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Heils bezahlte BildungszeitUtopie Bildungszeit

Ein Jahr bezahlter Urlaub für berufliche Weiterbildung? Zu schön, um wahr zu sein. Schon lässt der Finanzminister den Traum platzen.

Gibt uns Hubertus Heil ein Jahr Bildungsurlaub? Leider ist die Fantasie „ein Ort, wo es hineinregnet“ Foto: Michael Kappeler/dpa

D a soll doch keiner sagen, dass von der Regierungspartei SPD keine gesellschaftlichen Impulse mehr ausgingen. Gut, ich meine jetzt nicht Olaf „Ich muss erst ganz doll und lang überlegen, ob ich der Ukraine rechtzeitig vor der Frühjahrsoffensive der Russen Panzer liefern soll – oder doch erst so spät, dass sie nicht ihr ganzes Territorium zurückerobern können, was Putin als freundliches diplomatisches Angebot sicher zu schätzen weiß“ Scholz.

Sorry, das musste kurz raus. Aber ich wollte ja über positive sozialdemokratische Impulse schreiben. Eine Woche Heilfasten auf Rügen, ein zweiwöchiger Kurs in Entspannungstechniken zur Burnoutprävention oder Englisch für den Berufsalltag? Dafür gibt es bezahlten Extraurlaub. Auch jetzt schon, es gibt sogar einen Anspruch auf fünf Tage Bildungsurlaub im Jahr – nur wird der bisher von gerade mal 2 Prozent der Ar­beit­neh­me­r:in­nen genommen.

Viele wissen gar nichts von dem Angebot, viele Arbeitgeber stehen kräftig auf der Bremse, und zwei Bundesländer, nämlich Sachsen und Bayern, machen gar nicht mit. Jetzt will Arbeitsminister Hubertus Heil den Bildungsurlaub gesetzlich verankern und ausweiten: Ein Jahr lang bezahlte Weiterbildung für alle Ar­beit­neh­me­r:in­nen, in Teilzeit sollen sogar bis zu zwei Jahre möglich sein, nach österreichischem Vorbild.

Klingt toll, oder? Ich habe schon Fantasien davon, wie wir zwei inspirierende Bildungsteilzeitjahre in Italien verbringen: Ich schreibe und verbessere mein Italienisch, der Mann gibt Kreativkurse und erwirbt eine Zusatzqualifikation in einer regionalen, fast vergessenen Drucktechnik …

Selbständige müssen zugucken

Leider aber ist die Fantasie „ein Ort, wo es hineinregnet“, wie der Schriftsteller Italo Calvino mal so hübsch gesagt hat. Habe ich letztes Jahr im Bildungsurlaub in Bologna gelernt. Selbstverständlich waren die paar Tage Intensivkurs viel zu kurz, um wirkliche Sprachfortschritte zu machen. Und auch das im Weiterbildungsgesetz entworfene Bildungszeitparadies hat Regenlöcher:

Zwei Jahre reichen für eine komplette berufliche Umorientierung nicht aus, das letzte Jahr muss man sich dann irgendwie zusammenstückeln, vom Amt oder aus eigenen Ressourcen, wer es sich leisten kann. Und wer kann das schon? In meinem Fall ist der Mann leider auch selbstständig, also einer von rund 8 Prozent aller Erwerbstätigen in Deutschland, die von der SPD beharrlich ignoriert werden, so auch bei diesem neuen Gesetz.

Aber immerhin tut sich überhaupt was in der Acht-Stunden-Arbeiten-bis-zur-Rente-Mühle. Man hat ja zu Jahresanfang viel gelesen über den Trend zum „Quiet Quitting“, also eine Art innere Emigration im Job, Modell Christine Lambrecht quasi. Und über die vielen Menschen, die trotz Inflation und wirtschaftlicher Unsicherheit ihre Arbeit gekündigt haben, aus Überforderung und weil sie mehr von ihrem Leben haben wollen als Meetings und Abgabefristen, Modell Jacinda Ardern.

Kürzer und flexibler arbeiten, öfter mal den Job wechseln, das soll künftig kein Privileg mehr sein für finanziell abgesicherte Akademiker:innen, sondern es soll für alle gelten, die irgendwo fest angestellt sind. Hm, in meine Fantasie regnet es schon wieder rein: Gilt das dann auch für Lehrer:innen, die in Berlin ja meist nicht verbeamtet sind? Ich stelle mir vor, wie die Kunstlehrerin meiner Kinder drei Monate weg ist – Aquarellieren in der Toskana.

Oder der Mathelehrer und Klassenleiter sich für ein Jahr verabschiedet, um sich in aller Gründlichkeit der theoretischen Informatik zu widmen. Oder der gesamte Deutschunterricht in der Grundschule nur noch auf Schmalspur stattfindet, weil von zwölf Lehrkräften drei krank sind, zwei in Elternzeit und drei in Bildungszeit?

Aber es ist müßig, sich mit Löchlein in der Heil’schen Weiterbildungsfantasie zu beschäftigen, wenn der Finanzminister gleich das ganze Dach abreißt. Wie am Freitag bekannt wurde, will Christian Lindner das Weiterbildungsgesetz „aus haushaltspolitischen Gründen“ stoppen. Na gut, bleibe ich halt im Homeoffice. Wenigstens regnet es hier nicht rein.

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Nina Apin
Redakteurin Meinung
Jahrgang 1974, geboren in Wasserburg am Inn, schreibt seit 2005 für die taz über Kultur- und Gesellschaftsthemen. Von 2016 bis 2021 leitete sie das Meinungsressort der taz. 2020 erschien ihr Buch "Der ganz normale Missbrauch. Wie sich sexuelle Gewalt gegen Kinder bekämpfen lässt" im CH.Links Verlag.
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3 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Es herrscht übrigens seit Jahren eine systematische Begriffsverwirrung:

    Bildung ist n i c h t Ausbildung !

    Ein Schelm, der hier an eine Absicht denkt !

  • Mehr Bildung für alle wäre wünschenswert. Das Leben besteht ja nicht nur aus Arbeit. Die Wirtschaft ist für den Menschen da, sagte der Weise Müntefering und nicht um gekehrt. Grundlegendes Wissen sollte auch in Kursen vermittelt werden. Altersunabhängig und verpflichtend. Erste Hilfe für alle, oder ein Brandbekämpfungsgrundkurs für alle, um die Gesellschaft auf die kommenden Katastrophen vor zu bereiten. In Japan gibt es vergleibares schon lange, denn die leben schon auf dem Vulkan.

  • Man kann und muss an dem Gesetzesentwurf sicherlich einiges kritisieren. Zum Beispiel das Ausblenden der Situation von Selbstständigen. Aber warum müssen Berichte über Bildungszeiten anscheinend immer mit dem Toskana-Kurs-Klischee aufwarten? Ich finde es zeugt eher von journalistischer Gedankenfaulheit und mangelnder Recherche, wenn ewig Klischees wiederholt werden müssen statt empirische Studien zu Bildungszeiten rezipiert werden. Wahrscheinlich wird hier in den Kommentaren bald irgendjemand mit irgendeiner "Erfahrung" gegenhalten...



    Wenn bislang nur rund 2% der angestellten Arbeitnehmenden Bildungsurlaub nehmen, warum sollen nun rund 25% (3 von 12 Lehrkräften wie im Artikel) dies tun? Das sind Horrorszenarien wie sie in der PR eines Arbeitgeberverbandes stehen könnten. Macht die taz nun deren PR-Geschäft?