Hausbau in den USA: Zwischen drinnen und draußen
Lärmende Heizungen und zusammengenagelte Bretter: Während eines Winters in den USA wird unserem Autor klar, was der Hausbau über ein Land verrät.
Schon als Kind habe ich immer gedacht, dass das, was man von der Welt sieht, nicht alles ist. Es war mir damals nur noch nicht bewusst, dass ich so dachte. Doch so, wie man als Kind den Eltern besondere Fähigkeiten unterstellt, so erwartet man, dass das Haus, in dem man wohnt, von komplizierten Formeln zusammengehalten wird. Dass hinter der Wand etwas Komplexes vor sich geht, das über das Sichtbare hinausgeht.
Dieser Eindruck wird heute von TV-Sendungen aufrechterhalten, die uns zeigen, dass ein Flugzeug aus 150.000 Einzelteilen besteht. Oder dass in einer Mercedes-S-Klasse 40 Kilometer Kabel verlegt sind. Man staunt, und irgendwann stellt sich so die Gewissheit ein, dass es immer eine gewisse Komplexität braucht, die die Dinge trägt, die uns Sicherheit gibt und dass es nur so geht.
Etwas von diesem Glauben an ein Wurzelwerk unter der Welt hat sich bei mir bis ins Erwachsenenalter erhalten. Dass es aber gar nicht überall so ist und es auch ein Leben ohne filigrane Komplexitäten gibt, das habe ich in Amerika gesehen.
Es hat Wochen gedauert, aber dann wusste ich, woran mich, als ich 2015 dort ankam, viele amerikanische Städte erinnerten: an Messen, auf denen Häuser als Kulissen aufgestellt sind, an diese unechte Wohnwelt aus Pappe. Nur: In den USA sehen die Häuser wirklich so aus.
Der Gedanke dahinter: Lass uns mit minimalem Aufwand maximale Wirkung erzielen. Es muss nicht lange halten, aber es muss sich lohnen. Was bei uns wie ein Provisorium aussieht, wird hier zur dauerhaften Einrichtung. Einfach, indem man zwischen drinnen und draußen eine Reihe Holzlatten zusammennagelt und es Haus nennt.
Tatsächlich, würde ich behaupten, zeigt sich in den prosaischsten Dingen das Wesen einer Nation, sofern so etwas überhaupt existiert. So ist ein Sinnbild für Amerika etwa seine Heiztechnik. Gegen die Kälte, die durch die dünnen Fensterscheibchen klirrt, kämpfen billige Heizungen mit lauten Gebläsen an.
Das in Deutschland übliche System, bei dem Wasser erhitzt und Wärme geräuschlos in Heizkörper transportiert wird, ist keineswegs US-Standard. Stattdessen findet man häufig ein Verfahren mit dem dramatischen Namen Forced Air vor, bei dem im Keller Luft mit einer Gasflamme erhitzt und dann mit einem elektrischen Gebläse durch Schächte in den Wohnraum „forciert“ wird. Die für Thriller-Dramaturgien unerlässlichen dampfenden Belüftungsschächte gibt es nämlich tatsächlich.
Das amerikanische System heizt schnell, und seine Installation ist billig, denn es benötigt keine Wasserleitungen. Es ist jedoch das Gegenteil von nachhaltig, denn es wird sofort wieder kalt, wenn sich das Gebläse abschaltet. Laut ist es auch, aber Geräuschempfindlichkeit ist keine besonders amerikanische Eigenschaft. Das deutsche System hingegen ist teuer in der Installation, braucht Zeit, bis es warm ist, arbeitet dann aber diskret und sparsam.
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Wenn man in Amerika eine Wohnung mieten möchte, stößt man irgendwann auf Forced Air, so auch ich während des härtesten Winters der letzten 40 Jahre in New England. Auf den letzten Meilen des Atlantikflugs betrachtete ich bang die Anzeige der aktuellen Außentemperatur. Bei -25 Grad Celsius setzen die Reifen der Boeing auf der Landebahn des Logan-Flughafens in Boston schließlich auf.
Eine solche Kälte kannte ich noch nicht. Das ist keine Kälte mehr, sondern Atmosphäre gewordener Schmerz. Man braucht nicht lange, und es ist einem völlig egal, wie ein Haus beheizt wird. Hauptsache, es wird irgendwie warm.
Die Dachgeschosswohnung, die wir bewohnten, bis sich etwas Besseres fand, bot eine unglückliche Mischung unterschiedlich hinfälliger Heizungen. Im Schlafzimmer war eine Baseboard-Heizung installiert, eine unauffällige Gerätschaft auf der Höhe der Fußleiste unterhalb des Fensters. Hier wurde mit 2.500-Watt-Strom gegen die notorisch undichten Schiebefenster angeheizt.
Die Stromrechnung schoss dabei in sogar für amerikanische Verhältnisse unerfreuliche Höhen, aber es nützte alles nichts: Die Sicherungen flogen raus, wenn man gleichzeitig den Toaster bediente – und im Ergebnis blieb es einfach furchtbar kalt.
Also zogen wir mit dem Bett ins Wohnzimmer, wo eine eigene Forced-Air-Anlage stand. Da sie nachgerüstet worden war, verrichteten Gasflamme und Ventilation nicht im Keller ihren Dienst, sondern einen Meter vom Bett entfernt. Aufgrund des furchterregenden Lärms konnten wir uns nun zwischen Wärme oder Ruhe entscheiden – denn sobald die Forced Air verebbte, war es wieder eiskalt.
Unmittelbar neben unserer Schlafstatt blies also eine archaische Anlage gegen die Kälte an, einen Meter weiter waren es –25 Grad. Die Bretter dazwischen waren das Haus. Kein geheimes System aus Kabeln, Rohren oder wenigstens aus Klinker und Mörtel, nichts. Außer Holzlatten und etwas hübsch bemaltem Putz gab es keinen Unterschied zwischen drinnen und draußen.
Das war auch während der Blizzards so, den Schneestürmen, nach denen der Bürgermeister der Stadt die Bürger per Twitter daran erinnerte, den nächsten Hydranten freizuschaufeln, damit die Feuerwehr ihn im Notfall nicht unter zweieinhalb Metern Schnee suchen musste. Die Bürger erledigten diese Aufgabe früh morgens in völliger Gelassenheit, und die Feuerwehr rückte tatsächlich dauernd aus. Mehrmals täglich hörte man die Sirenen – und das in einer Stadt von gerade mal 150.000 Einwohnern.
Aber eben auch in einer Stadt, die älter ist als die USA selbst und in der fast alle Häuser aus Holz sind. Und wo, außer im Zentrum, die Stromleitungen allesamt oberirdisch verlaufen, und zwar nicht an statisch ausgefuchsten Alu-Konstruktionen wie in Mitteleuropa, sondern an schlicht zurechtgesägten Baumstämmen.
Diese Masten fallen manchmal um, dann fällt der Strom aus, es brennt möglicherweise, dann kommt die Feuerwehr, findet hoffentlich den freigelegten Hydranten, löscht das Feuer und stellt den Mast wieder auf. So geht das seit Jahrzehnten.
Die Anstrengungen, die Infrastruktur eines der reichsten Länder der Erde irgendwie wenigstens auf das Niveau von Nachkriegseuropa zu bringen, wurden nach dem Börsencrash Anfang der Nullerjahre und der Enron-Pleite aufgegeben. Das Stromnetz unter die Erde zu bringen, die kaputten Straßen zu reparieren, die teils bedenklich aussehenden Brücken – das würde Billionen kosten, und zwar nicht die amerikanischen Billions, die ja „nur“ Milliarden sind, sondern richtige Billionen.
Es geht ja auch so, denkt sich Amerika. Die Infrastruktur der USA hat etwas Temporäres, Häuser sind Gebrauchsartikel, nicht Investitionsgüter. So wie eine amerikanische Erwerbsbiografie aus europäischer Sicht prekär und nicht besonders widerstandsfähig wirkt (man kann seinen Job so schnell verlieren, wie man ihn gewinnt), so sind auch die Häuser oft nicht für die Ewigkeit gebaut.
Eine amerikanische Freundin fragte mich mal: „Why are you being so German about this?“ Damit wollte sie ausdrücken, Deutsche nähmen an, es gäbe für jedes Problem eine (nur eine!) richtige Lösung. Die US-Amerikaner sind pragmatischer: Wenn es funktioniert, ist es erst mal okay. Und da Provisorien am längsten halten, leben die US-Amerikaner mit oberirdischen Stromleitungen und schlecht isolierten Häusern.
Mehr ist da nicht, kein Wunderwerk, keine Welt hinter der Welt. Es ist einfach, was es ist.
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