Handelsvertrag mit Großbritannien: Der Teufel steckt im Detail
Die EU und Großbritannien haben sich auf einen Deal geeinigt. Was das im Einzelnen für Reisende, Studierende und Geschäftsleute bedeutet.
Der Vertrag, auf den sich die Europäische Union und das Vereinigte Königreich jetzt geeinigt haben, besteht aus einem Freihandelsvertrag, einem Abkommen über polizeiliche und juristische Zusammenarbeit, einem Rahmen zur Klärung von Streitfragen sowie einer Reihe gemeinsamer Erklärungen. Er tritt am 1. Januar zunächst provisorisch in Kraft, weil er noch nicht ratifiziert ist.
Er ergänzt den Austrittsvertrag vom Oktober 2019, der den Austritt Großbritanniens aus der EU am 31. Januar dieses Jahres ermöglichte und in dem die fortdauernde Gültigkeit bestehender Bürgerrechte, das Offenhalten der nordirischen Grenze zu Irland sowie noch offene finanzielle Verpflichtungen geregelt sind. Hier die wichtigsten Punkte aus dem Handelsvertrag, der 1.246 Seiten umfasst:
Handel
Großbritannien verlässt EU-Binnenmarkt und EU-Zollunion, aber der Warenhandel zwischen Großbritannien und der EU bleibt zoll- und quotenfrei. Großbritannien exportierte vergangenes Jahr Güter im Wert von 274 Milliarden Pfund in die EU-Staaten und importierte Güter im Wert von 341 Milliarden, rund die Hälfte des internationalen Warenverkehrs in britischen Häfen. Doch es wird Ausfuhrerklärungen und Grenzkontrollen geben, da die EU britische Produktstandards nicht mehr pauschal anerkennen wird, was vor allem britische Lebensmittelexporte trifft und Güter oder Komponenten aus anderen Drittstaaten eigenen Regeln unterliegen. Registrierte regelmäßige Im- und Exportunternehmen werden von bestimmten Kontrollen ausgenommen. Der Handel mit Dienstleistungen – Finanzdienstleistungen, Tourismus, Ausübung bestimmter Berufe – ist nicht so stark liberalisiert.
Wettbewerb
Großbritannien muss nicht, wie ursprünglich von der EU verlangt, bestehende und zukünftige EU-Regeln einhalten. Es darf aber nicht hinter die Ende 2020 geltenden EU-Regeln im sozialen und ökologischen Bereich zurückfallen. Beide Seiten können vor den Gerichten der jeweils anderen Seite Klage wegen Verletzung von Standards einreichen. Dies gilt nicht nur für soziale und ökologische Standards, sondern auch für staatliche Beihilfen – wobei Beihilfen aufgrund einer Notlage, etwa Covid-19, ausgenommen sind. Nach vier Jahren wird geprüft, ob das alles funktioniert.
Streitschlichtung
Ein „Partnerschaftsrat“ mit je drei Mitgliedern jeder Seite und einer paritätischen Doppelspitze behandelt Streitigkeiten, Fragen der Auslegung des Vertrags und mögliche Vertragsänderungen. Seine Arbeitssprache ist Englisch. Er trifft sich mindestens einmal jährlich, abwechselnd in Brüssel und London, kann Arbeitsgruppen einsetzen und auch Strafzölle verhängen, wenn er der Beschwerde einer Seite stattgibt, dass die Gegenseite die Wettbewerbsbedingungen untergraben hat – ursprünglich wollte die EU dies dem Europäischen Gerichtshof vorbehalten. Dies gilt nicht nur für soziale und ökologische Standards, sondern auch für staatliche Beihilfen. Auch hier soll nach vier Jahren geprüft werden, ob alles wie geplant funktioniert.
Fisch
Die EU-Fischereipolitik gilt in britischen Gewässern noch bis Mitte 2026. Die EU-Fangquoten sollen dabei von derzeit etwa 41 Prozent des Gesamtwerts auf 35 Prozent im Jahr 2021 und 31 Prozent im Jahr 2026 sinken. Danach erst gibt es jährliche Verhandlungen, wie die EU sie mit anderen Drittländern führt. Sollte Großbritannien die EU-Fangrechte dabei weiter reduzieren, kann die EU Strafzölle verhängen.
Reisen
Für Kurzreisen und Aufenthalte von unter 90 Tagen brauchen Reisende aus der EU und aus Großbritannien kein Visum, darüber hinaus allerdings schon sowie auch bei einem Aufenthalt von insgesamt mehr als 90 Tagen in einem 180-Tage-Zeitraum. All dies erfordert Reisepässe; Personalausweise werden nicht mehr genügen. Für mögliche EU-Neumitglieder gilt die Visafreiheit in Großbritannien nicht automatisch. Eine Regelung zur Übernahme medizinischer Kosten durch das Heimatland wie bisher ist zugesagt, aber noch nicht ausgearbeitet. Autofahrer werden zukünftig einen internationalen Führerschein brauchen. Für britische Haustiere wird der EU-Heimtierausweis ungültig.
Studieren und arbeiten
Ein Studium in England, Schottland, Wales oder Nordirland wird für Studierende aus der EU teurer: Künftig werden sie ein Visum vorweisen und anders als bisher in der Regel wie alle anderen ausländischen Studierenden auch die hohen internationalen Studiengebühren zahlen müssen. Zu Ende geht auch Großbritanniens Teilnahme am Erasmus-Programm, das mit Stipendien ein Auslandsstudium in der EU ermöglicht – es ist nicht unter den EU-Programmen, für die eine weitere britische Teilnahme vereinbart ist und zu denen beispielsweise die Forschungskooperation „Horizon“ sowie Euratom gehören. Die bestehende automatische gegenseitige Anerkennung von Berufsabschlüssen bleibt auf bestehende Abschlüsse beschränkt. Ebenso gelten Bürgerrechte und Sozialleistungen für EU-Migranten in Großbritannien und umgekehrt nur für bestehende Migranten weiter; dies wurde bereits 2019 vereinbart.
Justiz und Polizei
Das Abkommen erlaubt hier eine verhältnismäßig enge Zusammenarbeit. Konkret wird es eine Zusammenarbeit der britischen Behörden bei den Agenturen Europol und Eurojust geben – das Vereinigte Königreich kann die Regeln der Sicherheitseinrichtungen aber nicht wie ein EU-Land mitgestalten. Großbritannien hat weiter Zugriff auf die EU-Datenbank zur Fluggastdaten-Speicherung, es gibt Kooperation bei DNA-Proben und Fingerabdrücken sowie Fahrzeugzulassungsdaten. Gleichzeitig verliert das Land Zugriff auf andere EU-Datenbanken wie das Schengener Informationssystem (SIS II), in dem unter anderem zur Fahndung ausgeschriebene Personen gespeichert werden.
Leser*innenkommentare
Pfanni
„Wenn ein zu schnell produzierter Impfstoff am Ende weniger wirkt oder unverträglicher ist, sinkt erst recht die Impfbereitschaft“
Österreichs Regierungschef Sebastian Kurz brachte es auf den Punkt: „Wenn man an einem Grashalm zieht, wird dieser dadurch nicht besser. Vor allem wächst er nicht schneller!“
Andreas_2020
Warten wir das mal ab.
Ich denke, es ist wenigstens eine Lösung. Aber viel wird von britischen Regierungen abhängen.
Fürs erste werden die britischen Konsulate und Botschaften eine Menge Arbeit haben bei Dritt-Staaten einzelne Verträge auszuhandeln.
Damit haben sie zwar vor zwei Jahren angefangen, aber da galten eben auch EU-Verträge. Die müssen jetzt restlos ersetzt werden.
Und Großbritannien ist alleine nicht mehr so durchsetzungsstark, das eine oder andere Land wird da Nutzen für sich ziehen wollen.
Insgesamt beruht internationaler Handel aber auf Vertrauen und vor allem Zutrauen, so richtig bergab kanns nicht gehen, aber in 30 oder 40 Jahren werden sich Dinge dann eingeschliffen haben. Da könnten ein paar Prozentpunkte Zoll und Gebühren sich addiert haben.
Ich halte das für ausgeschlossen, dass Großbritannien jetzt in den nächsten 15 Jahren von diesem Abkommen zurücktritt und wieder in die EU will.
Eigentlich ging es vielen Briten darum, den Zuzug von arbeitsfähigen Menschen zu begrenzen, da die EU noch einige Balkan-Länder aufnimmt ... daher bleibt dieses Bedürfnis. Eine qualifizierte Arbeit bringt momentan in Serbien ein Monatseinkommen von 300 EURO nach Hause... und das im Norden, nicht im Süden des Landes.
Eine Wanderungsbewegung vom Balkan durch eine Ausweitung der EU wird stattfinden und die könnte Großbritannien zwar locker auffangen, aber solange dort elitäre Zirkel die Armut vergrößern wollen, bieten sich solche Entwicklungen einfach als Propaganda an.
Ich denke, insgesamt ist das ein Schritt zurück, aber eine Katastrophe ist es noch lange nicht. Vor allem die EU dürfte das gut wegstecken und über längere Zeit wird sich das im Effekt nivellieren.
Das Signal aber bleibt und das wird politisch nicht so einfach zu beseitigen sein, immerhin gibt es mit Ungarn ein Land, das nicht mitmacht und wie ein Fremdkörper wirkt. Wenn andere folgen, wird das zu einer politischen Herausforderung.
Pfanni
Mr. Johnson (oder einer seiner Nachfolger) wird irgendwann die tatsächlichen Vorteile und Nachteile abwägen, die der Brexit in der Praxis bringt. Möglich, dass dann die EU eine Anfrage betreffs Wiedereintritt erhält.
Dann wird es ein Freudenfest bei der EU über die Heimkehr des verlorenen Sohnes geben, ähnlich, wie in der entsprechenden Bibelgeschickte. GB würde mit Sonderkonditionen belohnt, um künftige Diskussionen um einen Brexit 2.0 vorzubeugen. Und so hätte sich der (zeitweilige) Brexit langfristig für GB eben doch gelohnt!
satgurupseudologos
1.)auf einem markt kann es immer nur einen gesetzgeber geben-weil die rivalität zwischen gesetzgebern die möglichkeit der gesetzgebung untergräbt-so dass keine politik gegen den markt und damit auch keine soziale gerechtigkeit und kein schutz der natur mehr möglich ist
darum ist ein sogenannter freier aussenhandel so schädlich für die demokratie und so so schädlich für die gesellschaft und so schädlich für den planeten
darum ist auch die ganze globalisierung ohne einen globalen staat ein permanenter angriff auf die souveränität der demokratie
man sollte grossbritannien daher auf keinenfall erlauben durch seine exporte die europäischen standards zu senken
2) den fisch in britischen gewässern sollten nur britische fischer fangen dürfen.dass ist auch für die nachhaltigkeit der fischerei am besten
Wondraschek
Der Teufel steckt unter anderem im Konfliktlösungsmodus, wie er ab Seite 383 des Vertrages beschrieben wird. Zuständig wird nach bekanntem Muster ein Partnership Council sein, der aus nebenamtlich arbeitenden Experten bestellt wird, die ihr sonstiges Geld in aller Regel durch Arbeit bei großen Konzernen oder Lobbygruppen verdienen.
Aymen
Danke für diese kompakte, informative Zusammenfassung.