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Erfolgreiche Verdrängung in SpanienLieber knallbunt sein

Eine federleichte Ausstellung feiert in Madrid die spanische Popgeschichte. Dass das Land unter Franco eine Diktatur war, wird ausgeblendet.

Bilder, die in der Ausstellung nicht gezeigt werden: Porträts von Menschen, die während der spanischen Diktatur unter Franco verschwanden Foto: Jorge Sanz/picture alliance

Madrid hat seinen Sommer­event für leichte Gemüter. „­Madrid Icono Pop 1964–1979“ („Madrid Popikone 1964–1979“) heißt die Fotoausstellung in einer ehemaligen Brauerei. Zu sehen sind 145 Bilder des italienischen Fotografen Gianni ­Ferrari. Sie zeigen das glückliche Leben internationaler Stars von Claudia Cardinale über Brigitte ­Bardot und Audrey Hepburn bis hin zu Ava Gardner in der spanischen Hauptstadt.

Hinzu kommen Aufnahmen einheimischer Stars und Sternchen wie der Schauspielerin ­Marisol oder der Sängerin Concha ­Velasco sowie des Adels von der Gräfin von Alba bis zum späteren Königspaar Juan Carlos und Sofia. Beschwingt und glücklich sind sie alle zu sehen. In ständiger Feierstimmung. Der Schwerpunkt liegt auf sozialem Leben und auf Mode. Originale Kleidungsstücke ergänzen die Fotos, ebenso wie Titelblätter der Herz-Schmerz-Presse jener Jahre.

Die Ausstellung wird von der Generaldirektion für Kulturerbe und dem Büro für die spanische Sprache organisiert, einer Organisation der vom konservativen Partido Popular (PP) gestellten Regionalregierung.

Doch das Ganze hat einen Haken

Laut Pressemappe beleuchtet die Schau „den Popgeist einer Ära, der eine ständige Quelle der Inspiration war und ist“. Weiter heißt es, die Ausstellung erforsche „nicht nur die Stile und Trends jener Jahrzehnte, von optischen Mustern und knallbunten Designs bis hin zum Einfluss der Hippiebewegung, sondern auch Fotojournalismus, Film und Fernsehen als soziale Porträts eines Spa­niens, das durch Mode eine Form des sozialen und kulturellen Ausdrucks suchte“, eines Landes mit eigener, damals weitverbreiteter Popkultur eben.

Letzte Todesurteile gegen politische Gegner wurden 1975 vollstreckt, mitten in der Ära des Pops

Doch das Ganze hat einen Haken. Mit keinem Wort wird erwähnt, dass Spanien bis 1975 eine Diktatur war, wenn auch offen für den Tourismus und die internationale Filmindus­trie. Deshalb fordert jetzt die Vereinigung zur Wiedererlangung des historischen Gedächtnisses (ARMH), dass die Regionalregierung die Inhalte der Ausstellung überprüft. Es handle sich um die „Weiß­waschung der ­Diktatur“, heißt es in einem förmlichen Antrag der Vereinigung, die sich um das Gedenken an jene kümmert, die gegen die Diktatur aufbegehrten.

Es war – so das Schreiben – eine Zeit, in der „Tausende von Menschen im Exil starben, gefoltert und ermordet wurden; Frauen ihr Leben lang als minderjährig galten und aus moralischen Gründen verurteilt und in psychiatrische Kliniken eingewiesen wurden; Homosexuelle inhaftiert und gefoltert sowie Tausende von Aktivisten und Gewerkschaftern gewaltsam unterdrückt wurden“.

Letzte Todesurteile gegen politische Gegner wurden 1975 nur zwei Monate vor dem Tod von Diktator Franco – der 1939 nach blutigem Bürgerkrieg an die Macht gekommen war – vollstreckt, mitten in der „Ära des Pops“.

„Akt kultureller Leugnung“

Die ARMH wirft dem regierenden PP und der Regionalpräsidentin Isabel Díaz Ayuso eine geistige Nähe zur Diktatur vor. Für den ARMH-Sprecher Emilio Silva handelt es sich bei der Ausstellung um einen „Akt der kulturellen Leugnung“. Es sei „die Leitlinie der Regionalregierung, eine angenehme Idee des Franquismus zu verbreiten“. Er fragt sich, für wen diese Zeit inspirierend war. „Etwa für die 30 Prozent der jungen Menschen, die davon träumen, dass es besser wäre, unter einer Diktatur zu ­leben?“

Es ist nicht das erste Mal, dass Opferverbände und Madri­der Regionalregierung aneinandergeraten. Der Amtssitz der Präsidentin Ayuso befindet sich am zentralen Platz Puerta del Sol in Madrid. Das Gebäude war unter der Diktatur das Folterzentrum schlechthin. Jetzt wollte die spanische Zentralregierung dort eine Gedenktafel anbringen. Verbände wie die ARMH begrüßten dies. Doch die Regierung Ayuso erließ dank der absoluten Mehrheit ihres PP im Regionalparlament ein Gesetz, das jedwede weitere Gedenktafel am Gebäude verbietet.

Auch in Sachen „Madrid Icono Pop“ will die Regionalregierung von einer Überarbeitung der Inhalte nichts wissen. Man respektiere die Arbeit der Kuratorin sowie die Meinungs- und künstlerische Entscheidungsfreiheit. „Diese Regierung zensiert nicht“, heißt es in einer Erklärung aus dem regionalen Kulturministerium gegenüber der Presseagentur Europa Press. Nun, aber mindestens schönt sie die Geschichte.

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