piwik no script img

Hamburger Prozess wegen FrauenmordesAffekttat oder Femizid?

Juliet H. wurde von ihrem Ex-Mann mit 50 Messerstichen getötet. Anfangs war er nur wegen Totschlags angeklagt – sie hätte mit Gewalt rechnen müssen.

Protest vor dem Gerichtsgebäude: Aktivist*innen sprechen von Femizid Foto: Miguel Ferraz

Hamburg taz | Ursprünglich war Marc-Michael H. nur wegen Totschlags angeklagt. H. hatte im Dezember 2018 seine ghanaische Ex-Partnerin Juliet H. mit 50 Messerstichen im Gesicht, Brust und Halsbereich getötet. Am vorletzten Prozesstermin entschied sich die Hamburger Staatsanwaltschaft am Mittwoch dann anders. Sie plädierte, wie auch die Anwälte der Nebenkläger*innen, auf lebenslange Haft – wegen Mordes. Das Urteil sollte am Donnerstag fallen.

Unter dem Motto „Touch one – touch all! #keinemehr“ demonstrierten rund 130 Menschen vor dem Landgericht und bezogen sich dabei auf den gestrigen Panafrikanischen Frauentag. Für sie ist die Tat klar zu definieren: Ein Femizid, also ein Mord aufgrund des weiblichen Geschlechts. Doch das gibt es im deutschen Recht nicht.

Bereits 2017 hatte Marc-Michael H. versucht, seine Frau umzubringen. Er bedrohte Juliet H. mit einem Elektroschocker. Daraufhin flüchtete die 42-Jährige aus der bis dahin gemeinsamen Wohnung in Hamburg-Jenfeld in ein Frauenhaus. Die beiden trennten sich und Juliet H. zog mit ihren vier Kindern in eine andere Wohnung.

Laut Staatsanwaltschaft handelte der Angeklagte aus „kaltem Zorn, kalter Wut“, weil die gemeinsame Beziehung gescheitert war. Schuld daran trägt für H. nur seine Ehefrau Juliet; sie sei fremd gegangen und hatte keine Dankbarkeit ihm gegenüber gezeigt. Das löste bei H. Aggressionen aus, die zu Tötungsfantasien gegenüber seiner Frau führten. So schilderte es ein Gutachter vor Gericht.

Mordmerkmal der Heimtücke

Mehrmals hatte sich der Angeklagte wegen Depressionen in psychiatrische Einrichtungen eingewiesen. Er sei nicht mit der Trennung klargekommen und damit, dass er seine Kinder nur noch an den Wochenenden sehen konnte, sagte er vor Gericht. Die Staatsanwaltsschaft sieht deshalb keine niederen Beweggründe, aber: „Er hat die Geschädigte heimtückisch getötet“, sagte der Staatsanwalt. Marc-Michael H. habe die Arglosigkeit und Wehrlosigkeit der Getöteten ausgenutzt. Bei diesen Worten schüttelt der Angeklagte im Saal seinen Kopf.

Nach Darstellung seiner Verteidigerin hingegen war Juliet H. nicht arglos: Sie habe von den psychiatrischen Aufenthalten ihres Ex-Mannes gewusst als sie das Frauenhaus verlassen habe. „Sie musste damit rechnen, dass Marc-Michael H. eifersüchtig werden würde“, sagte die Verteidigerin Anke Marten-Enke. Sie plädierte auf weniger als zehn Jahre Haft wegen Totschlags.

Marc-Michael H. selbst sagte aus, seine Arme hätten sich bei der Tat alleine bewegt, wie ein Reflex. Er könne sich nicht mehr vollständig an den Tathergang erinnern.

Die Geschehnisse des Todestags Juliet H.s schilderte er dem Gericht so: Am frühen Morgen des 5. Dezember 2018 habe er sich auf den Weg zu der Wohnung seiner Ex-Frau gemacht. Zuvor habe er den Wohnungsschlüssel der ältesten Tochter entwendet. „Um die morgendlichen Abläufe nicht zu stören“, so H., habe er zunächst im Treppenhaus gewartet. Es war ein Mittwoch außerhalb seiner Besuchszeit der gemeinsamen Kinder. Als Grund für seinen Besuch nannte H. sein Tablet, das sich in der Wohnung befand und das er abholen wollte.

Sohn entdeckte die Leiche

In der Wohnung sei es zu einem Streit über den neuen Lebensgefährten von Juliet H. gekommen. Sie habe ihm gesagt, er sei kein richtiger Mann. Das habe der Angeklagte als sexuelle Beleidigung aufgefasst. Im weiteren Verlauf des Wortgefechts sei das Klappmesser von Marc-Michael H. aus der Tasche gefallen. Damit stach er 40 bis 60 Mal auf Juliet H. ein.

Der elfjährige Sohn fand am Nachmittag die Leiche seiner Mutter im Schlafzimmer. Wenig später wurde der Angeklagte festgenommen und gestand seine Tat. H. sagte aus, er habe noch auf dem Bett gesessen und getrauert. Danach habe er sich die Hände gewaschen und sei in Richtung Reeperbahn gegangen, wo er sich erst etwas zu essen geholt und anschließend einen Film geschaut habe. Auf dem Weg ließ Marc-Michael H. die Tatwaffe, sein Klappmesser, verschwinden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

17 Kommentare

 / 
  • 9G
    94066 (Profil gelöscht)

    Deutschland sollte anderen Ländern folgen und den Straftatbestand des Femizits einführen. Affekttat , Beziehungstat , Sexualmord, Mord aus...etc. bilden nicht alle Dimensionen solcher Taten wie oben ab: in der Regel sind es nicht Frauen, die ihre Ehemänner, Exfreunde, Väter, Brüder oder Onkel töten oder vergewaltigen sondern umgekehrt. Bei solchen Taten spielen narzistische Kränkungen (die sich auf eine nahe Frau oder Frauen im allgemeinen richten), pathologische Eifersucht, mangelnde Impulskontrolle und mangelnde Einsichtsfähigkeit, die in Vernichtungswünsche münden, eine zentrale Rolle. Zum Beispiel auch Serienmörder ermorden in der Regel Frauen. Hinzu kommt die Überzeugung, über die andere verfügen zu dürfen (z.B. auch im Namen der Familienehre) und die Überzeugung, dass die Frau keine Existenzberechtigung hat, wenn sie ein eigenes Leben führt (bei nahen Beziehungstaten). Diese Melange richtet sich im Alleinstellungsmerkmal gegen Frauen und nicht gegen Männer . Frauen mögen durchaus ähnliches empfinden, sie töten aber in der Regel nicht ihre Männer , Brüder, Exfreunde etc.. . .... angesichts des Trauerspiels in der deutschen Justiz, was die Verurteilungsquoten bei Vergewaltigungsanklagen betrifft, ist aber nicht zu erwarten, dass sich da etwas ändern wird.



    Und die Anmerkung der Verteidigerin ist natürlich beschämend der Toten gegenüber.

  • Für mich klingt das nach einer Beziehungstat.

    Der Täter hat das Opfer ganz offensichtlich nicht deshalb umgebracht, weil das Opfer eine Frau war. Der kausale Zusammenhang ist doch nicht das Geschlecht sondern die Partnerschaft (und die damit einhergehenden Probleme). Damit scheidet ein "Femizid" bereits von der Definition her aus.

    • @DiMa:

      Der Begriff "Femizid" referiert nicht auf Genozid, sondern auf Homizid - also Mord oder sog. Totschlag.



      Die offensichtliche Asymmetrie in dem von Ihnen bevorzugten Modus von "Beziehungstaten" entspricht einer strukturellen Systematik, die ohne patriarchales Überlegenheitsdenken und sog. toxische Maskulinität schlicht nicht erklärbar ist. Eine (einfache) "Kausalität" allein der Partnerschaft würde ein ausgewogenes Verhältnis der Straftaten aller Geschlechter implizieren - oder nicht?

    • 9G
      94066 (Profil gelöscht)
      @DiMa:

      der Begriff „Beziehungstat“ ist problematisch, letztlich sagt er nur aus, dass eine Beziehung bestand. Eine Beziehungstat ist auch, wenn ich eine nahestehende Person ohrfeige. Für Mord ist die Wahl dieses Begriffs euphemistisch. Es ist kein Zufall, dass dieser Begriff sich bei Morden oder Totschlag durchgesetzt hat, die in der Regel Frauen betreffen. Der Begriff Femizid hat nichts mit Anlehung an Genozid, Suizid, Pestizid, Insektizid zu tun, sondern ist eine Ableitung: Femina=lat. Frau, zid = abgeleitet aus dem Partizip Perfekt cecidi =tötend, vernichtend des Verbs caedere

      • @94066 (Profil gelöscht):

        Nein, es liegt kein Euphemismus vor. Eine Beziehungstat hat halt einen recht breiten Spielraum. Dieser Spielraum entspricht dem möglichen Agressionspotenzial, welches sich in Beziehungen ergeben kann.

        Das disquotale Verhältnis von Tötungsdelikten innerhalb von Partnerschaften gab es in der Gesellschaft schon immer. Auch die Hintergründe dazu sind bekannt, Hierfür braucht es keinen neumodischen Begriff (zumal mit einer vollkommen falschen Definition).

  • Es war doch ein Mord soviel ich mitbekommen habe. Weder eine an den Begriff Genozid angelehnte Tat, noch ein reiner Affekt.

  • Juliet H. wurde getötet. Sie war eine Frau. Aber nicht für Marc-Michael H. Für den war sie kein Mensch. Sie war sein Eigentum. Ein Mensch war Juliet H. für die Aktivist*innen. Aber nur, weil die eine Frau brauchten, die stellvertretend für alle Frauen stehen kann, für sie als Aktivist*inne sprechen wollen.

    Ich weiß, das klingt jetzt erst mal kompliziert. Ist es aber auch. Menschen haben nicht nur eine Identität. Sie haben viele Identitäten. Solche, die sie sich selbst aussuchen und solche, die andere für sie wählen.

    Nun sind aber viele Menschen dermaßen autoritär geprägt, dass sie sich weder vorzustellen wollen noch vorstellen können, dass jemand oder etwas nicht so ist, wie sie ihn oder es wahrnehmen. Für Marc-Michael H. ist offenbar bis heute nicht erkennbar, dass seine Frau nicht das war, was er in ihr gesehen hat. So wenig, wie für die Aktivistinnen.

    Und was war Juliet H. für die Verteidigerin von Marc-Michael H.? Die ist ja immerhin, nun ja, auch eine Frau. Müsste sie sich nicht solidarisieren mit den Aktivistinnen? Oder doch wenigstens mit der Frau ihres Klienten? Nein, muss sie nicht. Denn diese Frau muss sich vor allem selber schützen. Sie kommt ganz offensichtlich anders nicht zurecht. Indem sie öffentlich und gegen Geld erklärt: "Juliet H. war selbst schuld", sagt sie auch „Mir kann so was nicht passieren“. Nur sagt sie das leider nicht laut.

    Woher ich das weiß? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass erst dieser Gedanke Anke Marten-Enke davor bewahrt, umgehend im Boden zu versinken vor lauter Scham darüber, Geld anzunehmen von einem Mann, der keinerlei Unrechtsbewusstsein hat und sich zu allem Überfluss auch noch als eigentliches Opfer inszeniert.

    Man kann das Sportsgeist nennen, was manche Jurist*innen so treiben. Man kann sich aber auch bloß übergeben. Identitäten sind ja doch relativ frei wählbar.

  • Warum soll das ein Femizid sein?



    Wenn „nur“ eine Frau ermordet wird, müsste zumindest diese Frau stellvertretend für alle Frauen stehen und das der wesentliche Grund der Tat sein (Frauen zu vernichten) und keine individuellen weitere „Gründe“ geben. Bei Mehrfachtätern bzw. Serientätern ist ggf. die individuelle Beziehungskomponente sekundär und eine Frau wird stellvertretend für alle Frauen ermordet.

    • @Andi S:

      Hauptsache immer schön und ignorant patriarchale Deutungshoheiten ausleben - gelle? Und das passt ja auch so hervorragend zum Thema!

      "Das Wort Femizid wird auch in einer allgemeineren Bedeutung für jegliche Gewalt an Mädchen und Frauen mit Todesfolge unabhängig von der Motivation verwendet."

      Aber "intelligenter" ist natürlich, wenn Männer bestimmen, was wann wie und warum benannt werden darf - das passt auch viel besser ins "System", wenn die Tätergruppe bis zum bittersten Ende dominieren darf!

      • @blinde kuh:

        Die von Ihnen zitierte und vertretene Definition macht die Sache nicht besser. Damit wären beispielsweise die Herren Amri und Breivik mehrfache Femicider obwohl sie zum Zeitpunkt der jeweiligen Taten das Geschlecht ihrer Opfer nicht erkannt haben dürften. Es dürfte jedenfalls nicht ausschlaggebend gewesen sein.

        Sorry, für mich klingt Femicide genauso nach neuamerikanischem Quatsch wie queer und dyke.

        Wenn Frauen wegen ihres Geschlechts umgebracht werden (was in den wenigsten Fällen hierzulande das Motiv sein dürfte) dann ist das halt ein Motiv für einen Mord, Totschlag oder Körperverletzung mit Todesfolge. Dafür braucht es keine Änderung des Strafgesetzbuches.

        Ich bin gespannt, wann die Worte "raceicide" oder "gayicide" in Mode kommen werden.

      • @blinde kuh:

        @Blinde Kuh:



        Sehr nett von Ihnen mal gleich in Pauschalisierungen abzugleiten. Sagt so einiges aus über Sie aus.



        Vielleicht ist Ihnen ja aufgefallen das ich nach der Einstufung als Femizid gefragt habe und nicht Grundsätzlichen Femizide in Frage gestellt habe.



        Vielleicht wäre eine inhaltliche Diskussion ja möglich bzw. Sie könnten ja auch Ihre Sachmeinung zu dem Fall abgeben. Nur darauf zu verweisen, dass ich ein Mann bin, ist halt zu wenig.



        PS: Ich habe mich mal noch ein wenig weiter eingelesen und auch die Beurteilung als Femizid wäre möglich. Interessant wäre zu wissen, wie Sie den Fall einstufen.

        • @Andi S:

          Ihre Frage war rhetorisch - denn Sie haben Sie sich ja auch gleich selbst beantwortet (ohne weitere Fragezeichen).



          Das Zitat in meiner ersten Antwort ist bereits umfänglich und findet meine uneingeschränkte Zustimmung (sonst hätte ich es nicht zitiert).



          Inwiefern es "Diskussionsbedarf" zu dieser übersichtlichen Definition geben sollte, erschließt sich mir nicht wirklich.



          Da es auch patriarchale Frauen und feministische Männer gibt, ist Ihre männliche Opferrolle hier nicht einmal auf Ihr persönliches Geschlechtsempfinden zurückführbar - es geht um Ihre Attitüde, Dinge in den Raum zu werfen, ohne sich wenigstens mal vorher informiert zu haben.

          • @blinde kuh:

            Ein Femizid, in Ableitung des Begriffes Genozid muss die Gruppe der Frauen als Angriffsfläche haben, nicht die Ex-Frau, nicht eine einzelne Person. Der Täter müsste alle Frauen am liebsten tot oder geschädigt sehen.

            • @Hampelstielz:

              Ich denke, dass es hier um Begriffklauberei geht. Femizide meint meinem Verständnis nach nicht, dass das Ziel ein Genozid an allen Frau das Tatmotiv sein muss, sondern, dass es um spezifische Gewalt geht, die Frauen* und Mädchen aufgrund ihrer Zugehörigkeit/Anrufung als Frauen* und Mädchen betrifft.



              In diesem Sinne ist das ja sehr deutlich und klar, denn die Art des Mordes passt ganz klar in patriarchale und männliche Gewalt. Und daher kann man dann womöglich noch den Begriff Femizid infrage stellen, aber meiner Meinung nach ist "Femizid = Genozid an Frauen" auch ein falsches Verständnis des Begriffs, sondern es geht um geschlechtsspezifische Gewalt und Morde an Frauen* und Mädchen*, die ganz klar in männliche Gewaltmuster fallen.

              • @Maxi Mum:

                Von wem oder was war der Täter denn Patriarch? Welche Familie war ihm untergeben und hat seinen Willen durchgesetzt? Welche Gesellschaftsordnung legt es Männern nahe, dass sie Frauen unterdrücken oder wie im alten Testament züchtigen sollen?



                Die Tat war ein Mord, ein System steckte nicht dahinter. Das mag in anderen Ländern und in anderen Familien noch so sein, im vorliegenden Fall aber nicht. Der Mann ist ein isolierter fehlgeleiteter Mann, der nicht umsonst in psychiatrischer Behandlung war.



                Keine "Familienehre", kein Tabu und keine gesellschaftliche Norm haben diese Tat befeuert. Somit passt die Definition eines Femizids einfach nicht.

            • @Hampelstielz:

              Der Begriff Femizid ist abgeleitet vom Englischen homicide, also Mord an einem Menschen. Die Bezeichnung trat also zuerst im Englischen als femicide auf und steht für Mord an einer Frau. Es soll aber verdeutlichen, dass die Ermordung von Frauen systematisch ist und durch die Herrschaftsstrukturen in unserer Gesellschaft kommt.

              • @Lindarie:

                Ich finde das wird in diesem Fall ganz besonders deutlich, wenn die VerteidigerIN (sic!) sagt: "Sie hätte mit Gewalt rechnen müssen".



                Klar, als Frau..... wenn der Ehemann sich beleidigt fühlt...



                Wären die Geschlechter hier zwischen Täter und Opfer umgekehrt, glaube ich kaum, dass so ein Argument angeführt worden wäre.