Hamburgs Jugendämter sind überlastet: „Eine Art Triage“
Hamburgs Allgemeine Soziale Dienste (ASD) senken Standards ab, weil sie zu viel zu tun haben. Hilfeplangespräche gibt es nur noch einmal im Jahr.
Den Anstoß hatte ein Papier vom 16. Dezember über „Maßnahmen zum Umgang mit der aktuellen Arbeitssituation“ gegeben, das die Jugendamtsleiter aller sieben Bezirke unterzeichnet haben. Sie hätten alles versucht, um ihre Ressourcen bestmöglich einzusetzen, heißt es darin. „Dies reicht jedoch nicht mehr aus, um den Kinderschutz dauerhaft zu gewährleisten.“ Als Gründe dafür nennen sie neue Aufgaben durch neue Gesetze und aufwendigere Fälle, verstärkt durch fehlende Plätze für die Kinder.
Darum sollen zunächst befristet bis Juli eine Reihe von „Standards“ nachrangig bearbeitet oder ausgesetzt werden. Gravierendster Punkt: Die Hilfeplangespräche, die laut Fachanweisung alle sechs Monate stattzufinden haben, soll es nur noch ein Mal im Jahr geben.
Doch diese Gespräche sind enorm wichtig etwa für Kinder, die außerhalb Hamburgs im Heim leben. Dort sitzen ein Jugendamtsmitarbeiter, das Kind, die Sorgeberechtigten und die Einrichtung zusammen und besprechen zum Beispiel, wie lange der Aufenthalt noch dauert oder wann ein Kind zur Schule gehen darf.
Jugendämter müssen für Schulplatz sorgen
Als kürzlich in Schleswig-Holsteins Bildungsausschuss das Thema der fehlenden Schulpflicht für auswärtige Heimkinder erörtert wurde, hatte die Ombudsfrau für Heimkinder, Samiah El Samadoni, moniert: „Das Problem ist, dass die Jugendämter sehr weit weg sind.“ Die Präsenz der Jugendämter aus anderen Bundesländern sei sehr gering. Sie treffe immer wieder auf Kinder, die keine Beziehung zu ihrem Heimat-Jugendamt haben. „Mir ist mal ein Kind begegnet, das steif und fest behauptet hat, es hätte gar kein Jugendamt.“
Aus einer Anfrage des schleswig-holsteinischen SPD-Abgeordneten Martin Habersaat geht hervor, dass im Land aktuell 392 Schüler aus anderen Bundesländern im Heim mit „anderweitigem Unterricht“ auf den Besuch einer Schule vorbereitet werden. Wie der Vorsitzende des Verbandes privater Träger der Kinder- und Jugendhilfe, Pierre Steffen, der taz unlängst sagte, dauert die Heimbeschulung bei den dort organisierten Einrichtungen „in der Regel selten länger als zwei Jahre“. Laut der Kieler Regierung läuft dieser Prozess „unter Federführung des entsendenden Jugendamtes“. Habersaat sagt nun: „Mir ist ein Rätsel, wie diese Federführung ohne persönlichen Kontakt und körperliche Anwesenheit funktionieren soll.“
Die Hamburger Linke wollte vom Hamburger Senat wissen, welche Auswirkungen es für die Betroffenen hat, wenn die Hilfeplangespräche nicht wie vorgeschrieben alle sechs Monate stattfinden. Der Senat antwortete ausweichend. Falle so ein Termin aus, sei das jeweils „eine Einzelfallentscheidung“. Dann erhalte die „ohnehin stattfindende Kommunikation“ mehr Gewicht. Nachteile für die Betroffenen ergäben sich daraus nicht.
Auf taz-Anfrage, ob die Reduzierung der Hilfeplangespräche auch Heimkinder betrifft, antwortete ein Sprecher der Hamburger Sozialbehörde vage, diese sollten so häufig stattfinden, wie es erforderlich sei. Die regelhaften Intervalle würden „gerade noch mit dem ASD abgestimmt“.
72 Überlastungsanzeigen seit 2021
Immerhin räumt der Senat auf die Linken-Anfrage ein, dass es seit 2021 72 Überlastungsanzeigen in den Jugendämtern gab. Die Arbeit werde aber „regelhaft ausgeführt“. Alles Verschobene werde nachgeholt. Kindeswohlgefährdungen seien von der Priorisierung ausgenommen. So sei der Kinderschutz „zu jeder Zeit“ gewährleistet.
Die Linken-Jugendpolitikerin Sabine Boeddinghaus ist enttäuscht von den Antworten. „Der Senat banalisiert und verharmlost die Situation.“ Ein Papier, in dem alle sieben Jugendamtsleitungen schreiben, der Kinderschutz sei nicht gewährleistet, müsse die Stadt „sehr ernst nehmen“.
Bereits kurz vor Weihnachten hatte die Gewerkschaft Ver.di vor Personalmangel bei Hamburgs ASD gewarnt. Das sei noch akut, sagte Ver.di-Sekretär Max Stempel nun zur taz. „Unseres Wissens sind etwa ein Fünftel der Stellen nicht besetzt.“ Ein Problem sei, dass die Nachbarländer den Fachkräften mehr Geld und freie Tage böten.
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