Hamburger Debatte um Nahverkehr: U-Bahn dauert zu lange
Um das Klimaziel zu erreichen, sollte Hamburg fünf Straßenbahnlinien bauen, fordert eine Studie der Linken. Die geplante U-Bahn sei weniger effektiv.
1,89 Milliarden Euro sollen allein die ersten 4,8 Kilometer der Linie vom abgelegenen Bramfelder Dorfplatz über die Großsiedlung Steilshoop zur Bürostadt „City Nord“ kosten. Doch die Strecke sei in die falsche Richtung geplant, sagt Dieter Doege. Denn die meisten Fahrgäste aus Steilshoop nähmen den Bus in die andere Richtung und stiegen etwa am Knotenpunkt Barmbeker Bahnhof aus.
Der öffentliche Nahverkehr, dessen Nutzerzahlen Hamburg zur Erreichung der Klimaziele bis 2030 verdoppeln will, wird laut der Studie durch diese neue U-Bahn nicht attraktiver. Denn in Steilshoop zum Beispiel gibt es heute auf einer Länge von zwei Kilometern sieben Bushaltestellen. Die würden nun durch eine einzige U-Bahn-Haltestelle ersetzt. Und die sei auch noch – da die Bahn sehr tief unter der Erde liegt – erst nach drei Minuten Treppenweg zu erreichen.
„Das beste Verkehrsmittel nützt nichts, wenn der Fahrgast nur schwierig hinkommt“, sagt Dieter Doege, der sich wie Co-Autor Ode seit Jahren für die Straßenbahn engagiert. Die beiden vergleichen die Fahrzeit von Haus zu Haus für Bus, Straßenbahn und U-Bahn. Dabei gehen sie davon aus, dass eine Straßenbahn zu ebener Erde liegt und so viele Haltestellen wie die Buslinien hat. Im Fazit ist zwar der Bus am langsamsten, aber auch die U-Bahn auf fünf, auf acht und elf Kilometern Länge langsamer als die Straßenbahn es wäre. Denn der Knackpunkt ist die Länge der Fußwege zur Haltestelle, wo die U-Bahn im Nachteil ist.
Straßenbahn führt Fahrgäste schneller ans Ziel
Diesen Effekt sehen sie auch entlang der heutigen Metrobuslinie 5, die zwischen Dammtorbahnhof vorbei an der Uni nach Niendorf verläuft und zu den am meisten benutzten Buslinien Europas zählt. Von deren 13 Haltestellen würde die neue U5, wenn sie dort in 20 Jahren fertig wäre, nur fünf bedienen. „Die U5 führt weitgehend sowohl am Bedarf der heutigen Fahrgäste als auch der noch zu gewinnenden Fahrgäste vorbei“, sagt Heike Sudmann. Die Abgeordnete will diese Studie nun nutzen, um mit den anderen Parteien im Rathaus über eine Wende in der Nahverkehrspolitik ins Gespräch zu kommen.
Denn der gesamte U-Bahn-Bau würde mindestens neun Milliarden Euro kosten. Schon für einen Bruchteil der Summe von nur 1,33 Milliarden Euro wäre es möglich, entlang der heutigen Buslinien ein komplettes Straßenbahnnetz zu bauen. Das hätte fünf Linien mit 109 Haltestellen auf 53 Kilometern Länge und würde für die äußeren Stadtteile wichtige Verbindungen schaffen: etwa von Rahlstedt im Osten bis zum Osdorfer Born im Westen.
Die Pläne dafür liegen größtenteils noch in den Schubladen, weil Hamburg unter schwarz-grün so ein Netz schon einmal geplant hatte. Doch anders als damals, als es Proteste gab, habe man diesmal die Linien auf große Straßen beschränkt, sagt Doege. Er habe im französischen Nantes eine Straßenbahn mit aufgebaut. Die Politik dürfe nicht „vom hohen Ross“ agieren. „Man muss den Menschen die Vorteile klarmachen, dann geht das auch.“
Hamburg hatte bis 1979 ein Straßenbahnnetz. Größtenteils gebe es die Trassen noch, sagt Jens Ode. Entlang der Metrolinie 5 oder vom Berliner Tor in Richtung Harburg könnte man auf 30 Kilometern sofort die alten Trassen beschienen, „ohne ein Auto zu stören“.
Tiefe Röhren-U-Bahn schwierig zu bauen
Sudmann argumentiert auch mit der Bauzeit. Die U5 werde erst in den 2040ern fertig, die Straßenbahn dagegen könne schon bis 2030 fertig sein, „wenn jetzt eine Umentscheidung kommt“. Dafür sprechen laut Doege auch technische Gründe, weil der viele Meter tief unter der Erde geplante Röhren-U-Bahn-Bau als schwierig gilt. Gutachter hatten der Stadt in einer „Machbarkeitsuntersuchung“ geraten, Alternativen zu suchen.
Der Bund der Steuerzahler teilte mit, diese Studie werfe „ein neues Licht“ auf die geplante U5. „Sollten die Zahlen stimmen, wäre der Hamburger Senat gut beraten, sorgsam abzuwägen, ob das Konzept der Stadtbahn nicht deutlich besser ist als die bisherige U5-Planung“, so die Vorsitzende Petra Ackermann.
Der Sprecher der Hochbahn, Christoph Kreienbaum, sagte: „Die Straßenbahn mag grundsätzlich ein sinnvolles Instrument der Verkehrpolitik sein“. Doch die neue Studie sage nichts darüber aus, wie aufwachsende Fahrgastzahlen zu bewältigen sind. Denn entlang der Strecke der künftigen U5 führen auf den vier Metrobuslinien 4, 5, 6 und 17 heute täglich knapp 140.000 Fahrgäste. Dafür habe die Stadtbahn nicht die „Leistungskapazitäten“. „Unsinn“, kontert Doege. „Ich kann niemals mit einer einzigen U-Bahn-Linie vier Buslinien ersetzen.“ Außerdem könnten moderne Stadtbahnen „zwei- bis dreimal so viele Fahrgäste aufnehmen wie der größte Hamburger Bus-Typ“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Krieg in der Ukraine
Biden erlaubt Raketenangriffe mit größerer Reichweite
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Zweite Woche der UN-Klimakonferenz
Habeck wirbt für den weltweiten Ausbau des Emissionshandels