Handelsbilanz in China: Demokratie auf Chinesisch

Wie demokratisch China ist, definiert man in Peking entsprechend der Handelsbilanz. Aktuell wiegt der europäische Kunde schwer.

Präsident Xi Jinping mit Uniformierten

Chinas Präsident Xi Jinping im Kreise der militärischen Führung im November 2021 Foto: Li Gang/Xinhua/ap

Der beste Trick, jede Kritik von sich zu weisen, ist: Du behauptest, so unvergleichlich unique zu sein, dass kein Normalsterblicher dich auch nur annähernd verstehen könnte. So etwas wie marsmenschenähnlich mit einem biblischen Zungenschlag vielleicht. Dieser Trick schüchtert einige Deutsche perfekt ein, vor allem solche, die vor dem unique „China“ ehrfurchtsvoll erscheinen wollen: Wenn einer die Marsmenschlichkeit verstünde, dann nur unterwürfig, und auch das nur annähernd.

Von diesem Trick machte bis vor Kurzem die KP-Führung reichlich Gebrauch: Chinas System sei so unvergleichlich anders, deshalb besser als jede westliche Demokratie, weil „wir Chinesen“ so anders seien. Der Trick wirkte: Bei einem Diskussionsabend lehrte mich ein deutscher Sinologe: „Demokratie ist etwas, was wir in Europa, im Westen ausgedacht haben. Die Chinesen wollen es gar nicht. Also sollten wir uns in Bescheidenheit üben, anderen nicht unser System aufzuzwingen.“

Was mich erstaunt: Wie harmonisch es hüben wie drüben konzertiert erscheint. Dem deutschen Professor schien entgangen zu sein, dass die erste Republik in China 1912 ausgerufen wurde, erst sieben Jahre später folgte die Weimarer Republik. Und die KP-Führung scheint vergessen zu haben, was ihre einstige Ikone, Mao Zedong, 1947 beteuerte. Nicht irgendeine Demokratie, sondern die amerikanische sei „die einzige Rettung für die chinesische Nation“, schrieb Mao.

Nun, das hat man so an den Tricks: Man muss sie nicht glauben, sondern sie ausnutzen, frei von jedem Skrupel, so gut es geht. So gut geht es dieser Tage aber nicht mehr. Seit Joe Biden zu dem Gipfel der Demokratie über 100 Länder eingeladen hat, beschwören in Peking alle Parteimedien, China sei doch eine Demokratie. Im Vergleich gar die beste. Die chinesische durchdringe den ganzen Prozess, von Idee über Entscheidung bis zur Ausführung. Nicht so die amerikanische, die den Verrückten Trump hervorgebracht habe.

China braucht den Export

Was veranlasst solchen plötzlichen Sinneswandel? Nur die Einsamkeit als Nichtdemokratie, als jenes unvergleichliche Unikat allein zu erstrahlen? Gewiss braucht niemand mit Propagandisten darüber zu streiten, was eine Demokratie ist. Allzu durchschaubar sind Pekings Beweggründe im Sinne von Tricks: Wegen der Krise in China, um ein Beispiel zu nennen, braucht das Land mehr lukrativere Exportgeschäfte.

Westliche, etwa europäische Demokratien, sind nun mal zahlungskräftige Kunden, mit denen man sich arrangieren muss. Das funktioniert besser ohne jene Schelte, die Peking bislang den Amis vorbehalten hat: Wie schädlich sei die Demokratievariante in Washington? Xinhua, die staatliche Nachrichtenagentur, schreibt: So vernichtend wie „eine Massenvernichtungswaffe“.

Funkstille herrscht indes, wenn es um die Frage geht, wie katastrophal Demokratien in Europa, verglichen mit der chinesischen, abschneiden? Wieder wusste es eine deutsche Sinologin besser: Wochen vor dem Sinneswandel in China belehrte sie mich: Auch Chinas System habe effektive Mittel, fehlerhafte Störfaktoren friedlich zu beseitigen. Schließlich konnte man im alten China selbst Kaiser abwählen, sollte dieser das himmlische Mandat nicht erfüllen.

Einem ignoranteren Deutschen bin ich bislang kaum begegnet. Unterdessen meldete sich ein Blogger aus China, der „Demokratie und Freiheit“ (minzhu ziyou) als Suchwort eingab. Prompt poppte die Online-Fehlermeldung heraus: „Diese Suche verstößt gegen Sicherheitsregularien. Sorry.“

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ist 1957 in Peking geboren, lebt seit 1989 in Köln und arbeitete dort als freier Autor. In seinen Texten setzt er sich mit dem politischen Geschehen und der gesellschaftlichen Entwicklung in seiner Heimat auseinander.

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