Machismo in Spanien: Francos Erbe

Der Fall Rubiales legt die Spaltung des Landes offen. Es geht um kulturelle Hegemonie. Doch auch innerhalb der Konservativen tun sich Risse auf.

Frauen Demonstrieren mit Schildern.

Rote Karte für Machismo: Feministische Demonstration gegen Verbandschef Rubiales im September Foto: Emilio Morenatti/ap

Wenn etwas die Gesellschaft und Politik Spaniens abbildet, ist es Fußball, oder besser gesagt der Frauenfußball. Seitdem Luis Rubiales, der inzwischen zurückgetretene Präsident des nationalen Fußballverbandes, bei der Übergabe der Medaille nach gewonnener Weltmeisterschaft die Spielerin Jenni Hermoso gegen deren Willen küsste, kennt das Land auf der Iberischen Halbinsel praktisch kein anderes Thema mehr. Zu verurteilender Übergriff oder verständlicher Überschwang, lautet die Frage auch noch nach seinem Rücktritt. Selbst nachdem Rubiales von einer „Hexenjagd“ gegen ihn, ausgerufen von einem „falschen Feminismus“, sprach, gab es mächtige Stimmen, die zu ihm hielten.

Der Kuss verdeutlicht die tiefe Spaltung des Landes in ein modernes vorwärtsgewandtes Spanien und in das, das alten Zeiten nachtrauert. Hinter Spaniens Frauen liegt ein steiniger Weg, den sie mit Bravour gemeistert haben. Wohl kaum ein Land in Europa hat sich in den vergangenen knapp 50 Jahren – nicht zuletzt dank der Frauen – so verändert wie Spanien. Als 1975 Diktator General Francisco Franco starb und das Land Richtung Europa und Demokratie aufbrach, waren Frauen – ähnlich wie in vielen arabischen Ländern heute noch – so etwas wie ewige Unmündige.

Sie konnten ohne die Zustimmung ihres Ehemannes weder arbeiten noch einen Reisepass beantragen, ein Bankkonto eröffnen, Eigentum verwalten oder Verträge unterzeichnen. Scheidungen gab es nicht, Verhütungsmittel waren verboten, von Abtreibung ganz zu schweigen. Ihre gesetzlich festgeschriebene Rolle war im ultrakatholischen Sinne die der hingebungsvollen Ehefrau und Mutter. Nur rund 20 Prozent der Studierenden an den spanischen Hochschulen waren Frauen, heute sind es 56 Prozent.

Erst mit der Verabschiedung der demokratischen Verfassung von 1978 wurden Frauen den Männern rechtlich gleichgestellt. Im Jahr 2004 verabschiedete das spanische Parlament ein Gesetz gegen Gewalt gegen Frauen, 2007 das Gleichstellungsgesetz und in der vergangenen Legislaturperiode das sogenannte Gesetz „Nur Ja ist Ja“, mit dem alle sexuellen Handlungen, die nicht ausdrücklich im beiderseitigen Einvernehmen geschehen, als strafbar gelten. Der aufgezwungene Kuss von Rubiales könnte in diesem Sinne durchaus als eine „erniedrigende Handlung“ gelten.

All diese Gesetze und Veränderungen sind das Ergebnis des Drucks einer starken Frauenbewegung auf die spanische Politik. Die Rechte freilich hat sich mit vielen dieser Veränderungen nie abgefunden. Sie gibt sich gern als Verteidiger echter Männlichkeit. Vor allem die rechtsextreme Partei Vox leugnet männliche Gewalt gegen Frauen, macht sich über das „Einvernehmen“ lustig und stützte Verbandschef Rubiales und dessen Verschwörungstheorie.

Erst mit der Verabschiedung der Verfassung von 1978 wurden Frauen den Männern rechtlich gleichgestellt

Seitdem die konservative Partido Popular (PP) mit Unterstützung der Vox in über 100 Gemeinden und in 6 Regionen regiert, macht auch sie sich die Politik gegen die feministischen Errungenschaften zu eigen. Die Abschaffung von Programmen gegen sexuelle Gewalt und für Gleichstellung gehört überall mit zur jeweiligen Koalitionsvereinbarung. Während sich der Bürgermeister von London mit Hermoso solidarisch zeigte, sprach jener von Madrid von einer „Überreaktion“ der Linken. Und die Regierungschefin der Region um die Hauptstadt, Isabel Díaz Ayuso, stellt den „sanftmütigen Männern“ – denen der Linken – ihre PP als „die Partei des Lebens, der Freude“ gegenüber. Ähnlich wie für Vox ist für sie die Debatte über Machismus die Kastration des echten Mannes.

Es ist ein Kampf um kulturelle Hegemonie, wie ein Blick in die sozialen Netzwerke zeigt. Dutzende Posts behaupten, Rubiales sei unschuldig – und versprachen Beweise. Hermoso sei das Opfer einer Frauenbewegung und einer Linken, die sie zu den Aussagen gegen den Verbandschef drängten.

„Se acabó“, „Schluss damit“, ist der Aufstand der Frauen – und der Männer, die nicht so sein wollen wie Rubiales oder die Machos von Vox und PP. Es geht nicht um einen einzelnen Vorfall. Es geht um die kleinen, alltäglichen machistischen Übergriffe. Um das, was als normal gilt, als üblich hingenommen wird, aber dennoch schmerzt, erniedrigt und beleidigt.

Wie weit diese unangenehmen Erfahrungen reichen, zeigt sich jetzt in der Debatte über den Kuss. Selbst im konservativen Lager taten sich Risse auf. So manche Talkshow-Teilnehmerin aus dem eher rechten Lager fand deutliche Worte der Solidarität mit Hermoso, so manche Politikerin ebenfalls. Das Paket aus Vaterland, Tradition und Machismus, das die Rechte verkauft, bricht auf.

Vox und PP punkten bei Männern

Genau mit dieser Mischung versuchten PP und Vox die vergangenen Wahlen zu gewinnen – und sie scheiterten. Ihre rückwärtsgewandte Politik macht der Mehrheit Angst und ist deshalb auch nicht tragfähig für eine Regierung. Zwar gewann Alberto Nunez Feijóo – Spitzenkandidat der PP – bei den Parlamentswahlen Ende Juli, doch auch mit Vox zusammen erhielt er keine absolute Mehrheit im Parlament.

Somit wird wohl der bisherige Ministerpräsident Pedro Sánchez weiterregieren können, sollte er die Parteien auf der Linken und die aus den Regionen wie Galicien, dem Baskenland und Katalonien hinter sich vereinen. Da sich Feijóo und seine PP völlig auf Vox festgelegt hat und sich weigert, eine Brandmauer gegen rechts außen zu errichten, ist er selbst zum Ziel einer breiten Ablehnung der anderen Parteien geworden. Niemand – außer ihm – will mit Vox aufs Foto.

Die Wahlanalysen verwundern nicht: Vox und die PP konnten bei Männern punkten, die Sozialisten bei den Frauen. Der aufgezwungene Kuss und die breite öffentliche Ablehnung sind längst das Symbol einer Zeit, in der das moderne Spanien sich aufbäumt, um das Erreichte zu verteidigen und weiter Fortschritte zu erringen.

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Reiner Wandler wurde 1963 in Haueneberstein, einem Dorf, das heute zum heilen Weltstädtchen Baden-Baden gehört, geboren. Dort machte er während der Gymnasialzeit seine ersten Gehversuche im Journalismus als Redakteur einer alternativen Stadtzeitung, sowie als freier Autor verschiedener alternativen Publikationen. Nach dem Abitur zog es ihn in eine rauere aber auch ehrlichere Stadt, nach Mannheim. Hier machte er eine Lehre als Maschinenschlosser, bevor er ein Studium in Spanisch und Politikwissenschaften aufnahm. 1992 kam er mit einem Stipendium nach Madrid. Ein halbes Jahr später schickte er seinen ersten Korrespondentenbericht nach Berlin. 1996 weitete sich das Berichtsgebiet auf die Länder Nordafrikas sowie Richtung Portugal aus.

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