundschau, Aktualisiert am 17.07.20, 17:17)



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