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Hamburgs Bezahlkarte für GeflüchteteLeben am Gängelband

Jan Kahlcke
Kommentar von Jan Kahlcke

Hamburg fügt mit seiner Social Card Geflüchteten maximalen Schaden zu – und setzt damit den Ton für die bundesweite Debatte.

Oft nur Barzahlung möglich: Mit der Social Card wird man im Sozialkaufhaus eher nichts

D ass Hamburg nach 2015 erneut nicht in der Lage ist, Geflüchtete menschenwürdig unterzubringen und auf Zelte setzt, kann man unprofessionell finden. Aber zumindest ist nicht nachweisbar, dass dahinter böse Absicht steckt. Anders bei der euphemistisch sogenannten Social Card: Die ist völlig ohne Not so konfiguriert, dass sie den Geflüchteten maximalen Schaden zufügt, aber gerade noch so verfassungskonform ist.

Durch die Begrenzung auf 50 Euro Bargeldabhebung im Monat führen Neuankömmlinge in Hamburg ein Leben am Gängelband. Ständig müssen sie überlegen, wo sie was kaufen, wie weit das Bargeld reicht, was sie mit der Karte bezahlen – und ob das Gebühren kostet. Und das in einem Land, das sie gerade erst kennen und verstehen lernen.

Einkaufsmöglichkeiten, auf die Geflüchtete mit ihren 185 Euro im Monat dringend angewiesen sind, wie Sozialkaufhäuser, Flohmärkte oder Kleinanzeigen, fallen fast völlig weg. Das karge Monatsbudget, ohnehin unterhalb des Existenzminimums, bietet Geflüchteten so für jeden Euro noch weniger Kaufkraft als anderen Armen.

Dass es auch anders geht, hätte Hamburg beim Blick nach nebenan sehen können: Auch Hannover wollte seine Verwaltung von der Bargeldauszahlung entlasten und hat die Social Card eingeführt, kommt dabei aber ohne Bargeldbeschränkung aus. Die ist reine Schikane und verfolgt den einzigen Zweck, Geflüchtete abzuschrecken.

Menschen zweiter Klasse

Überdeutlich wird das daran, dass Hamburg Asylsuchenden auch dann ihr Geld nur auf die Plastikkarte zahlen will, wenn sie längst ein eigenes Konto haben, etwa weil sie Arbeit gefunden haben. Das Signal ist: Ihr könnt euch anstrengen, wie ihr wollt, ihr seid – und bleibt – hier Menschen zweiter Klasse. Es wirkt auch in die Gesellschaft hinein.

Dass Hamburg mit dieser restriktiven Regelung als erstes Land vorprescht, ist beschämend. Und es ist politisch gefährlich. Denn damit setzt der vermeintlich liberale Stadtstaat den Ton für die bundesweite Debatte. Wenn nicht nur ein paar Landräte in der thüringischen Provinz die Bezahlkarte missbrauchen, um Geflüchtete zu drangsalieren, sondern das rot-grüne Hamburg – wie sollen andere Länder dann Skrupel entwickeln?

Beschämend ist auch, dass die Behörden in Hamburg so eine gravierende Einschränkung durchziehen können, ohne dass das Parlament etwas mitzureden hätte. In Schleswig-Holstein etwa gab es eine leidenschaftliche Debatte im Landtag – ein Jahr bevor die Karte kommt.

Die Grünen scheinen froh, dass sie sich nicht selbst die Hände schmutzig machen müssen

Hamburgs SPD hat die Schikanen gegen die Schwächsten sogar offensiv bejubelt. Die Grünen scheinen ganz froh, dass sie sich nicht selbst die Hände schmutzig machen müssen. Sie haben schließlich schon für viel weniger Koalitionskräche vom Zaun gebrochen, wegen ein bisschen Elbschlick oder ein paar Metern Brückenhöhe.

Eine offene Debatte in der Bürgerschaft wäre das Mindeste gewesen. Dabei wäre vielleicht auch deutlich geworden, bei wem rassistische Ausgrenzung zum politischen Markenkern gehört – und wer nur auf der Zeitgeistwelle mitschwimmt.

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Jan Kahlcke
Redaktionsleiter
Jan Kahlcke, war von 1999 bis 2003 erst Volontär und dann Redakteur bei der taz bremen, danach freier Journalist. 2006 kehrte er als Redaktionsleiter zur taz nord in Hamburg zurück
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14 Kommentare

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  • taz: "Überdeutlich wird das daran, dass Hamburg Asylsuchenden auch dann ihr Geld nur auf die Plastikkarte zahlen will, wenn sie längst ein eigenes Konto haben, etwa weil sie Arbeit gefunden haben. Das Signal ist: Ihr könnt euch anstrengen, wie ihr wollt, ihr seid – und bleibt – hier Menschen zweiter Klasse."

    Im Hamburg achtet man eben streng darauf, dass die Geflüchteten mit ihrem "horrenden Geld" (185 €), was sie vom deutschen Staat bekommen, nicht auch noch ihre Familien in der Heimat versorgen - deshalb bekommen sie ja auch kein Bargeld. Wer hat sich so einen Unsinn in Hamburg eigentlich mal wieder ausgedacht? Ach ja, die Politiker von der "sozialen" SPD, die wir mit Steuergeldern gut durch ihr Leben schleppen und die sich gar nicht vorstellen können, wie demütigend so eine Social Card ist, da sie ja auch mit Karte bezahlen, aber wohl nur mit der 'American Express Platinum Card'.

    Warum regen wir uns eigentlich immer über die CDU/CSU und der AfD auf? Die SPD macht doch auch nur noch konservative und rechte Politik. Mal schauen, wann die Bürgergeldempfänger auch so eine Karte bekommen, damit man sie besser überwachen und noch mehr demütigen kann. Die CDU hat ja schon diesen "Vorschlag" gemacht.

    ***Bezahlkarte auch bald für Arbeitslose?*** www.youtube.com/shorts/kdtug0HirdU

  • 185 Euro pro Geflüchteten sind vielleicht sogar weniger als die Pro-Kopf-Verwaltungskosten der Bezahlkarte.

    (Eventuell übertrieben - aber wer übertreibt hier wirklich?!)

    In den 90er Jahren organisierten Bekannte von mir den Umtausch von Geflüchteten-Gutscheinen in Bargeld.

    Menschlichkeit und wertegebundenes Handeln sind leider nicht mehr von den Parteien zu erwarten - sondern nur noch von der Bevölkerung.

    Es liegt also an uns.

    In diesem Sinne: Vielen Dank für den treffenden Kommentar!

  • Hallo,



    krass zu hören das Fördern und Wohnen HH bei Geflüchteten GELD für die Waschmarken abkassiert!

    Die Regelsatzanteile für Haushaltsenergie, Verbrauchsgüter des Haushalts und für Hausrat (hier also Strom, Warmwasser und Waschmaschine) sind nämlich aus den AsylbLG-Beträgen bereits bundesgesetzlich rausgestrichen worden, da sie von der Unterkunft zu erbringen sind.

    Daher ist es - völlig unabhängig von der Bezahlkarte - schlicht rechtswidrig, Asylbewerbern Waschmarken zu verkaufen.

    Diese Leistung ist vielmehr einschließlich des Waschpulvers - ebenso wie Putz- und Reinigungsmittel und -gerät, Möbel, Bettzeugs, Handtücher, Kochgerät, Duschen, Strom usw. - für die Bewohner kostenfrei von der Unterkunft zu erbringen.

    Übelst, wenn in HH sogar ein quasi staatlicher Träger Geflüchtete derart betrügt !

    Ausführlich zum Nachlesen: fluechtlingsrat-be...asylblg_verfassung

  • Was mit der Bezahlkarte von politischer Seite wirklich bezweckt wird, veranschaulicht der Artikel sehr gut. Wer Asylsuchenden, die über ein eigenes Konto verfügen und einen Zuverdienst erhalten, das "Zugriffsrecht" auf diesen Verdienst verweigert und stattdessen über die Bezahlkarte den Zugriff auf maximal 50 € Bargeld begrenzt, hat sich selbst entlarvt und bestätigt damit, dass die ganzen Argumente pro Bezahlkarte, wie geringerer Verwaltungsaufwand, nur vorgeschoben wurden. Das ist scheinheilig und beschämend.

    • @Sam Spade:

      Habe den Artikel anders verstanden: Jene mit eigenem Konto bekommen ihre 185 Euro nicht auf dieses überwiesen sondern müssen es weiterhin über die Bezahlkarte ausgeben. Davon, dass auf den Zuverdienst nur über die Karte zugegriffen werden kann, steht dort nichts. Das ergäbe auch wenig Sinn, da er auf dem eigenen Konto ist.

      • @Trollator:

        Nach nochmaliger Lektüre habe ich es jetzt auch verstanden. Ändert an meiner Grundeinstellung zum System Bezahlkarte jedoch wenig.

    • @Sam Spade:

      Ich verstehe das Problem nicht ganz. Wenn Asylsuchende über ein eigenes Konto verfügen, etwa weil sie Arbeit gefunden haben, dann bekommen sie den Lohn für ihre Arbeit doch vom jeweiligen Arbeitgeber auf dieses Konto überwiesen und nicht vom Land Hamburg. Und eigentlich müssten sie vom Geldinstitut, bei dem sie das Konto unterhalten, auch eine Karte für dieses Konto bekommen, mit der sie das jeweils dort vorhandene Guthaben am Automaten abheben können. Es kann in diesem Fall also eigentlich nur um jene Beträge (über 50€) gehen, mit denen das Land Einkommen evtl. noch aufstockt.

    • @Sam Spade:

      ... und dem rechtslastigen Trend fröhnt.Schamlos!!!

  • Als "ökologisch, sozial, basisdemokratisch und gewaltfrei" gingen die Grünen einst als Partei an den Start. Nun werden sie immer unsozialer, kapitalfreundlicher und kriegsbegeisterter.

    Wenn ich mir die Politik des Hamburger Senats so anschaue denke ich erst immer, dort regiert schwarzgelb.

    • @stadtlandmensch:

      Als „kriegsbegeistert“ lassen sich eher AfD und BSW einordnen, die Initiatoren von imperialistisch motivierten Angriffskriegen durch Landgewinn honorieren wollen.

  • Die Aufnahme von flüchtenden Menschen und deren finanzielle Unterstützung über eine elektronische Karte ist = maximaler Schaden! ? 🤔

  • Wenn in Hamburg die AfD oder die CDU regieren würde, wäre das ja "normal" für solche Zustände. Aber es regiert die SPD gemeinsam mit den Grünen.

    Die Unterschiede zwischen den Parteien werden immer geringer.

  • Hamburg war, seit ich hier lebe (25 Jahre), wenig liberal. Privatisierung, Umgang mit Linken. Die Meinung seiner Bürger interessiert den Senat kein Stück. Hamburg und der Hanseat an sich, hält sich für liberal, ist aber stockkonservativ, auf bayrischem Niveau. Daher passt dieser Umgang sehr gut zur Stadt und ihrem Selbstverständnis, wer nicht hier mindestens in sechster Generation lebt, ist weniger wert als die anderen.

    • @Lars Kreimendahl:

      😂 Interessant zu lesen - die wenigen Male wo ich mehr als nur beruflich in Hamburg war dachte ich mir jedes Mal: 'was für ein großes Dorf'... - so richtigen Großstadtflair hab ich dort trotz Hafen, Reeperbahn etc nie empfunden.



      Das erinnert mich eins zu eins an München, meine Stadt des groß werdens. Da wurde auch immer darauf bestanden ach so liberal und 'besser' zu sein als die ganzen 'Kuhbauern' im weiten Drumherum, aber warst du kein Alteingesessener sondern nur "Zugereister" - also innerbayrisch oder maximal innerdeutsch - dann hast du das auch unterschwellig stets zu spüren bekommen...