Handelsexperte über Gas für Ukraine: „Jetzt zahlen wir eben mehr“
Russland setzt Kiew weiter unter Druck: Gazprom streicht Rabatte, Gas ist für das Nachbarland seit April 40 Prozent teurer. Der Handelsexperte Yuri Pavlov bleibt cool.
taz: Herr Pavlov, Gazprom hat jetzt wie bereits angekündigt Gaspreis-Rabatte für die Ukraine abgeschafft. Wie hart trifft das die ukrainische Wirtschaft.
Yuri Pavlov: Das ist eigentlich kein so großes Problem für uns. Wir haben die Rabatte zwar seit 2010, aber davor war das Gas sogar noch teurer, als es jetzt wieder sein wird. Nun zahlen wir eben wieder mehr. Die Industrie muss damit klarkommen, das sind schließlich alles Geschäftsleute.
Und was ist mit den Menschen, deren Heizung teurer wird?
Das Parlament hat in der vergangenen Woche beschlossen, dass wir die Preise für Haushalte nur allmählich innerhalb eines Jahres auf Marktniveau heben wollen. Für die normalen Bürger ist das akzeptabel, weil Energiepreise bei uns ohnehin niedrig sind. Für Menschen unter der Armutsgrenze soll es weiterhin billigeres Gas geben.
Gazprom-Chef Alexei Miller verlangt jetzt 1,37 Milliarden Euro von der Ukraine …
… die müssen wir auch zahlen. Es geht ja um Schulden aus dem Jahr 2013, da haben wir die Rechnungen nicht beglichen …
… da drohte Miller schon mit Lieferstopp, wie bereits 2006 und 2009. Nehmen Sie die Drohung ernst?
Nun ja, ich hoffe natürlich, dass das nicht passiert. Sie wissen doch, wie man das wichtigste Außenministerium in Russland umgangssprachlich nennt.
67, ist in der ukrainischen Handelskammer für außenwirtschaftliche Beziehungen zuständig. Davor arbeitete der Ökonom im Außenministerium.
Nein.
Gazprom. Solche Aussagen müssen Sie immer auch politisch verstehen. Es geht nicht nur um offene Rechnungen, sondern auch darum, der Ukraine Angst zu machen, uns unter Druck zu setzen. Gazprom will ja nicht nur die ausstehenden Zahlungen, sie fordern auch die Rabatte der letzten Jahre zurück. Sollten deshalb die Gaslieferungen gestoppt werden, wäre das die nächste Aggression aus Russland, dieses Mal aber ökonomischer Natur.
Was denkt die ukrainische Wirtschaft über ein Assoziierungsabkommen mit der EU?
Die meisten hier sind für das Abkommen. Ein anderer Fall allerdings ist die Ostukraine mit ihrer Schwerindustrie. Dort herrschen sehr enge Beziehungen zu Russland, die Angst vor dem Abkommen ist groß. Nicht nur, weil sie Angst um ihre Konkurrenzfähigkeit haben. Schwerwiegender ist, dass die Russen drohen, dann ukrainische Produkte nicht mehr zu kaufen, etwa unsere Eisenbahnwaggons. Die Arbeiter in den Fabriken sehen nur, dass Russland droht, nichts mehr zu kaufen. Andere Unternehmen müssten ihre Fabriken dringend modernisieren. Warum haben die das nicht gemacht? Wir sind seit 20 Jahren unabhängig.
Das heißt, die Wirtschaft der Ukraine wird wegen des Abkommens mit der EU einen Schock erleben?
Das kann sein, hängt aber auch von Russland ab. Wenn sie den Handel abbrechen, um uns abzustrafen, dann wird es schwer. Das ist aber eine rein politische Entscheidung. Dabei wäre ein Abkommen mit der EU sogar gut für Russland. Wir müssten bessere Produkte herstellen.
Könnten Sie mit Russland und gleichzeitig der EU Freihandel haben?
Es gibt längst ein Abkommen mit Russland. Aber kein echtes, es hat viele Schlupflöcher, viele davon begünstigen Russland. Das Abkommen sollen wir laut EU allerdings kündigen. Ich glaube: Selbst wenn wir das täten, gäbe es weiter Handel in Richtung Osten.
Kann der Konflikt jetzt friedlich gelöst werden?
Ich mache mir Sorgen. Niemand hätte gedacht, dass passiert, was auf der Krim passiert ist. Das war eine reine Aggression. Wenn das passiert ist, dann ist alles möglich. Meine erste Sprache ist Russisch, ich habe viele Verwandte dort. Wenn ich mit ihnen telefoniere, sagen sie: Eigentlich will hier niemand Krieg mit der Ukraine.
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