Heino covert Ärzte, Rammstein & Co: Ist das noch Punkrock?
Heino ist zurück – und zwar „Mit freundlichen Grüßen“, seinem neuen Album. Auf dem er unter anderem Rammstein und Die Ärzte covert.
Nach dem Krieg bedienten Schlager und volkstümliche Lieder perfekt die angeschlagene Gefühlslage. Es hätte so schön sein können, wenn nur der eigene Nachwuchs nicht quergeschossen wäre mit seinen langen Haaren und dem Gequatsche von der Vergangenheit. 1966 sang Freddy Quinn dazu im Lied „Wir“: „Wer will nicht mit Gammlern verwechselt werden? Wir! / Wer sorgt sich um den Frieden auf Erden? Wir! / Ihr lungert herum in Parks und in Gassen, / wer kann eure sinnlose Faulheit nicht fassen? Wir! Wir! Wir!“
Die Gammler aber waren nicht zu stoppen, der verstörte Quinn-Fan flüchtete in eine hermetisch abgeschirmte heile Welt mit viel Heimatgefühl, wo ein seltsamer junger Mann mit blonden Haaren, sämigem Bariton und unschuldig rollendem R auf ihn wartete: Heino.
Der sang von blauem Enzian, schwarzbraunen Haselnüssen und der schwarzen Barbara. Sein Markenzeichen: eine dunkle Brille, die aber natürlich kein modischer Eskapismus war, sondern medizinische Notwendigkeit. Der somit Unverwechselbare wurde zur Symbolfigur und stand für alles, was die aufbegehrende Jugend hasste an ihrem Land, ein Sinnbild der Elterngeneration, die es zu überwinden galt.
Als die Dead Kennedys und später die Toten Hosen in den Achtzigern mit dem „Wahren Heino“ durch das Land zogen, hatte das ebenso exorzistische Züge wie 1987 das Hosen-Cover der alten Quinn-Nummer: den Feind bloßstellen, indem man ihn kopiert, seine Aussage ins Gegenteil verkehrt und so der Lächerlichkeit preisgibt.
Cover-Versionen im Schlagerband-Stil
Weitere zwanzig Jahre später übernahmen die Ärzte das Stück, selbst getextet und komponiert. Der „Wir“-Duktus aber bleibt in „Junge“ unangetastet: Die Eltern schauen besorgt auf den Sohnemann und beschweren sich über seinen Lebenswandel. Der Song wird ein Hit.
Und nun kommt Heino daher, inzwischen 74 Jahre alt, und buddelt sich aus dem kollektiven Gedächtnis zurück an die Oberfläche. „Mit freundlichen Grüßen“ heißt das Album, auf dem er zwölf Neu-Interpretationen des deutschen Pop-, Rock-, Punk- und Hiphop-Schaffens präsentiert, Cover-Versionen im Schlagerband-Stil, arrangiert mit viel Liebe zum Detail und technisch perfekt inszeniert.
So wird Rammsteins lärmende „Sonne“ lässig getoppt von einem noch rollenderen R.
Lässt man das ganze Brimborium drumherum weg, mutieren fast alle Stücke schlicht zu „einem wirklich schönen Stück Volksmusik“, wie Heino in bezaubernder Bösartigkeit den Kollegen ins Stammbuch schreibt, die sich fortan also gerechterweise sagen lassen müssen: Ihr macht doch eh bloß Heino-Musik! Da stehen sie nackt da, die Deutschpop-Kaiser, und ausgerechnet der Untote Heino ist das Kind mit dem Finger.
Verkniffene Reaktionen
Kein Wunder, dass die coolen Bands eher verkniffen reagieren. Im Gästebuch auf der Ärzte-Seite werden Hinweise auf das Heino-Projekt umgehend gelöscht, ein säuerlicher Kommentar der Betreuer verkündet, man dulde keine Werbung für Schmierensänger, und Oomph!-Sänger Dero faselt irgendwas Kritisches zum „völkisch-verherrlichenden“ Schaffen des Barden ausgerechnet der Bild ins Blatt.
Dass Heino genau wusste, was er tat, ist gleich mit dem Eröffnungssong klar. Es ist jener „Junge“, dessen fiktiver Vater nun zu einer Person aus Fleisch und Blut wird und der sich nun von Heino anhören muss: „Und wie du wieder aussiehst / Löcher in der Hose / Und ständig dieser Lärm / Elektrische Gitarren / Und immer diese Texte / Das will doch keiner hören“, während ein Frauen-Background-Chor schmettert: „Was sollen die Nachbarn sagen?“
Damit ist Heino wieder bei Freddy Quinn angekommen, nur entspannter, besser gelaunt und mit mehreren Ironie-Ebenen dazwischen. Was für ein Clou! Da lüpft man glatt die Sonnenbrille vor Respekt – bevor man sich Ohropax in die Gehörgänge schiebt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen