: Haribo macht Kinder froh – und rechte Influencer ebenso
Haribo, die Investitionsbank Berlin, FreeNow – sie alle warben auf rechten Kanälen wie „Ketzer der Neuzeit“ oder „Vermietertagebuch“. Rechtsextremismus-Experten fordern Unternehmen auf, proaktiv Sperrlisten für ihre Internetwerbung aufzustellen

Von Jost Maurin
Große Unternehmen haben in Youtube-Kanälen von AfD-freundlichen Influencern geworben. Bei einer Stichprobe der taz erschien ein Spot für Fruchtgummis des Süßwarenherstellers Haribo vor einem Video des Kanals „Vermietertagebuch“. Die landeseigene Investitionsbank Berlin (IBB) und die Taxi-App FreeNow warben bei dem Channel „Ketzer der Neuzeit“, Wirkaufendeinauto.de bei „KetzerKirche“.
Buttons unter den Videos zeigen, dass die Kanäle Mitglied des Youtube-Partnerprogramms sind. Dieses berechtigt die Kanalinhaber dazu, sich an den Werbeeinnahmen zu beteiligen. Offenbar haben die Konzerne also die Influencer durch ihre Werbung mitfinanziert. Auf jeden Fall haben die seriösen Unternehmen den umstrittenen Kanälen Renommee verschafft.
Dabei ist Alexander Raue, der Betreiber des „Vermietertagebuchs“, laut dem Portal Übermedien jemand, „der die Menschen systematisch manipuliert, der ausgrenzt, stigmatisiert und Lügen verbreitet“. Als zum Beispiel im Januar 2024 Hunderttausende Menschen gegen die AfD und gegen Rechtsextremismus demonstrierten, behauptete Raue, „dass die Regierung offenbar extrem viele Statisten bezahlt hat, nur um die Demo größer wirken zu lassen“. Sein einziger Beleg war eine Stellenanzeige bei dem Portal Jobwork, in der Statisten als Demoteilnehmer für eine Videoaufnahme gesucht wurden. Doch diese Anzeige war laut Jobwork schon Mitte Oktober 2022 erschienen, bereits am 18. Oktober sei der Bewerbungsschluss gewesen, als niemand von den Demos gegen Rechtsextremismus Anfang 2024 hätte wissen können. Das Inserat habe „in keinem Zusammenhang mit den Demonstrationen in Hamburg am 19.01.2024“ gestanden – sie fanden ja auch mehr als ein Jahr später statt.
Vor zwei Jahren behauptete Raue wahrheitswidrig auch: „Jetzt dreht die EU total durch: Du darfst dich nur noch 15 min bewegen pro Tag.“ Oder Anfang 2024: „Offiziell: 9/11 Anschlag ist gelogen!“, „Es gab keine Angriffe auf das World Trade Center“. Permanent attackiert er vor allem Politiker, die nicht der AfD angehören und die er gern als „dieses ganze links-grüne Gesocks“ beschimpft. Zur EU-Wahl im Juni 2024 gab er eine klare Wahlempfehlung für die Partei ab, die damals dem Bundesamt für Verfassungsschutz schon als rechtsextremer Verdachtsfall galt. Raue ließ unter seinen Videos auch ein Jahr später noch Nutzerkommentare stehen wie „ein Wahnsinn mit diesen Grünen, ab nach Auschwitz mit ihnen!!!“. Das „Vermietertagebuch“ hat mehr als 400.000 Abonnenten.
Den Kanal „Ketzer der Neuzeit“ haben sogar mehr als 550.000 Menschen abonniert. Er wird von dem Berliner Influencer Leonard Jäger betrieben, der sich als „Christ“ bezeichnet. In einem äußerst distanzlosen „Interview“ mit der AfD-Vorsitzenden Alice Weidel sagte er der Politikerin wenige Tage vor der Bundestagswahl 2025: „Ich drück die Daumen, dass das was wird mit der Wahl“ und „ich möchte Ihnen da wirklich einfach Gottes Segen aussprechen.“ Bei Instagram blendete er bei dem Zitat „Invasion von Barbaren“ ein Bild von dunkelhäutigen Männern in einem Boot auf dem Meer ein. In einem Video von August 2024 verteilt er das vom Bundesamt für Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestufte Compact-Magazin. Immer wieder wettert er gegen die „Gender-Ideologie“.
Auch der Betreiber von „KetzerKirche“, Marc-Philipp Längert, hat sich immer wieder öffentlich positiv über die AfD geäußert. Oft nimmt er auf „KetzerKirche“ (mehr als 87.000 Abonnenten) und seinem Hauptkanal „Clownswelt“ (rund 500.000 Abos) gleiche oder ähnliche Positionen wie die Partei zu Themen wie Migration, Gendern oder dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk ein. Das „ZDF-Magazin Royale“ von Jan Böhmermann zitierte den Influencer mit der misogynen Behauptung, „dass Frauen auf natürliche Art und Weise mehr zu Unterwerfung tendieren als Männer“. Gern kritisiert „KetzerKirche“ das „AfD-Bashing“ oder verteidigt den extrem rechten Thüringer AfD-Vorsitzenden Björn Höcke gegen angeblich zu kritische Interviewer des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.
Die Kanäle stehen teils in einem krassen Widerspruch zu den ethischen Grundsätzen der Unternehmen. FreeNow etwa wirbt auf seiner Internetseite neben einem Foto unter anderem von Frauen mit Kopftuch mit den Worten: „Wir setzen uns für einen Arbeitsplatz ein, an dem alle gleichbehandelt werden und sich sicher, wertgeschätzt und integriert fühlen.“ Man lege „viel Wert auf ein vielfältiges und inklusives Umfeld“. Die IBB schreibt: „Durch Diversity-Initiativen und Gleichstellungsmaßnahmen stärken wir die Vielfalt in unseren Teams.“
Dass ihre Werbung auf den rechten Youtube-Kanälen gezeigt wurde, führten die Unternehmen auf den Algorithmus der Plattform zurück. „Unsere Online-Werbung – unter anderem auf YouTube – wird über automatisierte Systeme wie Google Ads ausgespielt“, schrieb FreeNow der taz. Das Unternehmen wähle nicht einzelne Kanäle aus, sondern lege lediglich „Zielgruppen, thematische Ausschlüsse und Positivkriterien“ fest. „Ketzer der Neuzeit“ habe man nicht „aktiv“ gebucht. „Die Platzierung unserer Werbung dort war unbeabsichtigt und widerspricht in jeder Hinsicht in massiver Form unseren Markenwerten.“ Nun habe FreeNow „den Kanal umgehend auf unsere interne Sperrliste gesetzt“. Auch die Investitionsbank Berlin erklärte, sie habe den „Ketzer der Neuzeit“ ausgeschlossen. Wirkaufendeinauto.de sperrte nach eigenen Angaben „KetzerKirche“. Anders Haribo: Der Süßwarenhersteller teilte nur mit, er passe seine Sperrliste laufend an.
Josef Holnburger, Geschäftsführer des Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS) reicht das nicht. Seine Organisation forscht zu Themen wie Verschwörungsideologien, Antisemitismus und Rechtsextremismus. „Jeder Werbetreibende sollte proaktiv Blacklists erstellen und nicht auf Hinweise von Journalisten warten, dass ein Teil seines Werbeetats an rechtsextreme Influencerinnen und Influencer fließt“, sagt Holnburger. Das müssen die Unternehmen auch nicht selbst erledigen. Meist beauftragen sie mit der Werbung spezialisierte Agenturen, die den Markt genau kennen.
„Monetarisierung ist immer etwas, wo die Szene sehr empfindlich reagiert“, so Holnburger weiter. Es hätten sich bereits Influencer aus dem Geschäft zurückgezogen, weil es nicht mehr rentabel war, den ganzen Tag Videos zu produzieren. „Wenn man nicht mehr 9 to 5 Menschen radikalisieren kann, dann sinkt die Reichweite.“ Der CeMAS-Chef appellierte an die „gesellschaftliche Verantwortung“ der Unternehmen.
Alle von der taz angefragten Firmen außer die IBB wollten nicht offenlegen, wie viel sie für die Werbung auf den Kanälen gezahlt haben. Die Bank sprach nur von insgesamt 35 Cent. Ist das Problem also gar nicht so groß? „Das ist immer ein Problem der Masse. Deswegen kann man das so pauschal nicht sagen, dass es ein imminent kleiner Betrag ist“, antwortet Holnburger. Bei höheren Clickzahlen, würden auch höhere Beträge fließen.
Unabhängig vom Finanzvolumen verschafften die Spots von großen Firmen wie Haribo oder der IBB den Kanälen auch Renommee. „Das suggeriert: Das ist im Mainstream angekommen, wenn da auch Mainstreamwerbung läuft“, so Holnburger. Das sei „tragisch“, weil die Botschaft vermittelt werde, dass auch ein wichtiger Teil der Wirtschaft rechtsradikale Hetze „zumindest toleriert“.
Holnburger ermahnte auch Youtube, seiner Verantwortung gerecht zu werden. Die Plattform gehe weniger als etwa während der Coronapandemie gegen Desinformation und rechtsradikale Hetze vor. Dabei könnte sie zum Beispiel betroffene Kanäle weniger prominent in der Suche anzeigen, sie von der Monetarisierung ausschließen oder sie löschen.
Ein Youtube-Sprecher schrieb der taz jedoch: „Der Content wurde in der Vergangenheit bereits untersucht.“ Trotzdem lässt die Plattform die Kanäle online, das Unternehmen hat offenbar auch keine anderen Sanktionen verhängt.
Sowohl „Ketzer der Neuzeit“ als auch „Vermietertagebuch“ und „KetzerKirche“ ordnet Experte Holnburger dem Vorfeld der AfD und des Rechtsextremismus zu. „Sie tragen zur Radikalisierung insbesondere junger Leute bei.“ Alle hätten die Botschaft, es stehe sehr schlimm um Deutschland und die einzige Lösung sei die AfD. Ihre Reichweite sei hoch.
Die Influencer gingen auf Bitten der taz um Stellungnahme bis Redaktionsschluss nicht ein. Alexander Raue, der mehrmals durch eklatante Falschinformationen aufgefallen ist, beschimpfte in seiner Antwort die taz als „links-extremistischen Scheiß-Verein“ und warf dem Autor dieses Artikels „Lügen“ vor.
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