Hamburger Cum-Ex-Untersuchungsausschuss: Finanzamt an der Nase herumgeführt
Steuerprüfer wurden von der Finanzbranche gezielt auf die falsche Fährte gelockt. Das sagte ein Sachverständiger am Freitag im Untersuchungsausschuss aus.
Der Ausschuss versucht die Frage zu klären, wie es dazu kam, dass das Hamburger Finanzamt in den Jahren 2016 und 2017 Steuerforderungen gegenüber der Privatbank MM Warburg in Höhe von insgesamt 90 Millionen Euro verjähren lassen wollte. Dabei interessiert die Abgeordneten vor allem, ob die damalige Senatsspitze, also der heutige Bundeskanzler Olaf Scholz und der heutige Bürgermeister Peter Teschentscher (beide SPD) Einfluss auf die Entscheidung des Finanzamtes genommen haben, wofür es eine Reihe von Indizien gibt.
Bei Cum-Ex- und ähnlichen Geschäften haben Anwälte, Bankiers, Börsenhändler und Investoren allein dem deutschen Fiskus zig Milliarden Euro gestohlen. Dabei wurden Aktien um den Dividendenstichtag herum schnell hin und her gehandelt, so dass mehrere Akteure nur einmal bezahlte Kapitalertragsteuer zurückfordern konnten – ein glatter Griff in die Staatskasse.
Vertreterinnen der oberen Etagen des Hamburger Finanzamts für Großunternehmen sowie der Finanzbehörde hatten vor dem Ausschuss stets argumentiert, sie müssten die „Lieferketten“ der Aktien nachverfolgen können, also nachweisen, wer zu welchem Zeitpunkt die Aktien besaß.
Bloß Buchungen
Wie Heist, ehemaliger Mitarbeiter der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen (Bafin) sowie der Europäischen Zentralbank (EZB) darstellte, war das nicht zweckmäßig, weil bei den Geschäften keine identifizierbaren Aktien gehandelt sondern nur Buchungen getätigt werden – und zwar in einem Volumen, das die eigentliche Transaktion weit übersteigt. Dabei werden die Aktien teilweise auch nur verliehen und versprochen, sodass unklar ist, wer ihr Eigentümer oder Nutznießer ist.
Dass hier etwas faul war, hätten die Finanzämter Heist zufolge viel einfacher dran feststellen können, dass die risikolosen Geschäfte für teuer Geld mit sogenannen Derivaten „versichert“ wurden, die das Geld einbrachten. „Wenn sie nicht daran glauben, dass Ihnen im Investmentbanking jemand Geld schenkt, war das leicht auszurechnen“, sagte der Anwalt.
Die Täter hätten versucht, die Finanzämter davon abzulenken. „Wenn sie nicht möchten, dass die Betriebsprüfung im Bilde ist, verweisen sie die auf die Aktien und wenn einer nach Derivaten fragt, behaupten sie, das sei ein Standardhedge“, sagte Heist, also eine Absicherung zu den tatsächlichen günstigen Marktpreisen. „Da wurden Finanzbeamte vorsätzlich hinters Licht geführt.“
Gestützt wurden diese Geschäfte durch eine ganze Industrie an Beratern, Investmentbankern sowie naiven bis willfährigen Juristen. Kürzlich wurde etwa bekannt, dass sich die Hamburger Finanzverwaltung von Hartmut Klein beraten ließ, der als Dozent für die Bundesfinanzakademie arbeitete. Das tat er allerdings nur bis 2012, um danach bei dem Anwalt Hanno Berger anzuheuern, der als einer der größten Drahtzieher im Cum-Ex-Geschäft gilt. Als gegen ihn ermittelt wurde, setzte Berger sich 2012 in die Schweiz ab. Er sitzt dort in Auslieferungshaft.
Kritik lange bekannt
Denjenigen, die eine mehrfache Steuerrückerstattung für legal erklärten, hätten Autoren von Fachaufsätzen schon in den 90er Jahren widersprochen, sagte Heist. Spätestens 2011 habe durch den Aufsatz eines Mitarbeiters der Hessischen Finanzverwaltung Klarheit darüber geherrscht, wie die Geschäfte funktionierten. Heist kritisierte, dass kritische Forschung zu dem Thema kaum finanziert werde.
„Ab 2016 war es Grundlage unserer Arbeit, dass es steuermissbräuchlich war“, sagte Felix Hufeld, ehemaliger Präsident der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) vor dem Ausschuss. Im November dieses Jahres beschloss die Hamburger Finanzverwaltung dennoch, 47 Millionen Euro Forderungen an Warburg verjähren zu lassen.
Hufeld wurde auch zu einer Einflussnahme des ehemaligen SPD-Bundestagsabgeordneten Johannes Kahrs befragt, gegen den die Kölner Staatsanwaltschaft wegen Begünstigung ermittelt. Er bestätigte, zweimal mit Kahrs gesprochen zu haben. Es gehöre zum normalen Geschäft, dass sich Leute mit gewissen Interessenlagen meldeten. „Als er sich über konkrete Maßnahmen erkundigen wollte, sagte ich mein Standardsprüchlein, dass wir einzelaufsichtliche Maßnahmen nicht kommentieren.“
Kahrs habe sich nicht auf unangemessene Weise an ihn gewandt. Das Gespräch sei nicht unangenehm gewesen. Allgemein gesprochen ließen sich Prüfer aber ungern in ihr Geschäft reinreden. Sie würden dann gerne bockig.
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