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Hass im Netz gegen PolitikerInnenFrauen kommen schlechter weg

Eine NGO hat Social-Media-Posts über PolitikerInnen im Vorfeld der Bundestagswahl untersucht. Das Ergebnis? Frauen werden häufiger angefeindet.

Politikerinnen werden öfter auf Social Media angegriffen als Politiker Foto: Kay Nietfeld/dpa

„Die Kompetenz von Frauen wird infrage gestellt.“ Das ist zentrales Ergebnis und Überschrift einer Social-Media-Analyse, die die NGO Advance Democracy erstellt hat und die der taz exklusiv vorliegt.

Die Organisation hat den Kontext untersucht, in dem 45 PolitikerInnen im Vorfeld der Bundestagswahl auf Twitter, Facebook und TikTok erwähnt wurden, darunter ParteichefInnen, MinisterpräsidentInnen und die drei KanzlerkandidatInnen. Analysezeitraum war zwischen Anfang März und Ende Juli.

Die Ergebnisse sind eindeutig. Auf Twitter zum Beispiel sind Posts, die die Intelligenz von PolitikerInnen betreffen, viermal wahrscheinlicher, wenn es um weibliche Politikerinnen geht statt um männliche. Bei Face­book sind sie doppelt so wahrscheinlich.

Die Top Hashtags der männlichen Kanzlerkandidaten betreffen schlicht ihre Parteizugehörigkeit. Bei Armin Laschet ist der meistgenutzte Hashtag neben #laschet also #cdu, bei Olaf Scholz neben #scholz der Hashtag #spd. Dem gegenüber ist der Hashtag, der im Zusammenhang mit Annalena Baerbock jenseits von #baerbock am meisten genutzt wurde, #baerplag. Er bezieht sich also darauf, dass Baerbock Passagen ihres Buches nicht korrekt zitierte.

Populäre Hashtags

Bei TikTok sind Videos, die Baerbock kritisieren, deutlich populärer als Videos, die die männlichen Kandidaten kritisieren. #neinzubaerbock etwa ist ein beliebter Hashtag, der in mehr als 120 Videos mit zusammen mehr als 3,5 Millionen Views verwendet wurde. Der Hashtag #neinzulaschet hingegen wurde nur in 17 Videos mit rund 15.500 Views verwendet, #neinzuscholz gar nicht.

Die Videos über Baerbock beinhalten darüber hinaus Falschinformationen und diskriminierende Sprache – anders als die Videos zu Laschet. So wird zum Beispiel behauptet, die Klimapolitik der Grünen solle dazu führen, dass arme Menschen nicht länger Auto fahren sollten. Gefragt wird außerdem: „Wer will eine Quotenfrau als Kanzlerin?“

Die Videos, die Laschet kritisierten, bezogen sich hingegen darauf, dass er lachte, während Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zu Opfern der Flutkatastrophe in Nordrhein-Westfalen sprach. Diskriminierende Sprache enthalten sie nicht.

Frauen zum Schweigen bringen

„Durch Hass im Netz werden Frauen zum Schweigen gebracht“, sagt Felix Kartte von der Initiative Reset, die sich für eine Regulierung von Social-Media-Plattformen einsetzt und Advance Democracy unterstützt. Journalistinnen und Politikerinnen müssten sich zweimal überlegen, ob sie sich an Wahlkämpfen beteiligen wollten. „Wenn so eine ganze Bevölkerungsgruppe aus dem Diskurs gedrängt wird, ist das nicht nur für einzelne problematisch, sondern für die gesamte Demokratie.“

Kartte fordert, ein sicheres Kommunikationsumfeld für alle Beteiligten zu schaffen. „Menschen müssen unabhängig von Geschlecht die gleiche Chance haben, gehört zu werden.“ Strafbare Inhalte müssten entfernt, Frauenverachtung und Bodyshaming als Kategorie meldbar gemacht werden. Nur so könnten Frauen ihr Recht auf freie Meinungsäußerung wahrnehmen.

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7 Kommentare

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  • Die Doku "Die Story im Ersten: Wahlkampf undercover" über bezahlte Hasskampagnen im Netz ist ziemlich gut:

    www.daserste.de/in...ver-video-100.html

  • Hab die Originalstudie nicht online gefunden. Weiß jemand, ob es die irgendwo gibt?

    Bei einer NGO namens "Advance Democracy" denk' ich dass die das irgendwo irgendwie veröffentlichen. Es ist schade, dass die TAZ das Original nicht verlinkt.

    Inhaltlich: Kommentare zu Laschet mit denen zu Baerbock zu vergleichen würde für solche Aussagen wie sie in dem Taz-Artikel hier genannt werden schlicht nicht reichen: Korrekterweise müsste man mindestens so etwas machen wie Kommentare zu Politikerinnen und Politikern der gleichen Partei und auf der gleichen Ebene zu vergleichen. Und dann Kommentare zu Politiker*innen unterschiedlicher Parteien auf der gleichen Ebene. Um so ein differenzierteres Bild der feinen Unterschiede zu bekommen: Wer den Hass sät und wer genau ihn wie abbekommt.

    Das ist so naheliegend, dass ich vermute, dass die Originalstudie das macht. Ich finde es sehr schade, dass die Taz das hier nicht abbildet.

  • 0G
    02854 (Profil gelöscht)

    Das ist echt die Pest. Aber irgendwie hat man auch keine Idee wie man das in den Griff bekommt.

  • @ARNE M:

    Das wird, wie immer, ein Feedback Loop sein: wenn kein frauenfeindliches Substrat "da draussen" ist, dann sind die Bots nutzlos.

    Andererseits können die Bots durchaus so ein Substrat gärtnern und pflegen -- im Auftrag wessen auch immer.

  • Die Streitkultur erreicht fast jeden Tag einen neuen Tiefpunkt.

    Es liegt ganz sicher an der Anonymität, die Menschen dazu verleitet, sich rhetorisch so ganz und gar gehen zu lassen. Die meisten Schmähungen und Kraftausdrücke würden wohl die wenigsten im direkten Gespräch so verwenden. In der Anonymität geht jede soziale Kontrolle verloren und es tun sich menschliche Abgründe auf.

    Politikerinnen und Politiker brauchen heutzutage jedenfalls ein ganz dickes Fell, sonst könnten sie wohl täglich vor Verzweiflung in Tränen ausbrechen.

    So gehen Anstand und Ehrlichkeit nebeneinander unter. Denn an der Ehrlichkeit vieler Politiker kann man heutzutage durchaus Zweifel haben. Da ist mancher Volkszorn inhaltlich durchaus berechtigt. Die zahlreichen Plagiatsaffären sind ja fast noch harmlos gegenüber der schamlosen Vorteilsnahme bei den Masken-Deals. Und es zieht sich durch alle Parteien.

  • Findet die Schmähung von vielen realen Menschen statt oder stecken dahinter nur einzelne, die viele Zugänge und Bots dirigieren? Die Taz hatte erst von einigen Tagen aufgezeigt, dass die Coronaleugner durch die sozialen Medien eben diesen Weg gehen.

  • Also ich finde Bemerkungen, ob die Politik der Grünen Geringverdienern das Autofahren unmöglich mache, oder dass A. Baerbock als "Quotenfrau" Kandidatin wurde, jetzt nicht als Hass.



    Beides hat zumindest ansatzweise sachliche Grundlagen.

    Im übrigen kann man schwer von einer Person, die zudem objektiv sehr subopimal in den Wahlkampf startete, nicht generell auf Politikerinnen schließen.

    A. Baerbock sagte selbst über ihren Start als Kanzlerkandidatin: "Ich habe mich tierisch über mich geärgert", das war "Mist" und "sehr schlampig".

    Oder: "wäre sicherlich besser gewesen, wenn ich mit einem Quellenverzeichnis gearbeitet hätte"