Hamburger Schule: Kein Schnee von gestern

Ein Buch, ein Album und sogar ein Dokfilm widmen sich der Hamburger Schule aus den 1990ern. Diese Historisierung ist nicht altbacken, sondern wichtig.

Alte Aufnahme der Band Tocotronic.

Tocotronic bei einem Konzert in Hamburg 1995 Foto: Stefan Malzkorn/imago

Das haben sich die Jugendlichen selbst aufgebaut. Ein Satz wie eine pädagogisch wertvolle Bastelanleitung. Die Zeile stammt aus dem Songtext „Let there be Rock“ von Toco­tronic, einem Song, der in seinem hymnenhaften Text lediglich das Dasein als semiprominenter Indierockstar ironisch aufspießt.

Wie zwei Handvoll weitere gehört auch Tocotronic zur sogenannten Hamburger Schule. Mit dieser Bezeichnung hat der damalige taz-Redakteur Thomas Groß Bands und Künst­le­r:In­nen jener ab 1988 bis zur Jahrtausendwende wirkenden Musikszene in der Hansestadt zusammengefasst.

Was als loser Zusammenhang begann, meist auf Deutsch textete und weitgehend selbstständig schräge Postpunk-Musik veröffentlichte, hat weit über die Hamburger Stadtgrenzen hinaus im deutschsprachigen Raum Eindruck hinterlassen. Egal ob Wiedervereinigung oder Geschlechterkampf, ob künstlerisch mit Do-it-Yourself-Erfindungsgeist ausgedrückt oder durch arrogante Popstarallüren – es gab nichts, was in dieser Musikszene zwischen Sankt Pauli und Schanzenviertel nicht kritisiert, musikalisch wirkungsvoll eingebettet worden wäre.

Debatte nach Freischaltung

Schnee von gestern? Mitnichten! Was nun in Buchform, auf Albumlänge in einer Compilation und sogar von einer zweiteiligen Dokumentation im Öffentlich-rechtlichen Fernsehen historisiert wird, ist immer noch lebendig. Das zeigen schon die Debatten, die begannen, sobald der NDR-Dokumentarfilm in der Mediathek des Ersten freigeschaltet wurde.

Wie schon in den 1990ern sind diese Hamburger Künst­le­r:In­nen zugleich ihre schärfsten Kri­ti­ke­r:In­nen – und streiten sich heute so leidenschaftlich über ihre Bedeutung, wie sie damals kreativ zu Werke gegangen sind.

Interessant ist auch die Tatsache, dass die Initiativen für Buch, Album und Dokumentarfilm aus der Hamburger Musikszene selbst kamen und trotz aller kommerzieller Ausschlachtung von den Künst­le­r:In­nen eng und kritisch begleitet werden. Und weil aus der kreativen Ursuppe von einst längst pfiffige Showprofis geschlüpft sind, ist diese Nabelschau auch für Außenstehende unterhaltsam.

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Julian Weber, geboren 1967 in Schweinfurt/Bayern, hat Amerikanische Kulturgeschichte, Amerikanische Literaturwissenschaft und Soziologie in München studiert und arbeitet nach Stationen in Zürich und Hamburg seit 2009 als Musikredakteur im Kulturressort der taz

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