Haushaltsentwurf der Ampelkoalition: Auf dem Rücken der Vergessenen
In der Entwicklungszusammenarbeit und humanitären Hilfe soll stark gekürzt werden. Das trifft vor allem Länder, für die wenig gespendet wird.
![Eine Frau befüllt Wasserkanister an einer Wasserstelle in einem Lager für geflüchtete Eine Frau befüllt Wasserkanister an einer Wasserstelle in einem Lager für geflüchtete](https://taz.de/picture/7115772/14/Entwicklungshilfe-Finanzierung-1.jpeg)
Starke Kürzungen gab es bereits 2022 und 2023. Kommt der Haushalt durch, wäre das Budget für Humanitäres innerhalb dieser Legislaturperiode um ein Viertel gekürzt. „Immerhin ist es gelungen, handlungsfähig zu bleiben“, sagte Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) am Montag. Gleichzeitig wisse sie, dass die Bundesregierung eigentlich noch viel mehr tun sollte. Entwicklungshilfeorganisationen schlagen hingegen Alarm.
„Wir erleben eine weltweite Krise der Demokratie“, sagte Dagmar Pruin, Präsidentin der christlichen Entwicklungsorganisation Brot für die Welt bei der Vorstellung des Jahresberichts am Donnerstag in Berlin. Entwicklungszusammenarbeit sei ein wichtiger Schlüssel, um dem Vormarsch von Autokratien entgegenzuwirken. Ihre Partnerorganisationen beschreiben, was es für sie bedeutet, wenn der Globale Norden seine Investitionen zurückfährt: „Die Schwächsten der Gesellschaft werden noch mehr an den Rand gedrückt“.
Bei den Kürzungen gehe es nicht um abstrakte Zahlen, sondern „sehr konkret um Menschen“, betont am Mittwoch auch die christliche Hilfsorganisation Caritas auf ihrer Jahreskonferenz in Freiburg. „Unsere Mitarbeitenden sind zu 99 Prozent lokale Helferinnen und Helfer. Sie stehen vor Ort mit ihrem ganzen Leben im Kreuzfeuer“, so deren Präsidentin Eva Welskop-Deffaa. „Nicht wenige haben selbst ihre Wohnung verloren, mussten vor Gewalt und Krieg fliehen“. Die Organisation rechnet mit einem Einbruch von 30 bis 40 Prozent an Geldern auf Grund der Budgetkürzungen im AA und BMZ.
Einen Antrag von 4,3 Millionen Euro für die Humanitäre Hilfe in Gaza lehnte das Auswärtige Amt kürzlich mit Verweis auf die Unsicherheit im Haushalt ab. „Das ist sehr bitter“, sagte Welskop-Deffaa, denn dort gebe es einer der größten humanitären Katastrophen dieser Zeit. „Die 90 bis 100 Lastwagen, die im Durchschnitt täglich mit Hilfsgütern in das Krisengebiet hineinkommen, sind viel zu wenige.“ Das sei nicht einmal ein Fünftel der Ladungen, die vor dem Krieg in den Gazastreifen kamen.
Gleichzeitig ist der Bedarf massiv gestiegen. UN Schätzungen zu Folge sind rund 2 Millionen Menschen vertrieben. Auch drei Mitarbeitende der Caritas seien seit Beginn des Kriegs ums Leben gekommen. Nur zwei von 50 Mitarbeitenden lebten noch in ihren Häusern, berichtet die Organisation. Gleichzeitig gibt es zu wenig Spendeneinnahmen, um den gestiegenen Bedarf zu decken. Für „politisch aufgeladene“ Kriege würde deutlich weniger gespendet als etwa für Opfer von Naturkatastrophen, so Welskop-Deffaa. Rund 60 Prozent der 110 Millionen Euro, die Caritas 2023 ausgegeben hat, stammen von Spender*innen.
Die Kürzungen in der Humanitären Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit treffen aber besonders Länder, für die es wenig Spenden gibt. Denn die Finanzierungslücke wird meist mit öffentlichen Mitteln beglichen. Das ergab auch eine Umfrage vom Verband der Entwicklungsorganisationen Venro vom Mai von 150 Organisationen, die in der humanitären Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit tätig sind. Dazu gehören vor allem „vergessene Krisen“: Angola, die Demokratischen Republik Kongo, Burundi und Burkina Faso etwa, die wenig öffentliche Aufmerksamkeit bekommen. Auch Lateinamerika sei betroffen. Die Angriffe auf die Zivilgesellschaft in den autoritären Staaten Nicaragua, Venezuela oder El Salvador geschehe weitgehend abseits der Medienöffentlichkeit. Dadurch gerate die zivilgesellschaftliche Arbeit doppelt unter Druck, heißt es in dem Bericht: „Es wird weniger gespendet, obwohl die Arbeit schwieriger geworden ist.“
Caritas bestätigt die Lage: Im Kongo sollen ab August Hilfsprojekte enden, die 150.000 Menschen mit mobilen Kliniken, Latrinen und Trinkwasser versorgt haben. „Unsere Gesprächspartner im Auswärtigen Amt sehen den großen Hilfebedarf“, sagt Oliver Müller, der Leiter von Caritas international. Aber ihnen fehlen nach den Budgetkürzungen durch das Finanzministerium schlichtweg die Mittel. Das sei fatal. Denn auch „im Sinne unserer eigenen Stabilität“ müsse daran gelegen sein, Krisenländer „nicht weiter zu destabilisieren“.
Dagmar Pruin von Brot für die Welt warnt vor Deutschlands „Schneckenhaus-Mentalität“, die ein „erschreckendes Ausmaß“ angenommen habe. Die Präsidentin der evangelischen Entwicklungsorganisation verweist auf einen „jahrzehntelangen überparteilichen Konsens, dass Deutschland eine starke Entwicklungspolitik braucht“ – begründet aus seiner gewaltvollen Geschichte und der „Notwendigkeit von Kooperation und Partnerschaft“.
Im Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien hieß es noch, Deutschland werde Mittel für humanitäre Hilfe „bedarfsgerecht verstetigen und erhöhen“, auch mit Blick auf die sogenannten vergessenen Krisen. Und: Die Gelder für Krisenprävention, Humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit sollen im gleichen Maße wie die Ausgaben für Verteidigung steigen. Dort ist auch von „internationaler Abrüstung und Rüstungskontrolle“ die Rede.
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