HelloFresh-Kochboxen im Selbstversuch: Kaiserschmarrn aus der Kiste
HelloFresh ist ein echter Pandemiegewinner. Auch unsere Autorin bekommt einmal im Monat mehrere Gerichte nach Hause geliefert – grammgenau.
Es ist 18.30 Uhr, ich stehe in der Küche und bin enttäuscht. Was für ein Fortschritt, denn früher stand ich oft an selber Stelle und war verzweifelt. Innerlich zerbrochen an der Frage: Was soll es heute bloß zu essen geben? Obwohl ich jede Woche das Rezept aus dem Zeit-Magazin herausreiße, und in meinem Browser jede Menge Kochblog-Tabs offen sind, bin ich am Herd leider völlig uninspiriert und koche doch immer die gleichen zehn Gerichte.
In normalen Zeiten holen wir uns die Abwechslung eben auswärts, beim italienischen Restaurant an der Ecke, im Biergarten oder auf eine schnelle Pho. Als das alles wegen der Pandemie plötzlich wegfiel und jeden Tag neben dem Abendessen für vier noch ein Mittagessen dazukam, haben wir uns aus Gründen seelischer Entlastung für ein Kochbox-Abonnement entschieden. Und aus Gründen der Bequemlichkeit für eines beim Marktführer: HelloFresh.
Seitdem bekommen wir also einmal im Monat mittwochs einen großen Pappkarton geliefert, mit aufs Gramm genau bemessenen Zutaten, um einige Tage gut zu kochen. Die Rezeptkarten sind clean in Weiß und Grün gehalten, die Zitrone im Logo von HelloFresh suggeriert: Hier ist alles easy-peasy-lemonsqueezy.
Im Durchschnitt kostet unser HelloFresh-Paket 60 Euro für drei Gerichte, also 5 Euro pro Portion. Sind Fisch und Fleisch dabei, wird es etwas teurer. Drei Gerichte für zwei Personen sind die Mindestgröße, als Singlehaushalt kann das schwierig werden.
Und immer die Frage: Was koche ich heute?
Als vierköpfige Familie passen wir hingegen perfekt in die Zielgruppe, und die Kundinnen und Kunden sehen die Kochbox laut Pressestelle als „perfekte, praktische Lösung für das Abendessen“, sie würden es mögen, neue Rezepte auszuprobieren. Ich vermute eher, Zielgruppe sind Leute, bei denen die Frage „Was koche ich heute?“ und die Diskussionen darüber, wer welches Lebensmittel im Kühlschrank hat vergammeln lassen, zu Stunk führen.
Die Gerichte wählen wir vorher online aus, wobei sie drei Kriterien erfüllen müssen: 1. Wir essen das gerne. 2. Da wären wir niemals selbst drauf gekommen. 3. Das hätten wir nicht mit einem Griff ins Rewe-Kühlregal kochen können.
Außer wir vergessen diesen Schritt, dann wird uns einfach etwas zugeteilt. Ein Abo ist schließlich ein Abo! Wir nennen das die „Deppenauswahl“, und diesen Monat ist es uns wieder passiert. Und so stehe ich vor den Zutaten für eine Kartoffel-Pastinaken-Suppe (Fail bei Kriterium 1), für Fischcurry mit Spinat (Fail bei 2), und Pilzfiorelli mit Zucchini-Speck-Sahnesoße (Fail bei 3), und meine Vorfreude ist der Enttäuschung gewichen.
Inzwischen bieten auch einige Restaurants Sets zum Zu-Hause-Kochen an. Den Restaurants geht es darum, in der Krise irgendwie zu überleben. HelloFresh ist hingegen ein echter Coronagewinner: Im Jahr 2020 hat das Unternehmen über 600 Millionen Mahlzeiten an über 5 Millionen Kundinnen und Kunden in 14 Ländern ausgeliefert. Der Jahresumsatz hat sich auf 3,75 Milliarden Euro mehr als verdoppelt, der Gewinn vor Steuern auf rund 500 Millionen Euro mehr als verzehnfacht.
Auf dem Weg in den DAX
Dabei wurde HelloFresh erst 2011 gegründet, in Berlin. Rocket Internet (die mit den berüchtigten Samwer-Brüdern) war lange beteiligt, das Wuppertaler Traditionsunternehmen Vorwerk (die mit dem berühmten Thermomix) stieg ein und wieder aus. Inzwischen ist HelloFresh an der Börse und hat gute Chancen, im Herbst in den DAX aufzusteigen.
Schon um 18.33 Uhr habe ich mich von meiner Enttäuschung erholt und suche die Rezeptkarte für die Pilzfiorelli. Vorne ist abgebildet, wie das Gericht am Ende aussehen soll, daneben steht eine Zutatenliste. Auf der Rückseite finde ich eine Schritt-für-Schritt-Anweisung (mit Bildern!) und eine Nährwerttabelle. Bei den meisten Gerichten, die ich bestelle, beginnt der Kochprozess damit, dass ich Süßkartoffeln schäle, kleinschneide und in den vorgeheizten Backofen schiebe. Überhaupt benutze ich den Ofen an Kochboxtagen mehr als sonst.
Und was kochen die anderen? 2020 waren typisch deutsche Gerichte beliebt. „Dauerbrenner sind zum Beispiel Königsberger Klopse und Käsespätzle“, schreibt mir die Pressestelle. Es scheint also Menschen zu geben, die ihre Kantine dolle vermissen. Interessant ist dabei, was momentan nicht passiert: Dass HelloFresh-Kunden die fehlenden Reisen mit Geschmäckern aus aller Welt kompensieren. Außerdem weiß HelloFresh, dass das beliebteste Gemüse bei ihnen Pilze sind, gefolgt von Karotten und Paprika.
Meine Kinder haben sie dazu offenbar nicht befragt. Sie und ihre Freunde trösten sich gegenseitig, wenn es am Abend etwas von HelloFresh gibt. Kinder sind Menschen, die sich im Wechsel von Fischstäbchen und Spinat mit Kartoffelpüree und Pfannkuchen ernähren möchten. Ein HelloFresh-Gericht verstößt gegen ihren Geschmack, weil es sichtbare Kräuter enthält, viel Gemüse und, das wiegt am schwersten, Zutaten miteinander vermischt sind, anstatt schön separat auf dem Teller zu liegen. Mitunter sogar zu einer Bowl. Die einzige Bowl, die meine Kinder gerne essen, ist Milchreis.
Viel Verpackung, wenig bio
Ich hingegen bekomme Bauchschmerzen, wenn ich die Minipackungen sehe, die mir geliefert werden: Butter in 20-Gramm-Portionen, 10 Milliliter Sojasoße, eine Handvoll Petersilie. Am Ende wandert mehr in den Müll als bei einem gewöhnlichen Einkauf. Dass die Zutaten eine ordentliche Qualität haben, aber nicht bio sind, nagt mehr an meinem Selbstbild als an meinem Genuss.
Auch kann es passieren, dass ich schon alles verkocht habe, das Essen auf den Tisch stellen will und feststelle, dass eine Zutat in einem winzigen Säckchen auf dem Küchentresen liegt. Das Ikeaschrauben-Problem. Was macht man da? Ich habe mich bislang für Vertuschen entschieden.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk, im praktischen Wochenendabo und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.
Am Ende haben die Pilzfiorelli nicht lange gebraucht. Wir vier haben unsere tägliche Ration Gemüse gegessen und sind satt geworden. Bei allem Unmut erinnere ich mich daran, dass wir auch schon richtig gute HelloFresh-Wochen hatten, in denen wir glücklich am Tisch saßen und uns die Bäuche rieben.
Zufrieden bin ich vor allem, weil die Kochbox ein wenig Komplexität aus meinem Leben nimmt. Sie ist ein bisschen wie früher, als ich den Fernseher einschalten konnte und nur ARD, ZDF oder WDR liefen. Die sendeten viel Quatsch, aber zumindest musste ich nicht aus einem erschlagenden Angebot eine Auswahl treffen und dazu 14.000 Trailer sichten. Klar ist das Abonnement ein Eingeständnis, dass mir trotz der ganzen offenen Kochblogtabs nichts mehr einfällt. Doch das ist in Ordnung. Vor allem in Pandemiezeiten, in denen alles schon zehrend genug ist.
Wer noch nie „Was koche ich heute?“ gegoogelt hat, werfe die erste Karotte!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs