Hamburger Studie zu trans*Menschen: Von der Pandemie schwer getroffen
Gesundheitsrisiken, Leidensdruck, Gewalt: Laut einer Studie des Klinikums Hamburg-Eppendorf sind trans* Menschen durch Corona besonders gefährdet.
Andreas Köhler promoviert am Interdisziplinären Transgender Versorgungscentrum des UKE und hat – zusammen mit zwei weiteren Mediziner*innen – die Studie über die Auswirkungen von Covid-19 auf die trans* Community durchgeführt. Er sagt, die Pandemie gefährde auch in Hamburg trans* Menschen ganz besonders: „Die Ergebnisse unserer Studie sehen wir auch hier im Umkreis bestätigt.“
Das Transgender Versorungscentrum, bis heute einzigartig in Deutschland, und die mit ihm verbundene Ambulanz seien auch während der Pandemie in ständigem Kontakt zu den betreuten trans* Personen gewesen. „Bei vielen kamen Unsicherheiten auf“, sagt Köhler, „darüber, ob sich die Behandlungen verzögerten, ob bestimmte Hormonpräparate nicht mehr erhältlich wären oder ob Operationen verschoben würden.“ Manche Befürchtungen seien berechtigt gewesen: Einige Operationen habe man tatsächlich verschieben müssen, da sie nicht zu den sogenannten „dringend notwendigen Operationen“ zählten. Auch geschlechtsbestätigende Operationen für trans* Menschen seien davon regelhaft betroffen gewesen.
Dass solche Operationen allerdings lebensrettend sein können, legen Statistiken zu Suizidalität und trans* Identität nahe: Auf der Pressekonferenz zum Welttag der Suizidprävention in Berlin wurden 2019 Statistiken aus Deutschland präsentiert, nach denen junge trans* Menschen einem fast sechsmal höheren Suizidrisiko ausgesetzt sind als andere Gleichaltrige.
5.267 trans* Personen aus 63 Ländern nahmen an der Umfragen-basierten Studie teil.
Als Risikopatient*innen gelten mehr als 50 Prozent der teilnehmenden trans* Personen.
Starke Einschränkungen beim Zugang zu wichtigen trans*-spezifischen Gesundheitsdienstleistungen erfuhren ebenfalls 50 Prozent der Teilnehmer*innen.
Aufgrund von Diskriminierungsbefürchtungen tendierten die Teilnehmer*innen dazu, medizinische Tests und Behandlungen von Covid-19 zu vermeiden.
Köhler bestätigt, dass trans* Menschen vermehrt unter Angst- und Depressionssymptomen leiden. Ein Auslöser dessen kann Körperdysphorie sein, ein Leidensdruck, der durch die Nichtübereinstimmung von körperlichen Merkmalen und Geschlechtsidentität verursacht wird. Das verbreitete Verständnis von geschlechtsangleichenden Operationen als rein „kosmetischer Eingriff“ wird dem nicht gerecht.
Cornelia Kost ist Psychotherapeutin und arbeitet für die Hamburger Beratungsstelle der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (DGTI). Sie kann die Ergebnisse der UKE-Studie bestätigen: „Während der beiden Lockdowns haben wir jeweils eine ungewöhnliche Zunahme an Anfragen wahrgenommen.“ Vor allem im zweiten Lockdown sei die Nachfrage um 21 Prozent gestiegen.
Besonders junge trans* Menschen leiden Kost zufolge unter der Pandemie. Alltagsstrukturen wie Schule oder Arbeit hätten zuvor Ablenkungen geschaffen, die den Umgang mit der eigenen trans* Identität erleichterten: „Durch den Lockdown kumulieren sich Konflikte mit dem eigenen, oftmals heteronormativen Umfeld“, sagt Kost.
Dass nun vielfach ganze Familien gleichzeitig zu Hause seien, erschwere Experimente am eigenen Geschlechtsausdruck. Vielmehr eskalierten familiäre Situationen häufiger: „Solche Konflikte potenzieren sich durch Corona und Lockdown“, sagt Kost. Eine Folge: vermehrt selbstverletzendes Verhalten oder auch Essstörungen bei den Betroffenen.
Als weitere gefährdete Gruppe nennt Kost trans* Sexarbeiter*innen. Das deckt sich mit Ergebnissen der UKE-Studie. „Wir hatten immer wieder Leute, bei denen die Wohnsituation an die Arbeit gekoppelt war“, so Kost: „Manche leben in den Hotels, in denen sie arbeiten. Die haben auf einen Schlag ihr Obdach verloren.“
In einer Publikation über die „Benachteiligung von Trans*Personen“ im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes heißt es, dass Sexarbeit insbesondere für trans* Frauen eine wichtige Einnahmequelle darstelle. Kost sagt, dass trans* Frauen mittlerweile in fast jedem Berufsfeld vorkommen. Nichtsdestotrotz seien es vielfach trans* Frauen ohne sicheren Aufenthaltsstatus, die explizit für Sexarbeit nach Deutschland geworben würden. Dadurch seien sie nicht nur besonders hohen Gesundheitsrisiken ausgesetzt, sondern würden eben auch besonders hart von Repressionen wider die Sexarbeit getroffen. Deren Verbot als Teil der Corona-Eindämmung bedeutete daher für viele migrantische trans* Frauen Arbeitslosigkeit – oder die Flucht in die Illegalität. „Trans* Frauen landen in der Geschlechterhierarchie leider ziemlich weit unten“, schließt Kost.
Domicila Roberta Batista ist trans* und wohnt seit 2001 in Hamburg. Zuvor lebte sie in Espírito Santo in Brasilien. „Ich bin aber keine Heilige!“, sagt sie lachend. Bis vor zwei Jahren habe sie selbst noch als Sexarbeiterin gearbeitet. Kritisch sei die Pandemie vor allem für diejenigen, die auf der Straße arbeiten. „Für die am Steindamm oder in der Schmuckstraße war es schwer, die konnten die Arbeit nicht machen. Es war verboten. Die Polizei war immer da“, so Batista. Wenn sie über diese anderen rede, rede sie indirekt immer auch über sich selbst: „Ich arbeite zwar nicht mehr, aber ich gehöre weiterhin zu ihnen. Wir gehen zu den gleichen Beratungsstellen, zum Beispiel ‚Sperrgebiet‘.“
Seit Beginn der Pandemie habe sie vermehrt Gewalt erfahren, erzählt Batista: physisch, aber „auch verbale Gewalt über Chatrooms.“ Auch andere trans* Frauen seien davon betroffen. Hassrede, Mobbing – das alles habe zugenommen. „Leute sprechen mich mit meinem alten Namen an, nennen mich ekelhaft.“
Warum sich das mit Corona noch verschlimmert habe, sei ihr nicht klar. Es verdeutliche aber, dass Menschen wie sie in Deutschland nicht gleichberechtigt sind: „Ich wünsche mir von der Politik mehr Sicherheit und vor allem mehr Chancen.“ Für Batista verschließt die breite Öffentlichkeit die Augen vor den Problemen von trans* Menschen. Politisch hofft sie auf einen Blick für das Ganze statt nur auf einige repräsentative Einzelne: „Viele glauben, Transsexuelle seien alle gleich. Aber es gibt nicht nur die eine transsexuelle Person.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Krieg in der Ukraine
Russland droht mit „schärfsten Reaktionen“
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken