Recycling gegen den Klimawandel: Diesel aus der Bratpfanne

Liu Shutong sammelt altes Speiseöl ein, damit es zu Biodiesel veredelt werden kann. Damit löst der Chinese gleich zwei Probleme auf einmal.

Bratpfanne mit Stäbchen

Erst gut fürs Essen, dann für den Tank: Frittiertes auf dem Markt in Chengdu, Provinz Sichuan Foto: Robert Harding/picture alliance

SCHANGHAI taz | Als Liu Shutong in der südchinesischen Provinz Jiangxi aufwuchs, sah er fast täglich in den Abendnachrichten die Meldungen über „Speiseöl-Banden“: organisierte Kriminelle, die das hochgiftige, verbrauchte Öl von Garküchen und aus der Kanalisation auflesen, es primitiv filtrieren und dann zu einem Bruchteil des Einkaufspreises wieder am Markt verkaufen. Zu Hochzeiten, so berichten es die Staatsmedien um die Jahrtausendwende, soll jeder zehnte Liter Speiseöl in China sogenanntes „Gossenöl“ gewesen sein: gesundheitsgefährdend und oftmals mit Fäkalien versetzt. Doch selbst die Androhung von Todesstrafen konnte das Problem nicht lösen, zu lukrativ war das gesundheitsgefährdende Geschäft.

Fast zwei Jahrzehnte später musste Liu an jene Nachrichten zurückdenken, als er während seines Auslandsstudiums in den Niederlanden bei dem Energieriesen SkyNRG ein Praktikum absolvierte. Damals hatte die Firma gerade eine neue Entdeckung gemacht: Speiseöl ließe sich mit der richtigen Verarbeitung zu Treibstoff für Fahr- und Flugzeuge transformieren. Das Problem war nur, dass es den Niederländern damals an nachhaltigem Öl mangelte – denn das Palmöl, welches damals verwendet wurde, machte allein schon aufgrund der Regenwaldrodungen sämtlichen Umweltnutzen zunichte.

Liu Shutong, 34-jähriger Firmengründer aus Schanghai

„Wir wollen unser Speiseöl lokal sammeln, lokal konvertieren und lokal benutzen“

„Ich bin durch ganz Ostasien gereist, von Taiwan über Hongkong bis nach Japan und Südkorea. Was ich mich gefragt habe: Wieso sollen wir all diese wertvollen Ressourcen nach Europa verschiffen? China leidet unter hohen Emissionen. Wir wollen unser Speiseöl lokal sammeln, lokal konvertieren und lokal benutzen“, sagt Liu Shutong.

Seine Geschäftsidee war geboren: In seinem Heimatland China gibt es schließlich Speiseöl zur Genüge. Abertausende Lokale, Restaurants und Straßenküchen verwenden davon jeden Tag Unmengen. „Öl und Treibstoff: Wieso kann man das nicht verbinden?“, dachte sich Liu damals. Es war der Moment, der sein Leben fortan prägen sollte.

Wer den heute 34-jährigen Shutong in der boomenden Millionenmetropole Schanghai besucht, trifft auf einen eher untypischen Unternehmer: Statt Anzug trägt er ein funktionales Fleece-Shirt, seine Gestik strahlt Bescheidenheit aus, und jede Silbe wählt er mit Bedacht.

Doch was der Chinese mit seinem Start-up MotionEco erreicht hat, wäre Grund genug für stolzes Pathos: In mehreren Millionenstädten hat Liu Shutong ein Händler-Netzwerk aus Scooter-Fahrern aufgebaut, die örtliche Restaurants abklappern und das verwendete Speiseöl aufsammeln. Dieses wird dann an lokale Energiefirmen weiterverkauft, wo sie das Material weiterverarbeiten und als Biodieselöl verwenden.

Zwei Güterzüge Öl gesammelt

Im letzten Jahr hat MotionEco allerdings nur bescheidene 2.000 Tonnen Öl eingesammelt, was etwa dem Gewicht von zwei Güterzügen entspricht. Doch angesichts eines riesigen Markts mit 1,4 Milliarden Chinesen und 120 Millionenstädten mit unzähligen Restaurants ist das Potenzial riesig. Jeder Liter aufbereitetes Bioöl verbraucht in seiner Herstellung nur rund ein Zehntel an Schadstoffen im Vergleich zu herkömmlichem Treibstoff.

Solche Graswurzel-Ideen sind überaus wichtig in einem Land, das in absoluten Zahlen längst der größte Klimasünder weltweit geworden ist. Der Aufstieg nach der ökonomischen Öffnung der Volksrepublik in den frühen 1980er Jahren von bitterer Armut zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt war auch mit einem Raubbau an der Natur verbunden. Die großen Städte entlang der Ostküste litten in den letzten Jahren unter derart massiven Feinstaubwerten, dass die Aussicht aus dem eigenen Fenster oftmals einem apokalyptischen Science-Fiction-Filmset glich.

Ein Blick auf die Statistiken ist ernüchternd: Seit über einem Jahrzehnt verbraucht China mehr Kohle als der Rest der Welt zusammen. Und der Energiehunger der Volksrepublik wird in den nächsten Jahren noch weiter massiv anwachsen: Aktuelle Berechnungen gehen davon aus, dass sich Chinas Primärenergieverbrauch bis 2040 verdoppeln könnte und dann ein Viertel des globalen Bedarfs ausmacht. Um die globalen Klimaziele zu erreichen, ist für die Weltgemeinschaft deshalb ein gemeinsames Vorgehen mit den Chinesen zwingend.

Umso verärgerter zeigte man sich im Westen, als Staatschef Xi Jinping beim jüngsten Klimagipfel im britischen Glasgow gar nicht erst auftauchte. US-Präsident Joe Biden sprach von einem „Fehler“ – und drückte damit aus, was wohl die meisten anderen Staatschefs ebenfalls dachten.

Doch gleichzeitig hat Xi in seiner Heimat den Wandel zu Nachhaltigkeit überhaupt erst auf die Agenda geholt. 2020 versprach er während einer Videoschalte vor den Vereinten Nationen, sein Land bis 2060 zur Schadstoffneu­tralität zu führen – eine Ankündigung, die international euphorisch aufgenommen wurde.

Dennoch kommen seither aus der Volksrepublik höchst ambivalente umweltpolitische Signale. Zu den größten Klimasündern Chinas gehören die riesigen Ölkonzerne, die für sich genommen CO2-Bilanzen wie eigenständige Staaten haben. Sinopec und Petrochina belegen mit weit über 160 Millionen Tonnen CO2-Ausstoß pro Jahr die obersten zwei Plätze der größten Schadstoffemittenten unter allen öffentlich gehandelten Ölfirmen weltweit.

Das hat nicht nur mit der absoluten Größe der Unternehmen zu tun, sondern vor allem auch damit, dass sie überproportional in den energieintensivsten Bereichen des Ölgeschäfts tätig sind – nämlich der Erforschung und Förderung neuer Felder sowie dem Betrieb von Raffinerien. Doch trotz der immensen Menge an Schadstoffen stellte die Parteiführung ihnen bisher stets eine Art Freifahrtschein aus, weil die Betriebe für die Energieversorgung des Landes eine zentrale Rolle einnehmen.

Liu Shutong

Mann mit guter Geschäftsidee: Liu Shutong Foto: Fabian Kretschmer

In den letzten Monaten haben diese Energieriesen jedoch allesamt hochsymbolische Absichtserklärungen unterschrieben, gemeinsame Forschungsprojekte mit Universitäten aufgesetzt und neue Investitionsprojekte angekündigt. Der Präsident von Sinopec, Ma Yongsheng, versprach etwa Investitionen in Höhe von 4,6 Milliarden US-Dollar, um die Infrastruktur für Wasserstoffautos voranzutreiben. Petrochina-Vorstand Dai Houliang kündigte an, dass bis 2035 mindestens ein Drittel der Investitionsausgaben auf erneuerbare Energien fallen sollen. Doch Fakt bleibt: Chinas auf Exporten und Schwerindustrie beruhendes Wirtschaftsmodell ist auf lange Sicht nicht nachhaltig.

Und doch vollzieht sich allmählich auch im Reich der Mitte längst ein Umdenken: Es ist kein Zufall, dass ausgerechnet in China der weltweit größte Windpark steht, jede zweite Solarzelle verbaut wird und die Verkehrswende längst beschlossene Sache ist.

Von den meisten Medien fast unbemerkt wendet sich Staatschef Xi Jinping seit letztem Jahr von strengen Wachstumszielen ab, die bisher auf die Kommastelle die ökonomische Expansion vorgaben. Mittlerweile propagiert der mächtigste Mann des Landes eine neue Entwicklungsstufe, in der es mehr um qualitatives statt rein quantitatives Wachstum geht. Zudem wird dieses neue Ziel ganzheitlicher aufgefasst: Zentral ist immer auch die Frage, wie nachhaltig das Wachstum ausfällt.

„Jeder redet über erneuerbare Energien“

Diese Signale sind längst an der Basis angekommen. Start-up-Gründer Liu Shutong sagt: „Mittlerweile redet jeder über erneuerbare Energien. Die Stimmung hat sich merklich geändert, die Leute kümmern sich mehr um Nachhaltigkeit.“ Und plötzlich wird der Kleinunternehmer, der zuvor von den mächtigen Kapitalgebern des Landes belächelt worden ist, in die Konferenzräume der großen Ölkonzerne des Landes gebeten, um sein Geschäftsmodell zu erläutern.

Ob der Plan des Jungunternehmers aufgeht, ist nach wie vor offen. Doch das Beispiel Liu Shutong belegt, wie sehr Kooperationen in einer globalisierten Welt die Lösungssuche für eine bessere Zukunft befruchten. Liu sagt von sich selbst, dass er als Jugendlicher niemals auf die Idee gekommen wäre, dass man nicht unbedingt in einem Büro arbeiten und Buchhalter werden muss. Der Gedanke, dass es beispielsweise möglich ist, sein eigenes Start-up zu gründen, wäre ihm niemals gekommen, hätte er nicht ein Austauschsemester in San Francisco absolviert. „Die freie, liberale Atmosphäre dort hat mich inspiriert“, sagt Liu heute.

Doch erst in Europa, wo seine Kommilitonen ständig über Nachhaltigkeit und Umweltbilanzen debattierten, kam er in Kontakt mit dem Thema der erneuerbaren Energien. Und für die Umsetzung eignet sich schließlich kein anderes Land der Welt besser als seine chinesische Heimat.

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